Die Unterscheidung zwischen Mord und Totschlag geht auf den Nationalsozialismus zurück. Man wollte Menschen ahnden die nicht zum Volk gehörten: Mörder eben. Bis heute arbeiten Strafgerichte mit dieser Unterscheidung. Zeit für einer Reform!
Es geht um Taten, nicht um Täter!
Illustration: Hanneke Rozemuller
Vor 80 Jahren ging das Nazireich unter. 24 Justizminister hat die Bundesrepublik seither gesehen. Doch nach wie vor klingt ein wichtiger Strafrechtsparagraf wie aus dem Mund von Roland Freisler, dem berüchtigten Scharfrichter des Hitlerreiches. Das ist kein Ruhmesblatt für die scheidende Regierung aus SPD, Grünen und FDP – wenn auch erklärbar.
In jenem Paragrafen 211 StGB geht es nämlich um Mord. Daran verbrennt man sich schnell politisch die Finger. Sollte aber vorauseilende Rücksichtnahme auf eine angenommene Vox Populi Einfluss darauf haben, wie der Rechtsstaat mit der schwersten Straftat umgeht? Misst sich nicht genau daran seine Qualität?
Konkret gibt es aus meiner Sicht zwei besonders drängende Probleme mit dem Mordparagrafen. Das erste zei
en. Das erste zeigt seine Sprache: „Der Mörder“, steht da, „wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.“ Und „Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier (…), heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen tötet“: Paragraf 211 – und 212 zum Totschlag, sind die einzigen Strafrechtsbestimmungen, die nicht Taten definieren, sondern Täter. Das ist ein Nazi-Relikt. Zuvor hieß es: „Wer vorsätzlich einen Menschen tödtet, wird, wenn er die Tödtung mit Ueberlegung ausgeführt hat, wegen Mordes“ bestraft.Dass sich dieses Zielen auf den Täter gehalten hat, ist rechtsgeschichtlich keine Petitesse. War doch, wie eben Freisler 1941 schrieb, „die gesetzgeberische Umreißung von Verbrecherpersönlichkeiten“ zentral für den „Rechtsgedanken“ der Nazis: Sie wollten nicht Taten ahnden, sondern im „Volkskörper“ den Menschenschlag isolieren, der angeblich zu bestimmten Taten neigte. Unumstritten ist daher in weiten Teilen der Fachwelt, dass diese Spuren der „Tätertypenlehre“ zu tilgen sind. Warum passiert dann aber nichts? Es wäre doch nur ein symbolischer Federstrich?Spekulieren ist erlaubt: Lässt man vom Mordparagrafen deshalb die Finger, weil es ein zweites, heikleres Problem mit ihm gibt, das dann auch auf die Agenda drängte? Mord, so steht es da, „wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft“. Dem Gericht ist also zwingend ein Strafmaß vorgegeben. Das steht in Spannung zu Paragraf 46 des Strafgesetzbuches, der das Kerngeschäft von Strafgerichtsbarkeit beschreibt: eine am Schuldprinzip orientierte Strafzumessung, die aber „Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind“, ausreichend berücksichtigt. Das „Lebenslang und Punkt!“ des Paragrafen 211 lässt für diese von Gerichten zugleich geforderten Abwägungen keinen Raum.Wie könnten diese Abwägungen aussehen? Als Ersatz für die Todesstrafe heißt „Lebenslang“ bis heute zunächst lebenslang. Es gibt zwar inzwischen die Möglichkeit von Bewährung nach frühestens 15 Jahren. Doch auch Haftstrafen von 20 Jahren können inhuman wirken. Das kann so weit gehen, dass sich diese Menschen nicht mehr in die Außenwelt trauen; es gibt Suizide in dessen Folge. Hinsichtlich des im Strafvollzug geltenden Resozialisierungsziels ist bereits die Tatsache kritisch, dass Menschen auf zunächst unbestimmte Zeit inhaftiert werden: Das macht perspektivlos, Maßnahmen zur Wiedereingliederung werden oft zu spät eingeleitet. Und die landläufige Annahme, dass mit dem prinzipiellen „Lebenslang“ zwingend eine höhere Präventionswirkung verbunden sei als etwa mit einer Strafdrohung von 15 Jahren, konnte bisher nicht belegt werden.Hängen nun beide Probleme – Täter-Fokussierung und Strafmaßdogma – am Ende gar unterschwellig zusammen? Auch die als „Fortschrittskoalition“ gestartete Ampel hatte nicht vor, sich solchen Fragen zu stellen. Immerhin geplant war aber die Minimallösung einer sprachlichen Neufassung. Dann kam der liberale „D-Day“ – und nun steht gar zu fürchten, dass Kräfte an Einfluss gewinnen, denen jene „Tätertypenlehre“ so fremd gar nicht sein mag: einstweilen kein Ende in Sicht.Lorenz Bode ist Staatsanwalt und lebt in Magdeburg. Hier stellt er ausschließlich seine persönliche Meinung zur Diskussion