Viele Syrerinnen und Syrer in Deutschland schlafen nur wenig seit dem Sturz Assads: Nichts wollen sie verpassen, während ihr Land endlich eine neue Wendung nimmt. Was bedeutet das Ende des Assad-Regimes für ihr Leben und das ihrer Familie?


Syrerinnen und Syrer in Deutschland haben schlaflose Nächte hinter sich. Einige blicken mit Sorge und gemischten Gefühlen auf die Situation in Syrien. Doch die Freude über den Sturz des Assad-Regimes überwiegt.

Collage: der Freitag; Fotos: Privat


Das Ende von Baschar al-Assads Regime kommt über Nacht: in den frühen Morgenstunden des 8. Dezembers flieht er mit seiner Familie aus Damaskus nach Moskau. Es war auch Nacht, als die Syrerinnen und Syrer in Deutschland davon erfuhren: Nach über 13 Jahren Bürgerkrieg wurde Assad gestürzt. Nur wenige Stunden später, die Ereignisse sind noch gar nicht richtig realisiert, setzt in Deutschland eine Diskussion darüber ein, ob die aus Syrien Eingewanderten nun zurückgehen.

Wie fühlen sich Syrer*innen in Deutschland in dieser historischen Situation? Was überwiegt: Freude, Hoffnung oder Sorge vor dem, was mit der islamistischen Rebellenmiliz Haiʾat Tahrir asch-Scham (HTS) kommen wird? Wie wird sich ihr Leben nun ändern? Der Freitag hat in K

eitag hat in Kooperation mit der Informationsplattform Handbook Germany, einem Projekt der Neuen deutschen Medienmacher*innen, mit jungen Syrer*innen in Deutschland darüber gesprochen, was sie für Syrien und ihre eigene Zukunft hoffen.Placeholder image-2Dana ChurbajiDr. Dana Churbaji (29) ist Psychotherapeutin, lebt in Münster und arbeitet als Post-Doc an der Universität Münster. Aufgewachsen ist sie zwischen Deutschland und Syrien.Ich war im Schlafzimmer und stillte gerade meine Tochter, als ich von Assads Fall hörte. Mein erster Gedanke war, dass meine Tochter ein Syrien ohne Bashar al-Assad erleben wird – eine Zukunft, in der die Assad-Dynastie nur noch Geschichte ist. Eine Geschichte, von der sie zwar hören, die sie aber nie wirklich verstehen wird. Wie viel Blut und Schweiß hat es uns gekostet, diese Diktatur zu stürzen!Wenn ich an Syrien denke, habe ich gemischte Gefühle, die schwer zu beschreiben sind. Einerseits bin ich froh, das Assad-Regime los zu sein, und freue mich über den Neuanfang in Syrien. Das Volk hat endlich die Möglichkeit, die Zukunft seines Landes selbst zu gestalten. Andererseits weiß ich, dass der Weg lang und holprig sein wird und dass dabei wohl viele Fehler gemacht werden. Das macht mir Angst. Der einzige Weg nach vorn wäre eine zivile Regierung, die Entwicklung ermöglicht und aus ihren Fehlern lernt.Als Deutsch-Syrerin, die zwischen den beiden Ländern aufgewachsen ist, hoffe ich sehr, dass Syrien von der deutschen Geschichte nach dem Zweiten Weltkrieg lernt. Besonders im Hinblick auf die juristische Aufarbeitung von Kriegsverbrechen wäre das von großer Relevanz.Mir ist es wichtig, als Wissenschaftlerin und Psychotherapeutin Teil des Wiederaufbaus zu sein. Ich kann mir gut vorstellen, in Syrien etwas aufzubauen. Aber aktuell kann ich mir mein Leben nur in Deutschland vorstellen und kann nicht sagen, ob ich jemals nach Syrien zurückkehren werde.Placeholder image-3Raghad AlkaddourRaghad Alkaddour (27) wohnt in München und lebt seit 2015 in Deutschland. Gerade befindet sie sich im letzten Semester ihres Studiums.Assads Ende ist für Syrien ein Wendepunkt, ein Neuanfang. Doch meine Gefühle dazu sind gemischt. Einerseits gibt es Hoffnung auf eine friedliche Zukunft, andererseits auch Ängste vor Chaos und Unsicherheit.Ich erinnere mich, wie ich zu Hause saß und die Nachrichten von Assads Fall verfolgt habe. Ein Moment, der mich tief bewegt hat. Was mich seither beschäftigt, ist die Frage, wie sich die Situation in Syrien weiter entwickeln wird. Können wir Stabilität erreichen oder werden äußere Einflüsse den Aufbau von Frieden weiterhin behindern? Der Wiederaufbau wird aus meiner Sicht eine enorme Herausforderung sein, vor allem ohne internationale Unterstützung.Und dann gibt es immer wieder die Fragen und Diskussionen in Deutschland: Wann werdet ihr zurückkehren? Das macht mich sehr unsicher, weil die Lage in Syrien nach wie vor unklar ist. Als Studentin im letzten Semester mit subsidiärem Schutz ist die Rückkehr nach Syrien für mich derzeit keine Option, da es dort bisher weder Sicherheit noch Perspektiven gibt.Placeholder image-4Rosa ObeidRosa Obeid (26) wohnt in Münster und lebt seit 2015 in Deutschland.Ich habe ganz verschiedene Gefühle nach dem Sturz Assads: Stolz auf die syrische Revolution, Freude, Traurigkeit, Wut, Schock und Angst. Aber die Freude überwiegt alles.Ich habe die letzten Tage kaum geschlafen, war bis spät in die Nacht wach, um die Nachrichten zu verfolgen. Um vier Uhr morgens erfuhr ich zu Hause, dass Assad gestürzt ist.Meine größte Sorge ist, dass Israel die Übergangsphase ausnutzt, um syrisches Gebiet zu besetzen, und dass dadurch die Gerechtigkeit für die Opfer verzögert wird. Ich habe auch Angst, dass Assads Anhänger wieder an die Macht kommen. Trotzdem bin ich optimistisch. Beim Feiern auf deutschen Straßen habe ich viele Syrerinnen und Syrer getroffen, die bereit sind, die Zukunft Syriens mitzugestalten.Ich bin inzwischen deutsche Staatsbürgerin, aber die Ereignisse haben mir neue Perspektiven eröffnet. Ich möchte nach Syrien zurückkehren und am Aufbau des Landes mitwirken. Sobald die Straßen sicher sind, für alle Minderheiten und auch für nicht religiöse Menschen.LuayLuay (29) lebt in Deutschland und möchte bis auf sein Alter keine weiteren Informationen angeben.Der Sturz Assads erfüllt mich mit großer Freude, so wie viele Menschen in meinem syrischen Volk. Es ist ein bedeutender Moment, da die systematische Gewalt gegen die Bevölkerung, die unter Assads Regime praktiziert wurde, nun ein Ende gefunden hat. Dennoch bleibt in mir die Sorge, dass Syrien nicht vollständig zur Ruhe kommt.Der Moment von Assads Flucht war emotional und bewegend, da er nicht nur ein Ende des Terrors bedeutete, sondern in mir auch die Hoffnung auf einen Neuanfang in Syrien entfacht hat.Ich fürchte, dass die Präsenz versteckter Netzwerke von Assads Anhängern sowie die kurdischen Gruppierungen weiterhin Spannungen und Konflikte verursachen könnten. Meine größte Sorge in Bezug auf Syrien betrifft jedoch die ständigen Angriffe Israels. Diese Angriffe gefährden nicht nur die Stabilität des Landes, sondern wecken in mir die Angst, dass Syrien möglicherweise in noch schlimmere Gewalt gestürzt wird oder sogar Teile seines Territoriums verlieren könnte.Ich hoffe jedoch, dass die derzeitige Regierung, die von moralischen Werten und Respekt gegenüber dem syrischen Volk geprägt ist, das Land auf einen stabileren und hoffnungsvolleren Weg führen wird. Mein Glaube an eine positive Entwicklung ist gestützt auf die Menschlichkeit und die Fortschrittsbereitschaft der neuen Führung.Zurzeit bin ich in Deutschland eingebürgert und studiere an einer Universität, an der ich bald mein Studium abschließen werde. Außerdem arbeite ich in einer IT-Firma. Meine Integration in Deutschland ist erfolgreich verlaufen, und ich habe hier ein starkes soziales Netzwerk aus Freunden und beruflichen Kontakten aufgebaut. Diese Faktoren machen es für mich momentan unmöglich, nach Syrien zurückzukehren. Mein Studium abzuschließen und meine berufliche Laufbahn voranzutreiben, sind meine Priorität. Zudem ist die Lage in Syrien noch instabil, und es bleibt ungewiss, wie sich die politische und gesellschaftliche Situation entwickeln wird.In der Zukunft, wenn Syrien wieder stabil und sicher ist, plane ich, regelmäßig zwischen Syrien und Deutschland zu pendeln. Es ist mein Wunsch, möglicherweise Geschäftsbeziehungen zwischen beiden Ländern aufzubauen, um so einen Beitrag zur wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung beider Länder zu leisten. Syrien bleibt in meinem Herzen, und ich hoffe, eines Tages in ein Land zurückzukehren, das Frieden und Stabilität gefunden hat.Placeholder image-5Sundus AlkilaniSundus Alkilani (26) lebt seit neun Jahren in Deutschland und wohnt in Brandenburg.Es ist schwer in Worte zu fassen, was ich seit Assads Sturz fühle. Es ist eine Mischung aus Freude und Erleichterung, die man aber noch nicht wirklich realisiert hat. Ich habe davon mitten in der Nacht erfahren, und es fühlte sich ein bisschen wie ein Traum an.Jetzt, nachdem Assad weg ist, kann es nur besser werden. Es braucht viel Kraft, Achtsamkeit und vor allem Zusammenhalt. Ich bin 2015 nach Deutschland geflüchtet, 2021 bin ich eingebürgert worden und studiere momentan Medizin im dritten Semester. Darum werde ich auf jeden Fall erst einmal fertigstudieren, bevor ich über eine Rückkehr nach Syrien nachdenke. Eines weiß ich aber sicher: Ich werde beim Wiederaufbau des Landes helfen.Placeholder image-1Ali AhmadAli Ahmad ist 33 Jahre alt, wohnt in Berlin und lebt seit acht Jahren in Deutschland.Ich wohne seit fast acht Jahren in Berlin und bin inzwischen deutscher Staatsbürger. Deutschland ist meine zweite Heimat. Hier leben meine Freunde und Geschwister, die jetzt, wie ich, mit gemischten Gefühlen nach Syrien blicken.Der Traum ist endlich wahr: Assad ist gestürzt. Ich habe die letzten zehn Tage andauernd die Nachrichten verfolgt. Am Samstagabend kam ich nach einem langen Tag nach Hause zurück. Ich konnte lange nicht schlafen und bin erst nach Mitternacht aus Erschöpfung eingeschlafen – mit dem Gefühl, dass Assad in den nächsten Stunden stürzen wird. Am nächsten Morgen bin ich ganz früh aufgewacht und habe es gesehen: Er ist weg.Mit Assad gingen auch Angst, Verbrechen, Unrecht und Missbrauch. Die Menschen werden aus den Gefängnissen befreit. Und leider erfahren wir, dass viele Tausende in diesen Gefängnissen systematisch ermordet wurden.Wenn ich ehrlich bin, habe ich immer noch Sorgen, was in Syrien passieren wird. Ich kann noch nicht glauben, dass das alles wirklich geschehen ist. Aber ich weiß: Ich kann endlich, nach neun Jahren, wieder Syrien besuchen. Ich kann meine Familie und meine Freunde treffen. Das ist wie ein Traum für mich.Syrien muss jetzt wiederaufgebaut werden, und Wiederaufbau hat ein Rezept. Die Zutaten sind Gerechtigkeit, Menschenwürde, Bildung und ein gutes Gesundheitssystem. Wenn das gelingt, wird es in Syrien endlich Freiheit und Stabilität geben.Was mich wütend macht, sind die Forderungen rechter Parteien in Deutschland, jetzt Massenabschiebungen nach Syrien vorzunehmen. Das Land ist noch lange nicht sicher. Ob man nach Syrien zurückkehren möchte, ist eine persönliche Entscheidung. Jeder darf und soll für sich selbst entscheiden. Ich hoffe, dass niemand gezwungen wird, sein Leben und alles, was er hier aufgebaut hat, zu verlassen.Placeholder image-6Ghait ZarourGhaith Zarour (34) wohnt in Berlin und lebt seit 2012 in Deutschland.Wir haben jahrelang darauf gewartet, dass Assads System in Syrien stürzt. Als es so weit war, haben wir groß gefeiert, gejubelt – uns aber auch gesorgt. Im Moment herrscht weiter Chaos in Syrien. Wir erhoffen uns von den internationalen Kräften Unterstützung, unser Land neu aufzubauen.Ich selbst bin inzwischen in Deutschland eingebürgert und habe hier ein stabiles Leben. Ich wünsche mir aber sehr, dass ich nach Syrien zurückkann, um das Land wieder aufzubauen. Aber erst, wenn dort Stabilität herrscht.



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Von Veritatis

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