Nach Taiwan und Nepal führt jetzt auch Thailand die „Ehe für alle“ ein. Aktivist*in Charlotte hat dafür lange gekämpft – und viel ihrer Oma zu verdanken


Am 23. Januar war es soweit: Homo-und transexuelle Paare ließen sich zu Hunderten in Thailands Hauptstadt trauen

Foto: Jirasak Jivawavatanawanit/AP/dpa


An den Ufern des Stadtkanals im Bangkoker Viertel Talat Noi liegen riesige Eidechsen in der Sonne. Sie springen ins Wasser und trocken sich am Ufer. Gegenüber, im Café des Hotels „Ago Chinatown“, ist es dank der Klimaanlage frisch, fast kalt. Aus den Fenstern sind die Reptilien gut zu sehen.

Um die Mittagszeit ist in der Hauptstadt Thailands eigentlich Zeit für die Siesta. Aber dafür hat Ratanon Kuiyoksuy, auch bekannt als Charlotte, keine Zeit. An diesem Mittag arbeitet die 22-jährige Aktivist*in mit einer Freundin im Hotelrestaurant. Sie trinken Smoothies und tragen weiße T-Shirts, auf denen in bunter Schrift „Liebe gewinnt“ auf Thailändisch und Englisch steht. Laptops, Flyer und Notizbücher liegen vor ihnen auf dem Tisch, fa

Tisch, fast so, als wären sie im eigenen Büro. Die beiden sind Teil der Initiative „Bangkok Pride“. Sie organisierten im Februar des vergangenen Jahres die Kampagne für die Legalisierung der „Ehe für alle“, die einen Monat später einen ersten Erfolg erreichte. Am 27. März billigte das Unterhaus in Bangkok mit überwältigender Mehrheit den Gesetzentwurf. Charlotte gehörte dem interdisziplinären Ausschuss an, der damit beauftragt war, den Gesetzentwurf zu überprüfen.Schläge in der SchuleDank des jungen Politikers Pita Limjaroenrat von der beliebten Fortschrittspartei, der sich persönlich für die Belange der queeren Community einsetzte, konnte die Partei mit weiteren Oppositionsparteien eine Koalitionsregierung bilden, die das Land in die Moderne führen will und in diesem Rahmen die neue Gesetzgebung vorangetrieben hatte.Das neue Ehegesetz ist nun am 22. Januar in Kraft getreten, 120 Tage nach der Unterzeichung durch König Rama. Hunderte Paare ließen sich gleich an diesem Tag im Rahmen einer Massenhochzeit in Bangkok trauen. Charlotte hatte lange dafür gekämpft, jetzt ist ihr Traum wahr geworden.Geboren und aufgewachsen ist Charlotte in Hat-Yai, eine große Stadt an der malaysischen Grenze, im Süden Thailands. Charlotte wuchs bei einer Oma auf, die Charlotte genderneutral erzog, erzählt die Aktivist*in. „Sie hatte meine Mutter mit 20 Jahren auf die Welt gebracht. Sie war eine einfache Frau, trotzdem hat sie mich nie gezwungen, mich ‚männlich‘ zu benehmen. Bis heute sind wir uns sehr nah“.Aus dem Elternhaus musste Charlotte ausziehen – zu viele Konflikte gab es aufgrund der Geschlechtsidentität. Charlottes Eltern würden „irgendwie wissen“, dass Charlotte zur LGBTIQ*-Community gehöre, doch sie fragten nicht, was das bedeutet. Dafür waren sie zu sehr mit Charlottes vier jüngeren Geschwistern und der engen finanziellen Situation der Familie beschäftigt. „Sie hatten die Hoffnung, ich könne die Familie retten“, erzählt Charlotte. „Sie sind für mich heute eher wie Bekannte. Sie sind nicht glücklich mit der Person, die ich geworden bin. Aber ich bin es.“Während der Schulzeit fing Charlotte an, sich Fragen über die eigene Sexualität und Geschlechtsidentität zu stellen. „Am Anfang dachte ich, dass etwas mit mir nicht stimmte und ich mich verstecken müsste”. Die Oma stand Charlotte bei, die Eltern nicht.Mit 17 habe Charlotte angefangen, sich politisch zu engagieren. Zuerst gegen das Schulsystem und dann für die Rechte der LGBTIQ*-Community, besonders für die „Ehe für alle“. Vor drei Jahren hat Charlotte die „Feminist Group Mermaid – Southern Feminist Liberation’s Front“ sowie die erste Bangkok-Pride-Demo mitbegründet.Placeholder image-1Laut thailändischer Medienberichte waren 2024 etwa 200.000 Besucher*innen bei der Bangkok Pride dabei, in den Jahren zuvor waren es mehrere zehntausend gewesen. Die Chancen stehen gut, dass Thailand 2030 den World Pride ausrichten darf. Zu der riesigen Parade am vergangenen 1. Juni auf den Straßen der Hauptstadt gab es neben Diskussionen zum Thema Inklusion und Teilhabe auch Drag-Shows und die Wahl von „Miss Trans Thailand“.Das Event gelte nicht nur als Statement für Vielfalt und Selbstbestimmung, sondern helfe auch „enorm, die langjährige Lobbyarbeit der Aktivist*innen sichtbar zu machen“, sagt Charlotte.Auch wenn Thailand nach außen hin sein progressivstes Gesicht zeigt, was die Rechte von Queeren angeht, sei Diskriminierung auch auf institutionellem Niveau im Land noch weitverbreitet, zum Beispiel im Schulsystem.Trans Personen sind Bürger*innen zweiter KlasseStrikte Regeln würden junge LGBTIQ*-Menschen besonders betreffen. „Als non- binäre Person war ich zum Beispiel dazu verpflichtet, einen konformen Haarschnitt und eine Uniform zu tragen, die meinem biologischen Geschlecht zugeordnet sind“, sagt Charlotte. „Ich wurde oft von anderen Studierenden und Lehrkräften gemobbt und auch teilweise physisch angegriffen. Manche Lehrer*innen schlagen dich, wenn du dich nicht an die Regeln hältst“, sagt Charlotte und hat keine Zweifel: „Das war queerfeindlich motiviert.“Charlotte wollte eigentlich in Bangkok studieren, doch dazu reichte das familiäre Budget nicht. Jetzt besitzt Charlottes Familie ein Restaurant und schafft es, Charlotte mit Geld zu unterstützen. Den Rest bekomme Charlotte mit Workshops und freiberuflichen Jobs zusammen.Die Menschen sind in den Großstädten offener als auf dem Land. LGBTIQ*-Bars sind als touristische Attraktion konzipiert, wie im Stadtteil Silom im Zentrum Bangkoks. Queere Menschen würden sich aber eher im Privaten treffen. Das Land hat insgesamt ein kompliziertes Verhältnis zu seiner Transgender-Gemeinschaft. Obwohl oft sichtbarer als in anderen Gesellschaften, werden sogenannte „Ladyboys“ (für Transfrauen) oder „Tomboys“ (für Transmänner, aber auch für Frauen, die „maskulin“ aussehen) als Bürger*innen zweiter Klasse betrachtet. Sie dürfen nicht alle Berufe ausüben und sind regelmäßiger Diskriminierung ausgesetzt.Trans Personen dürfen ihr Geschlecht nicht auf ihren Personalausweisen ändern. Diejenigen, die als Männer geboren wurden, können zum Militärdienst eingezogen werden. Trans Frauen müssen medizinische Untersuchungen über sich ergehen lassen, um zu beweisen, dass sie ihre Geschlechtsangleichung nicht vortäuschen. Oder ein Armeekrankenhaus muss bescheinigen, dass sie eine „Störung“ haben.Online sei der Hass und die Gewaltbereitschaft ebenfalls spürbar. „Thailand stellt sich seit langem als Verfechter der Geschlechtergleichstellung dar und ist auf internationaler Ebene verschiedene Verpflichtungen zum Schutz der Rechte von Frauen und LGBTIQ* Personen eingegangen“, sagte Chanatip Tatiyakaroonwong, Regonialexperte für Thailand bei Amnesty International. Die Realität sehe jedoch so aus, dass Frauen und LGBTIQ*-Aktivist*innen in Thailand nach wie vor mit schwerer geschlechtsspezifischer Gewalt konfrontiert seien, die durch die digitale Technologie ermöglicht werde, so der Experte. Der Amnesty-Bericht von 2024 Being Ourselves is Too Dangerous („Wir selbst zu sein ist zu gefährlich“) dokumentiert, wie Aktivist*innen von staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren mit digitaler Überwachung und Online-Belästigung ins Visier genommen werden.Auch wenn es in Bangkok, wo Charlotte seit drei Jahren mit Lebenspartner*in wohnt, und „relativ sicher“ sei, seien Angriffe und Diskriminierung nach wie vor präsent: „Wenn du eine ‚Dyke‘ bist, wollen sie dich korrigieren. Und wenn du eine Transfrau bist, halten die Menschen sich vorn dir fern, so, als ob du Unglück bringen würdest.“Thailand ist nach Taiwan und Nepal das dritte Land in Asien, in dem alle, unabhängig vom biologischen Geschlecht, heiraten können. Doch auch damit wäre noch längst nicht alles getan, sagt Charlotte. „Im tiefsten Herzen der thailändischen Gesellschaft werden queere Menschen zwar toleriert, sind aber noch nicht als Teil davon anerkannt“, sagt Charlotte, deshalb blieben viele im Alltag lieber weniger sichtbar.Charlotte ist optimistisch und hofft, dass in den nächsten Jahren auch gesellschaftlich mit der „Ehe für Alle“ eine spürbare Veränderung eintritt.



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Von Veritatis

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