Unter Stalin, dem sowjetischen Diktator, geschah es regelmäßig: Wer in Ungnade fiel, verschwand nicht nur physisch, sondern auch aus der Geschichte. Gesichter wurden aus Fotos gelöscht, Namen aus Büchern getilgt – als hätte es diese Menschen nie gegeben. Der Sozialist, der für die willkürliche und brutale Vernichtung von Millionen verantwortlich ist, machte die Vergangenheit zur Verfügungsmasse der Mächtigen.
Natürlich wäre es absurd, solche Schrecken mit aktuellen Erzeugnissen gleichzusetzen – denn es würde sie verharmlosen. Doch das Ausradieren unliebsamer Geschichte und Geschichten durch den Massenmörder im Kreml erinnert in beklemmender Weise an das, was im digitalen Zeitalter geschieht – wenn auch in einer ganz neuen Form. Ein Freund schickte mir heute einen Artikel aus dem „Overton-Magazin“, der sich genau damit befasst. Und auch wenn der Text schon einige Tage alt ist – als ich ihn las, sagte ich mir sofort: Das musst du aufgreifen!
Denn was da steht, ist ungeheuerlich: Telepolis, eines der ältesten Online-Magazine Deutschlands, hat kurzerhand alle Artikel gelöscht, die dort vor 2021 erschienen sind. Es handelt sich nach Schätzungen um sage und schreibe mindestens 50.000 Texte. Die sind nun einfach weg – wie von Geisterhand ausgelöscht. Wie die Weggefährten Stalins, die plötzlich auf Bildern wegretuschiert wurden.
Besonders bizarr – und in seinem Zynismus ebenso etwas, was an den Sozialismus und das System erinnert, für das Stalin stand: Offiziell wird diese massive Zensur-Aktion auch noch als „Qualitätsoffensive“ verkauft. Die dreiste Begründung dahinter: Man könne bei den alten Artikeln „für deren Qualität nicht pauschal garantieren“. In Wirklichkeit handelt es sich um Geschichtskorrektur und betreutes Lesen.
Wenn man dem absurden Maßstab der neuen Telepolis-Macher folgt und ihre Denkweise weiterspinnt, müsste man konsequenterweise ganze Bibliotheken ausmisten. Man sollte dann wohl auch die Werke von Goethe und Schiller verbannen, weil ihre Sprache und ihre Ansichten nicht mehr zeitgemäß sind. Oder Philosophen wie Kant und Nietzsche, deren Gedanken heute vielen kritisch aufstoßen, weil sie in unserer verrückten Zeit sensiblen Linken als problematisch erscheinen? Und was ist mit Musik? Wollen wir Wagner aus den Konzerthäusern verbannen, weil seine Weltanschauung nicht mehr in unsere Zeit passt? Oder Musiker wie Bob Dylan oder die Rolling Stones, deren Songtexte heute als kontrovers gelten könnten – oder neudeutsch „diskriminierend“?
Die nächste Konsequenz wäre, alte Filme zu löschen, weil sie Stereotype enthalten, die heute als politisch unkorrekt gelten. Vielleicht ein Disclaimer vor der Mona Lisa, weil da Vinci nie ein modernes Antidiskriminierungstraining durchlaufen hat? Das Perverse an solchen Vernichtungs-Ideen ist: All diese Werke, ob Texte, Musik oder Kunst, sind Teil unserer Geschichte. Man muss sie eben gerade bewahren, um aus ihnen zu lernen – und sie eben nicht nachträglich umschreiben oder verschwinden lassen.
Doch genau das passiert hier, bei Telepolis. Vor unseren Augen. Statt stolz auf die eigene Geschichte zu sein, statt Licht und Schatten aus früherer Zeit gleichermaßen zu bewahren, wird sie ausgelöscht – und das unter dem Deckmantel einer „Qualitätsoffensive“. Diese Logik ist so grotesk, dass sie sich selbst ad absurdum führt.
Florian Rötzer, Gründer von Telepolis, nennt den Schritt denn auch „stalinistische Cancel Culture“ und warnt davor, „fast 25 Jahre Geschichte zu löschen“, um sich vor dem politischen Zeitgeist in den Staub zu werfen. Die Autorin Sabine Schiffer sieht den „Anfang vom Ende“ eines Projekts, das einst für kontroverse, mutige Inhalte bekannt war. Doch genau diese „einst kontroversen“ Texte, die übrigens immer gut belegt werden mussten, sind nun verschwunden.
Statt sich kritisch mit ihr und damit auch sich selbst auseinanderzusetzen, löscht Telepolis ein Stück deutscher Mediengeschichte. Als eine Art Augenwischerei ist nebulös von „Bewerten und Überarbeiten“ die Rede. Doch was bitte soll das konkret heißen? Sollen Texte umgeschrieben werden? Wer entscheidet, was heute „noch Mehrwert“ bietet – und was nicht? Wer soll, wer darf sich zum Richter aufschwingen?
Besonders bezeichnend ist, wie der neue Chefredakteur Harald Neuber seine „Qualitätsmaßstäbe“ rechtfertigt: mit einer Bewertung von NewsGuard, einem dubiosen US-Portal, das Teil staatlich orchestrierter Zensurkampagnen ist, gegen kritische Medien wie meine Seite hetzt und in einer Liga spielt mit „Correctiv“ und all den anderen Wahrheits-Wächtern. Was für ein Zufall – oder etwa nicht?
Was hier passiert, ist ein Lehrstück darüber, wie unter dem Diktat des rot-grün-woken Zeitgeists mit der Vergangenheit umgegangen wird. Denn wer die Vergangenheit löscht oder „überarbeitet“, kontrolliert den Rahmen dessen, was heute und morgen gedacht werden darf.
Es mag im digitalen Zeitalter neue Methoden geben. Doch der Gedanke dahinter ist alt: Kontrolle durch Löschung. Mein Freund hat Recht: Es wird immer klarer, wo der Hase hinläuft. Und wer das zulässt, wird irgendwann feststellen, dass nicht nur Geschichte verschwindet – sondern auch die Freiheit, sie zu erzählen. Wer die Vergangenheit auslöscht, reißt nicht nur Wurzeln aus – er sägt damit auch an der Zukunft. Und das ist fatal.
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