Von Onlineshop bis Weihnachtsmarkt: Der Tausch von Geld gegen Ware ist die Grundlage der heutigen Gesellschaft. Aber was genau tun wir da eigentlich? Ein Schaufensterbummel mit Karl Marx und Max Weber


Geld-Ware-Geld-Ware: Das Karussell muss laufen. Ist Ihnen schon schwindlig davon?

Collage: Johanna Goldmann, Material: Getty Images


Wir kaufen, kaufen, kaufen, wenn wir können, nicht nur zum Jahresende. Doch was passiert beim Kauf? Wessen Gestalt ist er? Was geht dabei in uns vor? Was tun wir da? Was stellen wir an und wie und warum immer und warum immer mehr? Kaufen ist obligat. Beim Erwerb und der Entäußerung von Waren sind Einkauf und Verkauf die absolute Norm. Um an Lebensmittel zu gelangen, sind wir fast ausnahmslos auf den Markt verwiesen, wo diese als Ware gehandelt werden. Kaufen ist für die Bürger moderner Gesellschaften wie Essen, Trinken, Schlafen, Bewegen: selbstverständlich. Aber verstehen wir es?

Kaufen können heißt, über Mittel zu verfügen, sich die Arbeit anderer aneignen zu dürfen. Der Akt des Kaufs ist die zentrale Aktion des gesellschaftlichen Sto

lichen Stoffwechsels, der wir als Akteure zur Verfügung stehen. Permanent. Schon das Kleinkind übersetzt sein „Will ich haben!“ in ein „Will ich kaufen!“. Wir können vielleicht entscheiden, was wir kaufen, nicht aber, dass wir kaufen. Fast abwegig wirkt da die Frage nach dem Warum. Sie verrückt die ganze Sichtweise und erscheint dem Alltagsverstand daher als verrückt. Unsere Aufgabe besteht darin, etwas als etwas anderes zu deuten und in einem Dritten zu erkennen, indem man es in einen Maßstab presst, der scheinbar reine Quantität hat. „Im Geld ist alle Verschiedenheit der Waren aufgelöst, weil es eben die ihnen gemeinsame Äquivalentform ist“, sagt Karl Marx.Man bekommt nicht, man nimmt nicht. Der Stoffwechsel bedarf eines bestimmten Rituals, es geht nicht schlicht um die Befriedigung von Bedürfnissen, es geht stets um monetäre Möglichkeiten. Nicht Güter sind an Produktionsstätten abzuholen oder einfach an Verteilungsstellen zu entnehmen, sondern Waren am Markt zu erwerben. Wenn wir etwas brauchen oder wollen, müssen wir es kaufen. Mittel der Aneignung ist das Geld. Kaufen heißt Geld gegen Ware einzutauschen. Der Käufer muss über die Mittel verfügen, sich als solcher am Markt zu behaupten. Aus der Herausforderung folgt ja noch nicht die Verwirklichung. Nicht alles, was verkäuflich ist, ist verkaufbar. Käufer sein ist jedenfalls keine in der Natur angelegte Eigenschaft, sondern eine kulturelle Formatierung, die zu einem Anspruch an alle geworden ist. So ewig alles an ihm erscheint, so ewig an ihm ist doch nichts.Das universelle Nadelöhr„Die wirkliche Zirkulation stellt sich zunächst dar als eine Masse zufällig nebeneinander laufender Käufe und Verkäufe. Im Kauf wie im Verkauf stehen sich Ware und Geld stets in derselben Beziehung gegenüber, der Verkäufer auf Seite der Ware, der Käufer auf Seite des Geldes“, heißt es bei Marx. „Zur Zirkulation gehört wesentlich, dass der Austausch als ein Prozess, ein flüssiges Ganzes von Käufern und Verkäufern erscheint.“ Die Frage, ob jemand flüssig ist, macht durchaus Sinn. Durch das Kaufen erschafft sich die Warengesellschaft immer wieder aufs Neue. Das Kaufen regelt, ja es ist der Zu- und Abfluss alltäglicher Reproduktion. So „erscheint die Zirkulation als ein schlicht unendlicher Prozess. Die Ware wird gegen Geld ausgetauscht; das Geld wird gegen die Ware ausgetauscht und dies wiederholt sich bis ins Unendliche. […] So wird Ware gegen Ware ausgetauscht, nur dass dieser Austausch ein vermittelter ist. Der Käufer wird wieder Verkäufer, und der Verkäufer wird wieder Käufer.“Gibt es keinen Käufer, gibt es auch keinen Verkäufer und umgekehrt. Käufer und Verkäufer können nicht ohne den anderen sein. Sie realisieren sich im Gegenüber. Käufer und Verkäufer bilden die Einheit der Tauscher. Die Welt des Geschäfts verbindet jeden mit jeder und alle mit allen, aber anonym. Es ist eine ungesellschaftliche Gesellschaftlichkeit, die uns das Kapital aufherrscht. Marx nannte die Zirkulation die „große gesellschaftliche Retorte“. Der Markt ist die große Synthese der kapitalistischen Produktionsweise. Dort wird alles hineingeworfen, um aufgrund monetärer Potenzen wieder verteilt zu werden. Nicht Welt und Bedürftigkeit sind das Kriterium, sondern der Markt und seine Kapazität. Das Schicksal der Menschen mag uns als Menschen nicht egal sein, aber als Verkäufer ist es uns das.Wir bürgerlichen Subjekte sind die Zirkulanten. Es ist uns Natur geworden, die Zirkulation am Laufen zu halten, sie anzuschieben. Es geht uns dabei nicht ums Brauchen oder Wollen, sondern ums Leisten-Können. Wie also komme ich zu Geld? Das kann nur, wer etwas zu verkaufen hat – oder von anderen Verkäufern oder der bürgerlichen Allgemeinheit alimentiert wird. Das Güterzukommen, die Habe, ist im Kapitalismus keine Frage einfachen, freien, gar bewussten Begehrens, sondern eine Scheidungsfrage entlang des monetären Vermögens.So müssen die Dinge des Lebens durch das Nadelöhr des Geldes. Zur Befriedigung dient nicht das, was da ist oder aufgebracht werden könnte, sondern nur das, was im Wert ideell gedoppelt und durch einen Preis reell abgelöst werden kann. Gegenstände werden nicht in erster Linie dafür hergestellt, Bedürfnissen zu dienen, sondern Geld zu machen. Kaufen befriedigt die Verwertung, die Versorgung der Menschen ist nachrangig.Beim Einkauf transformiert sich ein Geldhaber in einen Geldausgeber, die gleiche Person in einem jeweils anderen Aggregatzustand. Geldausgeber kann einer nur sein, solange er Geld hat oder ihm welches vorgeschossen wird. Ein Kredit heißt in diesem Realszenario, dass da einer dem anderen zutraut, einmal zurückzahlen zu können. Mit Geld macht der Geldgeber als Käufer den Geldnehmer als Verkäufer gefügig. Geld ist der rationelle Grund, eine Ware preiszugeben.Wo Abhängigkeit vom Geld oberstes Gesetz ist, ist Autonomie bloß bare Münze. „Unabhängigkeit“ heißt da der Glaube, genug Geld zu haben. Freisein heißt sich freikaufen zu können. Ibsens Nora sagt im ersten Akt des gleichnamigen Stücks, als sie noch an das Glück mit ihrem Advokaten glaubt: „Ja, es ist doch wunderschön, tüchtig viel Geld und keine Sorgen zu haben. Nicht wahr?“ Unabhängigkeit ergibt sich, indem man Abhängigkeit entschieden für sich nutzen kann. Das verstehen alle und wieder auch nicht. Sie agieren, weil es so ist, kapieren aber nicht, warum es so ist.Die Ware ist kein krudes Ding, sondern ein vertracktes soziales Verhältnis. Sie kann ihren gesellschaftlichen Auftrag nur adäquat erfüllen, wenn sie nicht bloß käuflich ist, sondern auch verkauft wird. Sie muss also alles daran setzen, dass sich dieses Mögliche auch realisiert. Das kann sie freilich nicht allein; sie braucht dazu ihr Personal: uns Warenhüter, uns Käufer/Verkäufer, uns alle. Wir stehen nicht nur in einem Dienstverhältnis zur Ware. Kauf und Verkauf sind unsere Lebenswelt, in der wir uns bewegen, die wir bewegen und die uns bewegt – stets im Dienst, stets zu Diensten.Gemeinsam gegeneinanderEs ist nicht so, dass ein Produkt zum Menschen will oder der Mensch ein Produkt möchte, sondern dass verdinglichte Warenbeziehungen fortwährend kommunizieren. Man ist in einem Kreislauf gefangen, und auch das Denken oder besser vielleicht: das Registrieren ist befangen in dieser mächtigen Form „ewigen“ Handelns, das nichts anderes als ein Handeln zu sein hat. Schon die sprachliche Doppelung dieses Begriffs für Unterschiedliches demonstriert die eminente Bedeutung dieses Terminus: Tun hat Handeln zu werden.Der Markt ist nicht der Ort gemeinsamer, also kommunistischer Erfüllung, sondern der Raum gegenseitiger Abgleichung, ein Zirkus, in dem kommerzieller Wettbewerb absolut gesetzt ist. Da treten Konkurrenten an, nicht Freunde auf. Die schmerzhafte Trennung der Konsumenten von den Produkten wird dort nicht aufgehoben, sondern Produkte werden als Waren freigekauft. Das uns entgegenkommende Produkt wird nicht als Gut geschätzt, sondern als Ware aufgefasst.Geld und Wert sind schon im Kopf der Leute, die am Markt als Käufer und Verkäufer auftreten und eben nicht als profane Bedürftige. Der Mensch wird nicht erst im Kaufakt zum Käufer, sondern er erfüllt in diesem Augenblick nur seine Funktion oder Pflicht, der er auch in Momenten unterliegt, in denen er sie nicht ausübt. Er ist als Käufer formiert, selbst dort, wo nicht unmittelbar der Markt regiert. Das kommerzielle Wesen betrachtet die Welt durch das Auge von Kauf und Verkauf. World and Business werden ihm eins. Seine Aufgabe als Kunde ist das Kundig-Sein, sich auszukennen in der Warenwelt.Sicher ist, dass man zahlen muss, und unsicher, ob man kann. Ist das Vermögen aufseiten des potenziellen Käufers vorhanden, ist es die Aufgabe des Verkäufers, dieses Vermögen in ein Kaufvorhaben zu transformieren. Das Sollen hat zum konkreten Wollen zu werden. Da hat der Verkäufer nachzuhelfen, irgendwie muss er es schaffen. Darüber entscheidet die Geschicklichkeit des Verkäufers von seinem Auftreten über seine Agitationskünste bis hin zur professionellen Bewerbung der Produkte. Der Verkäufer muss den Käufer von dessen eigenem Wollen überzeugen oder dieses erschaffen. Der Verkäufer hat am meisten dort zu gewinnen, wo er das Wollen in ein Müssen zuspitzt. Er muss dem potenziellen Käufer die Flucht verstellen.Der Einkauf ist durch die Menge des Salärs begrenzt, über das man verfügen kann oder von dem geglaubt wird, dass man darüber verfügen könnte. Ohne Verfügung mit Geld keine Fügung zum Kaufakt. Der Kauf relativiert die Bedürfnisse an der Liquidität. Nicht Bedürfnisse an sich bestimmen das ökonomische Feld, den Ausschlag gibt die Zahlungsfähigkeit. Ohne sie keine Transaktion. In letzter Instanz nimmt der Käufer als Käufer nicht sinnliche Möglichkeiten wahr, sondern monetäre Gelegenheiten. Wir sind daher weitgehend unfähig, etwas aufzufassen, ohne die Kosten zu denken. Unser Denken ist ein Denken in Preisen, ein primitives Reflektieren in und von Werten. Was das kosten wird? Was das gekostet haben mag? Oder: Wie komme ich auf meine Kosten? Permanent umschwirren solch ungemütliche Gedanken unseren Geist und verwandeln ihn in eine Rechenmaschine, der Kosten stets wichtiger sind als Folgen von Handlungen.Betrachten wir Waren, denken wir den Tauschwert nicht bloß mit. Wir begreifen und betätigen, ja empfinden ihn. So sind wir programmiert; es ist ein synthetischer Vorgang. Und dieser gleicht einem organischen Reflex, der den Instinkten nahekommt und sich daher auch als solcher betätigt. Die Kalkulation in den Geschäften folgt dem Gespür alltäglichen Handelns, den vielfachen Erfahrungen, die uns die Warenwelt gibt.Was will der Zirkulant? Als Käufer will er so billig wie möglich einkaufen, als Verkäufer will er so teuer wie möglich verkaufen. Was er als Verkäufer will, will er als Käufer nicht. Dieser Widerspruch muss im Tauschakt aufgehoben werden. Handeln meint, dass der Verkäufer die Ware anpreist und der Käufer sie abpreist, um sich idealtypisch doch auf ihren Wert zu einigen. Von Steuern und sonstigen Abgaben abgesehen, kann der Käufer nicht mehr oder weniger zahlen als der Verkäufer erhält. Sie müssen gegeneinander sein, aber zueinander finden, wenn das Geschäft sich realisieren soll. Auf den Preis müssen sie sich einigen. Vergesellschaftung durch Kauf funktioniert so, dass Käufer und Verkäufer etwas Gemeinsames vollziehen, aber nicht miteinander, sondern gegeneinander. Konfrontation ist unausweichlich. Ihr Aufeinandertreffen gleicht einem Kampf.Verträge schlagen VertrauenPreiskampf nennt sich das, zunehmend ist werblich vom Kampfpreis die Rede. Werbeschlacht, Absatzkrieg – die Sprachen der Wirtschaft und des Krieges verlaufen synchron. Wer auf Ware sitzen bleibt, hat das Nachsehen. Am Markt stehen sich die Teilnehmer als Kontrahenten, ja Feinde gegenüber. Max Weber sah das, als er nicht von Tauschpartnern schrieb, sondern von „Tauschgegnern“. Im Preis finden diese sodann einen Vergleich ihrer Wünsche und Möglichkeiten. Das Geschäft ist die Exekution des entsprechenden (Aus-)Handelns. Das Sich-Vertragen ist alles andere als selbstverständlich, es bedarf vielmehr eines gesonderten Vertrags, eines Kaufvertrags. Vertrauen kann unter solchen Bedingungen kaum gedeihen.Billig kaufen, teuer verkaufen! Dieses sich widersprechende Prinzip ist eine Zumutung. Jeder schaut in den Konfliktsituationen auf sich, nimmt Einbußen des anderen nicht nur in Kauf, sondern will sie ihm aktiv zufügen. Rücksichtnahme verursacht Kosten. Doch nicht nur Käufer und Verkäufer treten gegeneinander an, auch Verkäufer gegen Verkäufer, und ebenso Käufer gegen Käufer, etwa auf der Jagd nach billigen Produkten, Leistungen und Arbeitskräften. Der Gier nach Schnäppchen entsprechen die Sonderangebote, die feilgeboten werden. Sie befriedigen sie, weil sie sie hervorrufen. Schnäppchenjagd ist unser Grundkurs als Käufer.Was auf jeden Fall präsentiert wird: die Rechnung. Diese ist nicht bloß eine Bestätigung, sondern auch ein Zeugnis, das dem Käufer Rechenschaft über seinen Einkauf gibt, damit er die finanzielle Zweckmäßigkeit seines Tauschhandels überprüfen kann. Links steht der Gebrauchswert als Menge, Titel, Marke, rechts der Tauschwert, charakterisiert durch eine Zahl mit Komma, die den genauen Preis ausweist. Rechts unten auf dem Kassenbon sind die Posten zusammengezählt. Eine entsprechende Summe ist zu entäußern, um in den Besitz der Lebensmittel zu gelangen.Rechnung – das sagt uns: Das Äquivalenzprinzip sorgt für Gerechtigkeit, Gleiches muss mit Gleichem vergolten werden. Am Markt kann man nichts handeln, ohne eine Rechnung zu präsentieren und präsentiert zu bekommen. Das gemeine Wort Abrechnung spricht klar und deutlich aus, was da ökonomisch läuft. Max Weber hält fest: „Die Kapitalrechnung in ihrer formal rationalsten Gestalt setzt daher den Kampf des Menschen mit dem Menschen voraus.“ Die „offene Rechnung“ klingt im Alltag nach einer gefährlichen Drohung.Was sieht der Käufer, wenn er die Ware ansieht? Er sieht auf jeden Fall mehr, als er sieht, ohne sich freilich selbst zu sehen. Er begreift sich durchaus als Individuum, nicht als seriellen Träger einer Rolle. So souverän er sich auch gibt, so sieht er sich akkurat nicht in seinem Sein. Sind Sachlichkeit, Rationalität, Konstruktivität vielleicht gar Zwangsvorstellungen, Halluzinationen? Beim Kauf geht es wild zu in den Ganglien: Nicht „Was ist zu haben?“ ist die Frage, sondern „Was kann ich mir leisten?“.Der Gebrauchswert der Ware muss mit dem ähnlicher Waren verglichen werden. Die Ware ist bezüglich der eigenen Kaufkraft zu veranschlagen. Sie muss aber auch zum Warensortiment in Bezug gesetzt werden, das der Käufer erwerben will. Was braucht man notwendiger, was ist unverzichtbar, was leistbar? Daraus folgen Reihungen und Entscheidungen. Und weiter: Welches Produkt ist billiger? Welches lebt länger? Was sagen Erfahrungen? Was gefällt, schmeckt „einfach“ besser? Schließlich muss die Ware zur gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit in Beziehung gesetzt werden. Entspricht der Preis dem Wert, kurzum: Ist der Artikel preiswert?Diese und viele andere Fragen stellt der Warenkäufer ständig. Sie stellen sich ihm auch schlicht in den Weg und müssen beantwortet werden. Er braucht sie gar nicht zu formulieren, sie behaupten sich sowieso. Er hat sie intus. Ständig gilt es, Preise zu vergleichen, Listen zu studieren, Sonderangebote zu suchen oder durch Seiten zu surfen. Obgleich jene Gebote einem ja entgegenfliegen, öffnet man die Wohnungstür, das Postfach, den Browser. Billig davonkommen, (sich) teuer verkaufen, ist die Devise aller Warensubjekte. Dies ist ihre konstitutionelle Natur, sie ist gesellschaftlich vorgegeben, unhintergehbar.Die Waren- und Geldmonade ist darauf abgerichtet, permanent zu kalkulieren. Das geht quasi automatisch. Wir handeln wie im Affekt, weil der Handel zum Affekt geworden ist. Jeder Käufer wird so zum Spekulanten seiner Geldbörse. Das Einkaufen erscheint uns und ist auch ungemein komplex. Kaum eine andere Gewohnheit ist uns so vertraut. Die Allmacht der Konvention deckt das zu. Mit „Geld umgehen“ zu können, das ist eine entscheidende Kulturtechnik. Unzählige Spezialberufe haben sich diesbezüglich herausgebildet: Börsenspekulanten, Steuerberater, Versicherungsmakler, Bankangestellte, Kassiererinnen, Mahnabteilungen, Finanzbehörden, aber auch Finanzierungs- oder Schuldenberater und so weiter. Es wäre interessant, wie hoch der Prozentsatz an menschlicher Gesamttätigkeit ist, der das „Umgehen mit Geld“ betrifft – vermutlich ein sehr erheblicher Teil: Der direkte Dienst am Geld als Gelddienst ist zum vorherrschenden Berufsfeld geworden. Die Gesellschaft mag sich säkularisiert haben, doch nie gab es so viele Priester und Orden.Im Kaufen offenbart sich tagtäglich eine fetischistische Bezüglichkeit der Menschen zu ihren Leistungen und Produkten. Aus dieser fetischistischen Bezüglichkeit wird eine eherne Beziehung. „Wenn“, so Karl Marx, „die Tauschwerte in den Preisen ideell in Geld verwandelt werden, werden sie im Tausch, im Kauf und Verkauf, reell in Geld verwandelt, gegen Geld umgetauscht, um sich als Geld dann wieder gegen Ware umzutauschen“. Die prägende Sonderstellung des Werts offenbart sich darin, dass der Waren- und Geldfetisch mit geradezu drückender Vehemenz auf den gesellschaftlichen Gliedern – egal ob Exponenten oder Exponaten – lastet.Waren nicht zu kaufen, nicht mit Geld zu hantieren, das kann sich niemand erlauben. Ohne dass dies verboten wäre, endet an diesem Punkt jede Freiheit. Ins Gotteshaus, in Wettbüros, in Peep-Shows wird man allemal gelockt, aber hineingezwungen wird niemand; ins Kaufhaus und in die Bank jedoch schon. Ob reell oder virtuell ist da ganz egal. Dazu bedarf es weder eines Befehls noch einer Aufforderung, ja nicht einmal eines Hinweises. So wenig wir davon auch wissen, wir wissen alle, was zu tun ist und dass es genau so zu sein hat. – Oder?Franz Schandl ist Publizist in Wien und Redakteur der Zeitschrift Streifzüge



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Von Veritatis

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