Wenn ein Wahlkampf, in dem Robert Habeck als Spitzenkandidat antritt, und die Valentinstagszeit zusammenfallen – dann ist in den Herzen der Polit-Journalisten Kernschmelze. Doch eigentlich braucht es dafür keinen Valentinstag. Wenn sich in den Redaktionen dieses Landes die Chance ergibt, über den Kanzlerkandidaten ihrer Herzen zu schreiben, ist jeder Tag ein Tag der Liebe. In ihren Liebesbeweisen sind den Journalisten dabei keine Grenzen gesetzt.

Auch wenn die Deutlichkeit dieser Liebesbeweise immer weiter eskaliert, gehen die ersten öffentlichen Liebesbriefe unter dem Deckmantel des „Feuilletons“, der Rubrik „Gesellschaft“ oder vermeintlicher Ironie schon mindestens bis ins Jahr 2017 zurück, als die SZ das Bilder-Interview „Sagen Sie jetzt nichts, Robert Habeck“ veröffentlichte. Man stellte ihm Fragen wie: „Beeindrucken Sie die vielen Komplimente über Ihr Äußeres?“ Und er sollte allein durch Mimik und Gestik antworten. 

Oder 2019, als Habeck zu Gast beim Brigitte Live Talk war und von der Brigitte-Chefredakteurin höchstselbst und einer weiteren Kollegin des Frauenmagazins in die Mangel genommen wurde, mit harten Fragen wie: „Wie schaffen Sie das?“, mit Bezug auf sein enormes Arbeitspensum, das er doch so heldenhaft meistern würde. 

Als er nach seinen Vorbildern gefragt wurde, nannte er noch vor Albert Camus und Rudi Dutschke seinen Kindheitshelden Robin Hood – allerdings explizit in der Disney-Zeichentrick-Version, in der Hood und die holde Maid Marian Füchse sind, der Sheriff von Nottingham ein Wolf und die Zofe der Marian – Lady Kluck – ein korpulentes Hühnchen. Die beiden Journalistinnen kicherten.

Es ist kein neues Phänomen. Und ich habe es bereits selbst oft kommentiert. Aber was soll ich sagen – ich bin doch auch nur eine Journalistin. Wenn sich mir die Gelegenheit bietet, über Habeck zu schreiben, sage ich natürlich auch nicht nein. Auch wenn ich dabei nicht unbedingt Herzchen in den Augen habe. 

Meine letzte Abhandlung ist erst wenige Monate her, doch es gibt wieder so schöne neue Beispiele, da muss ich mich einfach der Habeck-Manie hingeben. Welche besseren Beschäftigungen gibt es denn auch sonst am Valentinstag? Vielleicht kam Ihnen das Konzept des SZ-Bilder-Interviews gerade merkwürdig bekannt vor. So seltsam Déjà-vu-mäßig. Das könnte daran liegen, dass die SZ sich nicht zu schade war, das gleiche Konzept vergangene Woche direkt noch einmal zu wiederholen. Aus Transparenzgründen sollte man vielleicht anmerken, dass die „Sagen Sie jetzt nichts“-Reihe, deren Titel klingt wie ein Casablanca-Zitat, nicht eigens für Habeck geschaffen wurde. 

Es handelt sich dabei um ein wiederkehrendes Format, in dem aber vor allem Promis aus der Unterhaltungsbranche interviewt werden. Paddington Bär ließ sich dabei beispielsweise ablichten, auch der Comedian Atze Schröder. Auch Scholz hat sich dem sogar schon hergegeben, anders als Habeck wurde er aber nicht auf seine Reaktion auf die vielen Komplimente seines Äußerem gefragt, sondern: „Wie geht es Ihnen damit, dass Sie bei ganz vielen unbeliebt sind?“ 

Auch im zweiten Durchlauf bekommt Habeck solche Fragen nicht gestellt. Viele Fragen, die er gestellt bekommt, sind gleich, zum Beispiel „Wer wäre der beste Kanzler?“ oder „Auf einer Skala von 1 – 10, wie stark sind Ihre Selbstzweifel?“ – Roberts Antwort darauf: Das Peace-Zeichen. Bei „Wie treten Sie den Feinden der Demokratie entgegen?“ nimmt Habeck eine Kung-Fu-Fighter-Pose ein und man fragt sich, ob er von Selbstzweifeln überhaupt jemals etwas gehört hat. Dann kommt „Ihr Flirtgesicht?“ und er schmunzelt in die Kamera. 

Holt mich persönlich nicht ab und bekommt am 23. von meiner Seite auch ganz klar einen Korb, doch man spürt regelrecht, wie die Herzen der SZ-Journalistinnen und Journalisten höher schlagen. Der Zeitungsausschnitt hängt sicher über mehr als nur einem Bett. Die Genderung war übrigens gerade Absicht, denn die männlichen Exemplare können sich hier nicht aus der Affäre ziehen. 

Finden Sie denn Robert Habeck heiß, Herr Feldenkirchen? 

Ein weiteres schönes Beispiel fand ich nämlich ausgerechnet bei Markus Feldenkirchen, im Rahmen seiner Spiegel-Interview-Reihe „Spitzenkandidatengespräche“. Er greift darin auf Spielchen zurück, die wohl niveauvoll unterhaltsam sein sollen, aber eigentlich nur die Brigitte-Politik-Redaktion, die bestimmt bald einen Sternzeichen-Wahlomaten veröffentlichen wird, hoch seriös aussehen lässt. Die Haushaltsprioritäten werden sogenanntes „Haushaltspoker“ repräsentiert, ein Spiel, bei dem die Gäste Pokerchips an durch Playmobil-Figuren dargestellte Themengebiete verteilen und zum Schluss dürfen auch noch alle in ein Freundschaftsbuch schreiben. 

Der Fokus auf den vermeintlichen Unterhaltungswert zieht sich durch die gesamte Sendung und alle bekommen Fragen gestellt, die eher an eine Pyjamaparty in der siebten Klasse erinnern. Mit Jan van Aken und Christian Lindner kommen trotzdem auch ernsthaftere politische Diskussionen zustande, mit mal provokanteren Fragen, mal versöhnlicheren. Doch dann kommt das Interview mit Sahra Wagenknecht und man hat das Gefühl, Feldenkirchen sucht verzweifelt eine beste Freundin. 

Lindner durfte noch Fragen beantworten wie: „Heinrich Mann oder Thomas Mann?“ Wagenknecht wird gefragt, was ihr Lieblingsspa sei – sie kann die Frage nicht beantworten, da sie wegen ihrer Bekanntheit nicht ins Spa gehen kann – oder bei welchem Film sie das letzte Mal geweint habe. 

Dann kommt das große Finale und ich traue meinen Ohren kaum: Ob es denn nicht doch etwas gäbe, das sie an Robert Habeck „heiß“ finde. Er fragt das ganz selbstverständlich. Robert Habeck ist in seinen Augen ganz objektiv gesehen „heiß“ – so heiß, dass doch auch eine verheiratete Frau Mitte 50 doch irgendwas an ihm heiß finden muss und gar nicht anders kann, als das in aller Öffentlichkeit auszuplaudern. 

Sahra Wagenknecht beantwortet das kühl. Die Frage würde unterstellen, dass sie irgendwas an Robert Habeck heiß finden würde, doch dieser Mann sei nicht ihr Typ. Und wenn man sich ihre (Ex-)Männer anschaut, muss man schon feststellen, dass ihr nun wirklich kaum unterstellt werden kann, dass sie direkt hin und weg ist, wenn ein Mann eine jugendliche Frisur hat. Ihre diplomatischen Herumschlängel-Fähigkeiten sind so gut, dass man sich schon dabei ertappt, ihr wirklich zuzutrauen, dass sie den Ukraine-Krieg mit Diplomatie beenden könnte. 

Wo treiben Sie sich denn nur im Handtuch bekleidet gerne rum, Herr Feldenkirchen? Welche Politikerin finden Sie denn heiß? Haben Sie sich Habeck als Sticker in den Spind geklebt? Kuscheln Sie gerne? (Auch eine Frage, die er Wagenknecht stellte.) Und mit wem? Bei welchem Film haben Sie das letzte Mal geheult? Kann man Ihnen noch etwas bringen? Taschentücher, Tampons? 

Dieses ganze Konzept, Politikern lustige Fragen zu stellen, sie auch mal menschlich darzustellen, war vielleicht vor 20 Jahren mal ganz interessant. Guido Westerwelle beim Haushaltspoker hätte Potenzial, unterhaltsam zu sein. Oder mal die menschliche Seite von Konrad Adenauer oder Helmut Schmidt kennenzulernen. Inzwischen findet man vor lauter Spaßfragen, duzen hier und kuscheln da, aber die ernsthaften Diskurse kaum noch. Die deutsche Politik schwankt zwischen Panikstörung und Kindergarten hin und her. 

Heute kommen die Nazis zurück, weil die CDU einen Antrag im Bundestag eingebracht hat, morgen spielen wir mit Playmobil. In diesem Wahlkampf wird doch so gerne von der „Mitte“ gesprochen. Dann lasst uns im Diskurs doch bitte etwas finden, das zwischen Atomschutzbunker und Kinderspielplatz liegt. Und bitte, bitte, bitte, liebe Journalisten-Kollegen, ich flehe euch an – bitte schwärmt Habeck im Stillen an und behaltet es einfach für euch. Das habe ich damals bei meinem ersten Schwarm in der siebten Klasse auch hinbekommen. Ich glaub an euch!

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Von Veritatis

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