Sarah-Lee Heinrich trat bei den Grünen aus, um eine neue linke Organisation aufzubauen. Ein Gespräch über den Rechtstrend ihrer Ex-Partei, Fehler der Ampel und ihre politischen Pläne für das Frühjahr


Sarah-Lee Heinrich: „Habeck signalisiert gegenüber der Union, dass er bei deren Vorhaben mitmachen würde“

Foto: Elias Keilhauer


Im Endspurt des Bundestagswahlkampfes wird mit harten Bandagen gekämpft. Auch innerhalb des Mitte-links-Lagers: In sozialen Medien versuchen die Grünen mittlerweile verstärkt, die Abwanderung ihrer ehemaligen Wähler zur Linken zu stoppen; die wiederum kontert selbstbewusst. Zugleich gibt es eine Debatte über Sinn und Unsinn von taktischem Wählen. Die Ex-Grüne Sarah-Lee Heinrich hat sich bereits entschieden: In einem Aufruf äußert sie starke Kritik an SPD und Grünen und erklärt, Die Linke wählen zu wollen. Der Freitag hat bei der Abtrünnigen nachgefragt, welche Hoffnung sie in die Partei setzt, was es gegen den gesellschaftlichen Rechtsruck braucht und wie es mit ihrer Organisation „Zeit für was Neues“ weiterg

;nen und erklärt, Die Linke wählen zu wollen. Der Freitag hat bei der Abtrünnigen nachgefragt, welche Hoffnung sie in die Partei setzt, was es gegen den gesellschaftlichen Rechtsruck braucht und wie es mit ihrer Organisation „Zeit für was Neues“ weitergeht.der Freitag: Frau Heinrich, Sie waren zwei Jahre lang eine Bundessprecherin der Grünen Jugend, im vergangenen Jahr sind Sie aus der Partei ausgetreten. Was halten Sie vom aktuellen Wahlkampf der Grünen?Sarah-Lee Heinrich: Ich versuche nicht ständig zu schauen, wie es dem Ex-Freund geht. Ich bin auch froh, dass ich raus bin. Die letzten Entwicklungen bei den Grünen und ihr Verhalten im Wahlkampf sind für mich vorhersehbar gewesen. Auf der einen Seite glänzen sie mit progressiven Forderungen, dann gehen sie im nächsten Moment wieder in die komplett andere Richtung. Ihre Strategie ist es, allen irgendwie etwas anzubieten.Was meinen Sie mit „allen“?Für die Grünen gibt es keine Klassengesellschaft, sie wollen also Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmer*innen, Vermieter*innen und Mieter*innen, Arm und Reich die Hand reichen. Ihre reale Politik wird im Wahlkampf dabei besser dargestellt, als sie in Wirklichkeit war – auch von denjenigen, die in der Ampel-Regierungszeit ein Problem mit diesem Kurs hatten. Ich frage mich dann immer, welche Ansatzpunkte diese Leute sehen, dass die nächste Legislatur anders werden würde. Ich sehe diese nicht – deswegen bin ich auch ausgetreten.In der Ampel-Regierung hatten die Grünen die Reform des europäischen Asylsystems mitgetragen, nun hat Robert Habeck einen Zehn-Punkte-Plan vorgeschlagen, der weitere Verschärfungen in der Migrationspolitik vorsieht. Driftet die Partei nach rechts?Diese Entwicklung bei den Grünen fand in der ganzen Zeit der Ampel statt. Der 10-Punkte-„Sicherheitsplan“ ist nur ein Ausdruck davon, kein qualitativer Unterschied. Habeck signalisiert dabei jetzt gegenüber der Union, dass er bei deren Vorhaben mitmachen würde. Das kenne ich von den Grünen bereits von früher.Es gibt einige Menschen, die überlegen, ob sie bei der Bundestagswahl aus taktischen Gründen Grüne oder SPD wählen sollten, um diese gegenüber der Union in eine bessere Verhandlungsposition zu bringen. Ist das aus Ihrer Sicht sinnvoll?Leute glauben, dass dadurch in der Regierung etwas anders wird. Und sicher, die Grünen können bestimmt auch mal einen kleinen Erfolg erringen, ich will das gar nicht in Abrede stellen. Real wurde aber das, was die Grünen wirklich an Schlimmerem verhindern konnten, auch in der Ampel-Regierung immer kleiner – eben, weil es einen gesellschaftlichen Rechtsruck gab. Und Rechtsruck bedeutet, dass auch Mitte-Links-Parteien rechte Positionen vertreten und sie legitimieren.Rechtsruck bedeutet, dass auch Mitte-Links-Parteien rechte Positionen vertreten und sie legitimieren.Das klingt, als könnten die Grünen oder die SPD in Zeiten des Rechtsrucks gar nicht anders als mit nach rechts zu rücken?Die Grünen und die SPD haben als meinungsbildende Kraft im Land natürlich einen Einfluss. Sie tun aber immer so, als ob es aufgrund der vermeintlichen gesellschaftlichen Stimmung nicht möglich wäre, eine andere, sozialere, linke Politik zu machen. Wenn die jeweiligen Anhänger*innen sehen, dass beide Parteien dann eine rechte Politik mittragen, denken sie, dass es schon nicht so schlimm sein kann. Gerade die Grünen und die SPD haben es so geschafft, dass mittlerweile mehr Leute akzeptieren, dass Abschiebungen die einzige Lösung für all unsere Probleme sein sollen. Ich möchte mich auch sicher in meiner Umgebung fühlen und Attentate jeder Form jagen mir Angst ein. Ich finde, dass in den letzten Wochen wieder ein Sicherheits- und Kontrollgefühl durch eine restriktive Migrationspolitik suggeriert wird, das nur enttäuscht werden kann. Und ich glaube, gerade Grüne und SPD wissen das eigentlich auch.Hätten die Grünen also nicht mit der SPD und FDP regieren sollen?Wir hatten bereits damals als Grüne Jugend die Sorge, dass bei der Ampel-Regierung die soziale Frage so ungeklärt ist, dass alle progressiven Anliegen dadurch in Gefahr geraten. Ich habe immer wieder Grüne gefragt, was es ihnen bringt, über das Wirtschaftsministerium ein paar Solar-Panels zu bauen, wenn zeitgleich die Mehrheitsverhältnisse aber so schlecht sind, dass die nächste Bundesregierung alle Vorhaben einfach wieder abräumen kann. Und was ist nun? Wir haben nicht ohne Grund einen Wahlkampf, in dem Klimapolitik keine Rolle spielt. Es ist das Narrativ entstanden, dass Klimaschutz die Menschen ärmer macht und schlecht für sie ist. Das hätte nicht entstehen müssen.Bei der Kommunikation zum Heizungsgesetz hat Robert Habeck nicht den Eindruck vermittelt, die Sorgen der Menschen mit mittleren und geringeren Einkommen ernst zu nehmen.Die Leute spüren genau, dass diese Bundesregierung in der sozialen Frage nicht geliefert hat. Ein Heizungsgesetz, das nicht klärt, wer die Veränderungen bezahlt, ist eine blöde Idee. Da kann man sich noch so sehr über die Kampagnen der Fossil-Lobby beschweren. Ich war damals nah dran an den Debatten. Der Grund, dass diese Fragen lange Zeit nicht geklärt waren, lag nicht an der FDP, sondern daran, dass die Ampel den Konflikt mit der Kapitalseite nicht wollte. Das ist mein Problem mit den Grünen und der SPD – und deswegen finde ich es auch so schrecklich, dass sie nun alles Versagen darauf schieben, wie schlecht es mit der FDP lief. Ich kann nicht sagen, ob es ohne die Ampel schlimmer gewesen wäre.Ich kann nicht sagen, ob es ohne die Ampel schlimmer gewesen wäre.Sie haben kürzlich dazu aufgerufen, bei der Bundestagswahl Die Linke zu wählen. Wo bietet diese bessere Chancen für einen Wandel?Vorab: Das ist mein persönlicher Wahlaufruf, nicht der von meiner neuen Organisation. Zugleich weiß ich: Wir können uns Veränderungen nicht herbei wählen. Die Macht hat nicht, wer an der Regierung ist, sondern wer es schafft, gesellschaftliche Verankerung zu ermöglichen, aus der Gegenmacht erwächst. Für mich ist die Frage daher, ob die Linke dafür hilfreich sein kann.Und kann sie?Aus meiner Sicht ist das noch nicht geklärt. Bei der Linken gibt es gerade Veränderung, Erneuerung und auch eine Auseinandersetzung um die Frage, wer man sein möchte. Die Linke hat ein Potenzial, wenn sie sich dem gesellschaftlichen Machtaufbau von unten widmet, und nicht, wenn sie versucht, eine bessere SPD oder bessere Grüne zu sein. Die Menschen, die innerhalb der Linken um dieses Ziel ringen, können das nach meiner Einschätzung besser, wenn die Partei in den Bundestag einzieht. Kann sie damit letztlich Teil einer oppositionellen Bewegung von unten sein, die Macht herausfordern und etwas positiv für die Menschen verändern? Ich weiß es nicht, sie muss sich entscheiden. Ich wähle aber den Versuch. Mir geht es jedenfalls nicht einfach darum, eine soziale Stimme im Bundestag zu haben oder von Rot-Rot-Grün zu träumen.Wäre dann beispielsweise eine große Koalition mit einer Linken als Teil der Opposition wirklich besser für die Menschen mit niedrigeren Einkommen im Land? Unabhängig der Regierungskonstellation glaube ich, dass es für Menschen mit niedrigem Einkommen in diesem Land besser wäre, gäbe es eine Kraft, in der und mit der wir uns gemeinsam für soziale Verbesserungen in unserem Leben einsetzen. Denn darin sehe ich eine Chance dafür, dass sich wirklich Dinge verändern können. Egal, wer dann in der Regierung ist.Auch bei der Linken spielt aktuell das Thema Klimaschutz im Wahlkampf keine große Rolle. Haben Sie Sorge, dass es langfristig in der Partei wieder herunterfallen könnte?Mir geht es nicht darum, welch einen programmatischen Punkt die Linkspartei vertritt oder welche Plakate sie gerade aufhängt. Die Frage ist doch: Wie können wir eine Kraft aufbauen, um gesellschaftliche Mehrheiten für bestimmte Punkte zu erreichen? Das ist mehr eine strategische Frage.Sie haben im vergangenen Jahr mit ehemaligen Mitstreiter*innen aus der Grünen Jugend die linke Organisation „Zeit für was Neues“ gegründet. Was passiert dort aktuell?Wir haben uns die Frage gestellt, was es braucht, um als politische Linke wieder in die Offensive zu kommen. Wir suchen erste Ansätze in der gesellschaftlichen Selbstorganisierung: Wir wollen insbesondere junge Menschen ansprechen, die nicht schon links sind, sondern aufgrund ihrer sozialen Interessen vor Ort gemeinsam mit uns zusammenarbeiten. Im Frühjahr wollen wir eine Konferenz organisieren, in der wir uns einen Plan für das nächste halbe Jahr geben. Es soll auch ein neuer Name bestimmt und ein Vorstand gewählt werden. Nach der Gründungsphase kommen wir dann in eine Aufbauphase.Wird es eine stärkere Zusammenarbeit mit der Linkspartei geben?Beim aktuellen Wahlkampf haben wir gesagt, dass sich alle bei uns politisch öffentlich äußern oder an der Wahl beteiligen können, wie sie möchten. Manche machen es, andere nicht. Um bei uns mitzumachen, ist das Verhältnis zur Linkspartei nicht wichtig. Gerade wollen wir vor allem konkrete Solidaritätserfahrungen unter jungen Menschen vor Ort ermöglichen und mehr darüber lernen, was Linke in diesen Zeiten eigentlich tun können und sollten. Das wollen wir auch gern mit allen anderen diskutieren, die das interessiert. Ob sich dabei in Zukunft Schnittmengen mit anderen Akteuren in der politischen Linken ergeben, werden wir sehen. Wir wollen uns fragen: Wie können wir ein Team bilden, mit den Menschen, die von den Verhältnissen die Schnauze voll haben, und mit ihnen gemeinsam etwas verändern? Diese Aufgabe bleibt unabhängig von der nächsten Bundesregierung.





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Von Veritatis

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