Wie auch immer Baschar Al-Assad nach über zwei Jahrzehnten seiner Präsidentschaft gesehen wird – er verkörperte mit seinem Regime die letzte säkulare Ordnung in einem arabischen Staat. Das wird sich gravierend ändern


In Damaskus wird das Ende der Herrschaft von Präsident Bashar al-Assad gefeiert (08.12.2024)

Foto: Xinhua/Imago Images


An diesem 8. Dezember 2024 geht – wie es den Anschein hat, unwiderruflich – die Macht eines Familienclans zu Ende. Hafiz al-Assad, der Vater des nun gestürzten Baschar al-Assad, übernahm im Februar 1971 erstmals die Präsidentschaft. Als er am 10. Juni 2000 starb, musste der zweitgeborene Sohn Bashar sein Erbe antreten, für das er als promovierter Augenarzt in London zunächst weder vorgesehen noch prädestiniert war.

Doch war der auserkorene Sohn Basil al-Assad 1994 bei einem Autounfall in Damaskus ums Leben gekommen. Die ehernen Gesetze einer Familiendynastie ließen Baschar keine Wahl, als sich dem Willen des Clans zu fügen und sich auf „seine Mission“ vorzubereiten. Er war für die Machtelite der Alawiten, einer Minderheit

Machtelite der Alawiten, einer Minderheit in Syrien, die etwa zehn Prozent der Bevölkerung ausmacht und einem schiitischen Islam zugeordnet wird, nicht die Idealvariante eines Nachfolgers, zumal er sich im Präsidentenamt als Reformer zu präsentieren begann. Assad wollte die Korruption der „alten Garde“ ebenso bekämpfen, wie er mehr Gewaltenteilung anstrebte und die Verflechtung der alawitischen Staatsklasse mit dem ökonomischen Staatssektor zu beenden versuchte. Freilich war es mit diesen Bestrebungen endgültig vorbei, als im März 2011 mit den Protestmärschen in der Stadt Daraa eine innere Zerreißprobe begann, die immer mehr kriegerische Züge annahmen. Assad war nun die Galionsfigur des Durchhaltewillens. Das arrivierte Baath-Regime konnte ihn nicht entmachten, ohne sich selbst zu schaden. Dies traf um so mehr zu, als die Regierungsarmee bis 2015 in die Defensive geriet und Territorium verlor. Erst das Eingreifen russischen Militärs änderte das.Ihn zu opfern, das versprach, nicht länger Opfer seines Machterhalts zu seinViel spricht dafür, dass Assads Machtbonus in dem Moment aufgezehrt war, als ihn mit Russland und dem Iran die wichtigsten Unterstützer nicht mehr retten konnten – oder wollten. Die Kriege in der Ukraine beziehungsweise im Libanon verhinderten, dass Assad militärische Ressourcen zugutekamen, die seine Macht in den noch vor drei Wochen kontrollierten Teilen Syriens schützten. Nicht auszuschließen, dass ihn die Armeeführung und Technokraten des Regierungslagers um den Ministerpräsidenten Mohammed al-Dschalali auch deshalb abgeschrieben haben, weil sie in ihm das größte Hindernis sahen, um den stets von Neuem auflodernden inneren Konflikt zu befrieden und mit dem Wiederaufbau zu beginnen. Solange Assad Staatschef blieb, war nicht damit zu rechnen, den westlichen Sanktionen zu entkommen. Ihn zu opfern, das versprach, nicht länger Opfer seines Machterhalts zu sein. Vorerst ist nichts davon erwiesen, aber das permanente Zurückweichen und die Selbstaufgabe einer nach fast 14 Bürgerkriegsjahren offenbar zermürbten Armee musste erstaunen.Festzuhalten bleibt: Mit dem Fall von Damaskus steht die innere Geschäftsordnung eines multikonfessionellen, multiethnischen, stets institutionell fragilen Syriens zur Disposition. Gewiss haben die Jahre des Sterbens und der Zerstörung seit 2011 von diesem System nicht viel übriggelassen. Doch die Verfassung hatte Bestand und schrieb fest, dass man es mit einem säkularen Staat zu tun hat und damit einer Ausnahme im arabischen Raum. Die islamistischen Eroberer von Damaskus, angeführt von der islamistischen Hayat Tahrir al-Sham (HTS), werden das korrigieren, aber auf viele andere Lager Rücksicht nehmen müssen – neben den Alawiten sind das die Kurden, die Drusen und die Christen, die alle ein existenzielles Interesse daran haben, dass Dschihadisten keine autoritäre und brutale Macht in Syrien errichten, wie das der Islamische Staat (IS) 2014 versucht hat.Nehmen wir an, die Präsidentschaft von Donald Trump wirft auch hier ihre Schatten vorausDie geostrategischen Koordinaten des Syrien-Konflikts haben Assad lange begünstigt, erst recht vor dem eruptiven Ausbruch der inneren Fehde, mit der sich 2011 nicht zuletzt der „Arabische Frühling“ Geltung verschafft hat. Die Arabische Republik Syrien war gewiss per se kein Stabilitätsanker, aber ein Stabilitätsfaktor auf jeden Fall mit ihren Grenzen zu Israel, dem Libanon, zu Jordanien, dem Irak sowie der Türkei. Allein im israelisch-syrischen Verhältnis galt der Modus Vivendi einer eingefrorenen Konfrontation, womöglich eines gestundeten Krieges, solange die Golanhöhen von den Israelis annektiert blieben. Es handelt sich für Syrien immerhin um einen durch nichts zu kompensierenden Gebietsverlust, den das Land seit 57 Jahren, seit dem Sechs-Tage-Krieg von 1967, hinnehmen muss. Der nunmehrige Regime Change in Damaskus setzt die Sieger und mutmaßlich nächsten Machthaber dieser offenen Flanke aus. Was also kommt auf Israel zu mit einer islamistischen Exekutive in Syrien, die sich gewiss außenpolitisch erklären will und im Verhältnis zu Israel zu legitimieren sucht? Eine neue Regierung, die vorwiegend von sunnitischen Radikalen gebildet wird, könnte aggressiver um die Rückgabe der Golanhöhen kämpfen und ihren Alliierten Türkei um Beistand bitten.Schließlich: Russland wird gezwungen sein, ein Arrangement mit einer Post-Assad-Ära zu finden. Gelten geschlossene Verträge für die beiden Militärbasen im Umfeld des Mittelmeerhafens Tartus? Was wird mit den dort stationierten Marineeinheiten?Russland hat ab 2015 einen Durchmarsch des Westens und der teilweise mit ihm verbündeten Dschihadisten verhindert, weshalb der Konflikt auch als „Stellvertreterkrieg“ zwischen dem Westen und Russland oder den USA und Russland gesehen wurde. Nehmen wir an, dass die Präsidentschaft von Donald Trump auch in dieser Hinsicht ihre Schatten vorauswirft, dann erscheint die Annahme nicht allzu verfehlt, dass es mit Moskau einen Deal gegeben haben könnte: Ihr überlasst uns Syrien und erhaltet im Gegenzug unseren Verzicht auf die fortgesetzte Parteinahme für die Ukraine und unser Engagement für eine politische Lösung, die eure strategischen und territorialen Interessen bedient. Wenn das so ist, wäre es eine Erklärung dafür, dass Wladimir Putin Baschar al-Assad so schnell fallen ließ.



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Von Veritatis

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