Australien führt eine Altersbeschränkung für Apps wie Instagram, TikTok und Co. ein. Die Frage nach den Auswirkungen dieser Apps auf Jugendliche ist unerlässlich. Eine pauschale Altersbeschränkung könnte jedoch kontraproduktiv wirken

Grafik: der Freitag


Vorbei die Zeit, als das Internet große Hoffnungen weckte. Heute wird allenthalben skeptisch gefragt, ob sich die Leute mit ihrer Netz-Aktivität einen Gefallen tun. Nach dem vermeintlichen Verlust der Lesefähigkeit, nach Burnout- und Depressionsgefahren sind zuletzt Falschmeldungen und Desinformation das Thema. Und ja: Als täglicher „Bewohner“ des Netzes sehe ich Probleme. Die Befürchtung, dass die intensive Nutzung zumal Jugendlichen schaden könnte, indem sie falsche Ideale aufrichtet oder destruktives Verhalten begünstigt, ist ernst zu nehmen. Es wird dem ja auch schon Rechnung getragen: Vom Gesetzgeber in der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), die auf eine datenschutzrechtliche Einwilligung der Eltern zielt – und seitens vieler Plat

lattformen mit entsprechenden Nutzungsbestimmungen, die allerdings oft nicht hart überprüft werden. Eine generelle Altersbeschränkung aber wäre sinnlos und kontraproduktiv. Das lässt sich auf politischer, sozialer sowie entwicklungspsychologischer Ebene zeigen.Wer Kommunikationsangebote verbietet oder ihre Nutzung an Bedingungen knüpft, operiert an der Informations- und Meinungsfreiheit. Das ist ein sensibler Grundrechtsbereich – jede Regulierung muss hier gut begründet sein. Bei Medieninhalten ist die Grenzziehung aber schwieriger als bei Waffen, Tabak und Alkohol. Für strafbare, jugendgefährdende Inhalte gibt es gut akzeptierte Regelungen im Jugendmedienschutz. Unterhalb dessen wird es knifflig: Was genau beeinträchtigt die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen eines bestimmten Alters oder ihre Erziehung zu eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten? Selbst Computerspiele werden differenziert behandelt – und Grimms Märchen sind immer wieder umstritten. Gerade im Aufschwung des Autoritarismus gilt: Gutgemeinte Inhaltsbeschränkungen können sich in ihr Gegenteil wenden – und ein repressives Instrumentarium bieten. Vage Rechtsbegriffe sind dabei ein mögliches Einfallstor.Wie aber ließe sich eine generelle altersbezogenene Zugangsbeschränkung „sauber“ konstruieren? Im „analogen“ Jugendmedienschutz verbietet man eine konkrete Publikation; das ist klar zu begründen, weil sie sich nicht wandelt. Eine Plattform hingegen verzweigt sich in Tausende von Fäden und Diskursen. Ständig verändern sich Inhalt und Struktur; einer Falschmeldung kann eine Korrekturwelle folgen. Es gibt eher unbedenkliche Netzwerke wie nebenan.de, Mastodon oder lokale Netze, etwa unser-nb.de in der Stadt Neubrandenburg. Auf Bluesky wird gut moderiert, anderswo kaum oder gar nicht. Und was die Nutzer dann jeweils treiben, ist auch höchst verschieden – eine halbe Stunde Meme-Filmchen ist etwas anderes als stundenlang im „Kaninchenbau“ menschenfeindlichen Erzählungen zu folgen. Jeder Nutzer und jede Nutzerin verhält sich anders. Man wird den Problemen nicht gerecht, wenn man eine Regel an die Plattform an sich und nicht an den jeweils konkreten Inhalt koppelt. „Overblocking“ ist unverhältnismäßig.Und bietet die Nutzung denn gar keine Vorteile – Informiertheit, Training der Medienkompetenz, Halten loser Bindungen, praktische Lebenshilfe? Sicher: Man kann mögliche Vorteile nicht mit möglichen Nachteilen verrechnen, wie sich mit Niklas Luhmann sagen lässt. Aber warum sollte man Kollateralschäden riskieren, wenn sich heute jeder Jugendliche binnen einer Minute per VPN-Verbindung solchen Regulierungen entziehen kann – oder die jeweilige „Community“ wie ein Vogelschwarm einfach umzieht?Nicht selten lässt sich beobachten, wie übler Content aus Netzwerken in den Mainstream diffundiert; seien es „Pickup-Artists“ oder verstörende Incels – und gehe es um Tiktok oder um 4chan. Dennoch können am Ende nur Erziehungsberechtigte das konkrete Nutzungsverhalten Jugendlicher angemessen regulieren. Dabei sollte ihnen mehr geholfen werden – mit Medienkompetenz-Trainings, Jugendschutz-Apps und Filtersoftware. Vieles ist besser als pauschale gesetzliche Regelungen mit ihren je spezifischen Gefahren.Christoph Kappes ist Publizist und langjähriger Gründer, Berater und Unternehmer mit Affinität zur IT-Branche



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Von Veritatis

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