In Thüringen und Brandenburg wurde das BSW 2024 Regierungspartei, in Sachsen verweigerte sich die Partei Sahra Wagenknechts einer Koalition mit CDU und SPD. War das die richtige Entscheidung, um sich als Oppositionskraft zu etablieren?
Sahra Wagenknecht, Sabine Zimmermann (rechts) und Katia Wolf (links): Anders als in Thüringen hat sich das BSW in Sachsen gegen eine Regierungsbeteiligung entschieden
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„Wir sind gekommen, um zu bleiben“, sagte die sächsische BSW-Vorsitzende Sabine Zimmermann im vergangenen November. Es war ihre Antwort auf eine Stimme aus der SPD, die orakelt hatte, vielleicht gebe es das Sahra-Wagenknecht-Bündnis in einem Jahr schon nicht mehr. Da hatte, anders als in Thüringen oder Brandenburg, das BSW die Koalitionssondierungen mit CDU und SPD gerade aufgekündigt.
Die erst ein Jahr zuvor gegründete Partei verfehlte dann im Februar dieses Jahres äußerst knapp den Einzug in den Bundestag. In den drei für das BSW 2024 erfolgreichen Landtagswahlländern Thüringen, Sachsen und Brandenburg verlor sie dabei ein Viertel bis ein Drittel der Stimmen. Erneut tauchte die Frage auf, ob das Bündnis seinen Zenit bereit
en und Brandenburg verlor sie dabei ein Viertel bis ein Drittel der Stimmen. Erneut tauchte die Frage auf, ob das Bündnis seinen Zenit bereits überschritten habe.Nach großen Selbstfeiern wie zur Thüringer Regierungsbildung im Dezember drängt die Stimmung derzeit nicht. Das MDR-Fernsehen widmete sogar eine seiner Publikumsdiskussionen Fakt ist dem Zustand des BSW in der Thüringer Brombeer-Koalition, wo die Partei manchen als unsicherer Kantonist gilt.Hört man sich in Sachsen um, entsteht ein gemischtes Bild. Über die Stimmung und vor allem die Orientierungssuche der Neupartei wollen vor allem Mandatsträger kaum namentlich zitierbar sprechen. Anders als in Thüringen lassen sich Flügelgrenzen nicht scharf zwischen Wagenknecht-Linientreuen und liberalen Landesautonomen ziehen. Das Kriterium ist eher die Fähigkeit zur Selbstanalyse. Ein Teil gibt sich unbeirrt erfolgsgewiss und erinnert damit an die alte SED-Parole „Unser Weg ist richtig“. Andere zeigen sich weiter aufbruchswillig, aber kritisch reflektierend: „Ja, wir sind da, aber Probleme bitte nicht verschlafen!“Was der Landtagsabgeordnete und Dresdner BSW-Stadtratsfraktionschef Ralf Böhme sagtEs gibt unter den 15 Abgeordneten der immerhin drittstärksten Fraktion im Dresdner Landtag solche, die den verpassten und für das Prestige von Sahra Wagenknecht so wichtigen Bundestagseinzug auf wahlorganisatorische Pannen und eine Verschwörung von Meinungsforschungsinstituten und Medien schieben. Andere machen es sich weniger leicht. Wenn vor einem Jahr noch Einigkeit bestand, dass das BSW eine sogenannte Repräsentationslücke fülle, so räumen manche inzwischen Unklarheit ein, womit diese Lücke gefüllt wird.„Konservatismus gepaart mit sozialen Gerechtigkeitsidealen, wirtschaftsliberal, aber kritisch gegen Großkonzerne, familienorientiert, pazifistisch“, ist zu hören. Viele Gegensatzpaare, die ausbalanciert werden müssen. Auslöser der Erfolgswelle 2024 waren unbestritten die persönliche Ausstrahlung von Sahra Wagenknecht und das Friedensthema. „Aber diese Wirkung schwindet“, konstatiert der Abgeordnete und Quereinsteiger Ralf Böhme nüchtern, der auch der BSW-Fraktion im Dresdner Stadtrat vorsitzt. „Der nachfolgende Schritt ist uns noch nicht gelungen: dass Leute uns wegen unseres Profils wählen.“In der Tat bringen Gesprächsfragen nach der Erkennbarkeit des BSW private Freunde und Bekannte in Verlegenheit. Politiker anderer Parteien winken dann meist ab. Am heftigsten die schwache SPD, die im Bündnis schon eine heraufziehende nationalistische Konkurrenz von halblinks sah. Man fühlt sich gewarnt durch die Anfangserfolge Wagenknechts, die Linke und ansatzweise auch die CDU zu demontieren. Bei der in Sachsen mitregierenden SPD zieht man sogar die handwerkliche Professionalität des BSW in Zweifel, obschon dort auch gestandene ehemalige Linken-Parlamentarier wie Lutz Richter sitzen. Während Linke und Grüne rechtzeitig ihre oppositionellen Änderungsvorstellungen zum anstehenden Landeshaushalt einreichten, brauchte das BSW schnell noch eine Haushaltsklausur. Zu der Thüringens Landesvorsitzende und Finanzministerin Katja Wolf beratend erschien. Ein grüner Abgeordneter hingegen bescheinigte den Wagenknechten eine beachtliche Cleverness.Michael Kretschmers Minderheitsregierung braucht Stimmen für den LandeshaushaltWorin aber bestünde dieses BSW-Profil, eine auch von Ralf Böhme vermisste Marke, die durch Originalität eigene Rechte begründet? Wo sind die Initiativen, zu denen sich andere positionieren müssen? In der sächsischen Oppositionsrolle ist eher das Gegenteil der Fall. Seit der eitlen Verweigerung einer mehrheitsfähigen sächsischen Brombeere mit CDU und SPD fühlen sich manche geradezu „verhöhnt“ im Parlament. Ablesbar ist das daran, dass die Minderheitsregierung wahrscheinlich versuchen wird, den anstehenden Krisenhaushalt 2025/26 eher mit Grünen und Linken durchzubringen als mit dem Sahra-Wagenknecht-Bündnis.Placeholder image-1Diesen Eindruck bestätigt die sächsische Landes- und Fraktionsvorsitzende Sabine Zimmermann zwar nicht. Ob das BSW mit seiner Doppelstrategie ernst genommen wird, steht aber dahin. Die verlangt einerseits eine Zukunfts-Zusatzmilliarde, setzt aber zugleich auf die üblichen kosmetischen Korrekturen für den Reparaturbonus, die Dorfkümmerer oder einige Sportmillionen. Hauptsache Veränderung.Was bleibt von den großen Zielen? Die weitere Profilierung mit dem Friedens- und Verhandlungsthema erscheint weniger aussichtsreich, seit Donald Trump die NATO verraten hat und der russische Terror gegen die ukrainische Zivilbevölkerung Wladimir Putins Friedenswillen zweifelhaft erscheinen lässt. Mit steigender Tendenz befürworten inzwischen mehr als drei Viertel der Deutschen höhere Verteidigungsausgaben. Die Umfragewerte für eine europäische Streitmacht stiegen auf mehr als 80 Prozent. In der Migrationspolitik wird das BSW die „Originale“ von AfD und CDU/CSU kaum rechts überholen können. Und mehr soziale Gerechtigkeit erhofft inzwischen ein deutlich höherer Wähleranteil vom Original der wiedererstarkten Linken.Peter Porschs einstige rechte Hand Bernd Rump mischt im BSW-Vorfeld mitDen erforderlichen „Selbstfindungsprozess“ der Wagenknecht-Sturzgeburt diagnostiziert auch ein sympathisierender sächsischer Beobachter, der zu PDS-Zeiten bis 2008 als Oberstratege und rechte Hand von Spitzenkandidat Peter Porsch galt: Bernd Rump ist formal noch Mitglied der Linken. Er beteiligt sich aber rege an den lokalen Gesprächszirkeln und Debattenkreisen, die das Vorfeld der wenigen offiziell zugelassenen BSW-Mitglieder und das eigentliche Parteileben ausmachen. Viele Anfangssympathisanten seien schon nicht mehr dabei, registriert er.„Es war alles zu viel“, blicken Rump und andere auf ein turbulentes und durch viele Wahlen auch sehr anstrengendes erstes BSW-Jahr zurück. Interne Probleme bremsten die überzeugende öffentliche Ausstrahlung. Rump teilt die Mitglieder in zwei Gruppen, nämlich „ganz normale, aber sehr engagierte Leute“ und eine „Kadertruppe“, die westlich dominiert wird von Namen wie Klaus Ernst oder Sevim Dağdelen. Überhaupt sei nach wie vor die Parteiabspaltung von der Linken evident. Das BSW müsse sich erst einmal als selbstständige Partei konstituieren und nicht als modifizierte Linke.Die heterogene BSW-Klientel erleichtert diesen Prozess nicht gerade. Vom ehrlichen Politikeinsteiger über Karrieristen bis hin zum Altstalinisten ist beim BSW alles zu finden. Unüberhörbar raschelt bei vielen noch das alte Mitgliedsbuch der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft im heimischen Traditionskabinett. „1989 war der Anfang vom Ende“, erklärt ein betagter Ordner bei einer Wahlveranstaltung auf dem Dresdner Schlossplatz. Das extrem straff limitierte Aufnahmeverfahren, das Trojaner und Trittbrettfahrer gleichermaßen fernhalten sollte, hat diese teils skurrile Mischung nicht verhindert. In ihr fehlt allerdings eine stürmische Jugend, wie sie jetzt zu Tausenden in die Linke drängt.Im Erzgebirge gibt es drei Mitglieder, aber bis zu 50 BSW-UnterstützerDas Verfahren soll, ja muss sich ändern, hört man auch in Sachsen an der Basis, sofern man bei gerade 90 Mitgliedern überhaupt von einer Basis sprechen kann. Im Erzgebirge beispielsweise gibt es nur drei bestätigte Mitglieder, aber bis zu 50 potenzielle Unterstützer. Ob es im April bei einer Art von konspirativem nichtöffentlichem Parteitag im sächsischen Glauchau auch darum ging, drang nicht nach außen.Bedeutet das zumindest mittelfristig eine Abnabelung von der Parteigründerin, Namensgeberin und Großen Vorsitzenden Sahra Wagenknecht? „Eigentlich nicht“, wiegen die meisten bedächtig den Kopf, ohne unterwürfig zu wirken. Mit ihr stehe und falle das Projekt, der Unterschied wäre „gigantisch“, der intellektuelle Hauptinput komme von ihr. Aber geht es nicht jetzt schon partiell ohne sie, der Erschöpften, Enttäuschten, die hinter der politischen Bühne nur noch Mitteilungen verschickt? Immerhin ist es der Sächsischen Zeitung gelungen, sie am 15. Mai zu einem Polit-Talk mit Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) vor 200 limitierten Zuhörern zu bewegen. Früher oder später müsse die Partei sich selbst tragen, hört man dann leise.Die sächsische Landtagsfraktion versucht es schon. Die Meinungen sind geteilt, ob die Verweigerung der Brombeer-Koalitionsbildung im vorigen November ein Fehler war oder nicht. Man ist jetzt bei den schicksalhaften Haushaltsberatungen in einer ähnlichen Rolle wie als Koalitionär, kann mit Mehrheitsbeschaffung locken oder drohen und eigene Themen platzieren. Aber welche?Der Gründungsrausch ist zwar verflogen, aber ganz auf die Brechtschen Mühen der Ebene will man sich noch nicht herunterziehen lassen. Manche vergleichen mit den Startproblemen der Grünen vor mehr als 40 Jahren. „Wir haben keine Krise, wir sind nur in einem Entwicklungsprozess“, beschreibt Ralf Böhme den gegenwärtigen Zustand.