Eine in Norwegen durchgeführte Studie untersucht, wie Familienmitglieder während des COVID-19-Lockdowns die psychische Belastung des jeweils anderen beeinflusst haben, wobei der Schwerpunkt auf eltern-, kind- und partnerbedingten Effekten liegt und genetische Daten genutzt werden, um direkte und indirekte Einflüsse zu unterscheiden.
Hypothese
Die Familiendynamik während des Einschlusses trug signifikant zu Variationen der psychischen Belastung bei. Es wurde erwartet, dass direkte genetische Effekte und indirekte genetische Einflüsse – vermittelt durch Familienmitglieder – eine unterschiedliche Rolle bei der Ausprägung des Leidensdrucks bei Müttern, Vätern und Jugendlichen spielen.
Studiendesign
Die Studie umfasste 4.388 Jugendliche, 27.852 Mütter und 25.953 Väter aus der norwegischen Mutter-, Vater- und Kind-Kohortenstudie (MoBa). Unter Verwendung von Trio-GCTA, einem genomweiten Ansatz zur Trennung direkter (selbstbeeinflussender) und indirekter (familiär beeinflussender) genetischer Effekte, überprüfte das Team polygene Scores (PGS), die die genetische Veranlagung für Angst, Depression, ADHS, Neurotizismus und Anorexie bewerten.
Ziel war es, die psychische Belastung über drei Sperrzeiträume mit der Hopkins Symptom Checklist (SCL-5) zu bewerten, wobei als Endpunkte die Varianz der psychischen Belastung angestrebt wurde, die auf genetische Effekte und familiäre Einflüsse zurückzuführen ist.
Schlüsselergebnisse
Zunächst wurde festgestellt, dass mütterliche Einflüsse bis zu 10 % der Varianz der psychischen Belastung bei Jugendlichen erklärten. Väterliche Effekte trugen zu 2–3 % der Varianz der mütterlichen Belastung bei, während kindliche Einflüsse 5 % der Varianz der väterlichen Belastung ausmachten.
Wie stehen direkte und indirekte genetische Effekte im Zusammenhang? Direkte genetische Effekte, also die genetische Veranlagung des Einzelnen, erklärten 9–10 % der psychischen Belastung innerhalb der Familie. Indirekte genetische Effekte offenbarten bedeutende Dynamiken zwischen Partnern und Eltern-Kind-Beziehungen: So beeinflusste unter anderem die genetische Veranlagung der Mütter für ADHS und Depression die psychische Belastung der Väter.
Welche Trends wurden im Laufe der Zeit beobachtet? Die psychische Belastung nahm im Verlauf des Lockdowns bei allen Familienmitgliedern generell ab. Gleichzeitig stieg der Anteil der Varianz, der durch familiäre Einflüsse erklärt wurde, in der späteren Phase des Lockdowns.
Beschränkungen
- Verzerrung durch Selbstauskunft: Die Abhängigkeit von Selbstauskünften könnte zu subjektiven Verzerrungen geführt haben.
- Begrenzter Umfang der genetischen Marker: Der Schwerpunkt liegt auf häufigen genetischen Varianten, wodurch seltene, aber wirkungsvolle Varianten möglicherweise nicht berücksichtigt werden.
- Verallgemeinerbarkeit: Die Ergebnisse sind spezifisch für die norwegische Bevölkerung und lassen sich möglicherweise nicht auf die ganze Welt übertragen.
Was Annahmen oder Verzerrungen betrifft, so gingen die Autoren von gleichbleibenden Umweltfaktoren unter den Familienmitgliedern während des Einschlusses aus, was eine wichtige Überlegung ist. Außerdem müssen wir eine mögliche Restverfälschung durch nicht gemessene Umweltvariablen berücksichtigen.
Implikationen
Die Ergebnisse unterstreichen, wie wichtig die Berücksichtigung des familiären Umfelds bei psychosozialen Maßnahmen ist, insbesondere in Krisenzeiten. Die Einbeziehung von Familienmitgliedern in therapeutische Ansätze könnte die Ergebnisse verbessern.
Schlüsselforscher
- Johanne H. Pettersen und Espen Eilertsen: Leitende Mitarbeiter des Norwegischen Instituts für öffentliche Gesundheit.
- Alexandra Havdahl, Ragnhild E. Brandlistuen, und Helga Ask: Fachleute für genetische Epidemiologie und psychische Gesundheit.
- Ole A. Andreassen: Experte für Präzisionspsychiatrie.
Diese Forschungsarbeit unterstreicht das dynamische Zusammenspiel genetischer und familiärer Faktoren bei der Gestaltung der psychischen Gesundheit und bietet ein differenziertes Verständnis der innerfamiliären Notlage während außergewöhnlicher gesellschaftlicher Störungen wie der COVID-19-Sperre.
Der Bericht ist auf dem Preprint-Server veröffentlicht und muss von Fachkollegen geprüft werden.