Zu hohe Zinsen, fehlende Investitionen und falsche Vorurteile über Wirtschaftspolitik: Auch die nächste Regierung wird keinen Aufschwung bringen. Wenn wir die Schuldenbremse nicht ersatzlos aus dem Grundgesetz streichen, sind wir verloren


Wahrscheinlich nicht

Abbildung: der Freitag


Auch wenn die Rhetorik von „Politikwechsel“ und „Wirtschaftswende“ anderes nahelegt, ist nach dieser Wahl kein Aufschwung zu erwarten. Es sind ja nur zwei Konstellationen denkbar, unter denen eine stabile Regierung gebildet werden kann. Erstens die verstaubte und gar nicht mehr große Koalition aus CDU und SPD und zweitens die politisch noch immer tabuisierte Koalition von CDU und AfD.

Betrachtet man die Wahlprogramme der dabei beteiligten Parteien, können beide Varianten das nicht leisten, was Deutschland am dringendsten braucht: eine ernst zu nehmende Diagnose der ökonomischen Lage und eine Therapie, die an die Diagnose anknüpft und sich nicht nur aus Vorurteilen speist. Die einfachste Kennzahl kennen alle. Das deutsche Bruttoinlandsprodukt ist z

Lage und eine Therapie, die an die Diagnose anknüpft und sich nicht nur aus Vorurteilen speist. Die einfachste Kennzahl kennen alle. Das deutsche Bruttoinlandsprodukt ist zwei Jahre hintereinander gesunken. Aber danach geht es bei den Politikern sofort auf die Mikroebene, wo man über die Probleme einzelner Unternehmen, über Bürokratieabbau oder schnellere Genehmigungsverfahren philosophiert. Wettbewerbsfähigkeit ist das Äußerste an gesamtwirtschaftlichen Überlegungen, was man sich leistet, aber auch die führt nicht weiter.Wer wirklich etwas ändern will, muss größer denken, und er muss die Ursachen für Europa als Ganzes suchen. Warum investieren die Unternehmen nicht? Warum ist die Nachfrage der privaten Haushalte so schwach? Wieso schaffen es nur die USA, sich der weltweiten Wachstumsschwäche zu entziehen?Die EZB-Politik ist schädlichNehmen wir die Investitionen. Wer über Investitionen redet, muss über die Zinsen reden. Nur die von der Europäischen Zentralbank (EZB) gesetzten Zinsen haben eine Wirkung, die groß genug ist, die Verhältnisse in der gesamten Volkswirtschaft zu ändern. Zinsen kommen aber in praktisch keinem Parteiprogramm vor, weil die Parteien diese wichtige Aufgabe der Zentralbank überlassen, denn die ist autonom. Aber nur, wenn der Staat weiß, was die Zentralbank macht und wie sie wirkt, kann er seine Instrumente so einsetzen, dass vielleicht doch ein gesamtwirtschaftlich angemessenes Ergebnis herauskommt. Ist die Geldpolitik falsch, braucht man gar nicht darauf zu hoffen, mit Klein-Klein-Politik etwas zu erreichen.Derzeit und auf absehbare Zeit ist die Politik der EZB falsch. Es gibt keine Inflationsgefahr mehr, aber die EZB wartet ab. Einer der besten Frühindikatoren für die allgemeine Inflationsentwicklung sind die Erzeugerpreise in der Industrie, und die sind bereits seit zwei Jahren konstant, weisen also eine Zuwachsrate von null auf, wenn man die stark schwankenden Energiepreise herausrechnet. Die Erzeugerpreise (ohne Energie) haben sich von Anfang 2023 bis November 2024 praktisch nicht bewegt. Das bedeutet nichts anderes, als dass der Wettbewerbsdruck in ganz Europa und in Deutschland so hoch ist, dass es den Industrieunternehmen trotz zuletzt kräftig steigender Löhne schon seit fast zwei Jahren nicht mehr gelingt, die Preise anzuheben. Die Gewinne sind also deutlich gesunken.Gleichzeitig sind in ganz Europa die Industrieproduktion und die Umsätze rückläufig, auch wenn das in anderen Ländern etwas weniger stark als in Deutschland der Fall ist. Deshalb sind die Renditeerwartungen der Unternehmen in diesem entscheidenden Bereich für den Durchschnitt der Volkswirtschaft eindeutig negativ. Bei Druck auf die Gewinne und einem Rückgang der Produktion in den Bereichen, von denen man sich vor allem eine höhere Produktivität und eine dynamische Investitionstätigkeit verspricht, führt ein Zins von deutlich über zwei Prozent vonseiten der Notenbank unweigerlich zu einer drastischen Reduktion der Investitionstätigkeit. Das erleben wir zurzeit.Bürokratieabbau? Deregulierung? Belebt die Nachfrage nicht!Hier kommt die übrige Wirtschaftspolitik ins Spiel. Das Einzige, was bei stagnierender oder gar sinkender Produktion und zu hohen Zinsen helfen könnte, wäre eine allgemeine Belebung der Nachfrage. Nur sie könnte die Renditeerwartungen in der ganzen Breite der Volkswirtschaft verbessern. Bürokratieabbau, Deregulierung und weniger staatliche Aufwendungen für den Klimawandel bewirken im Zweifel genau das Gegenteil, können aber auf keinen Fall die Wirkung hoher Zinsen ausgleichen.Auch „strukturelle Maßnahmen“, welcher Art auch immer, sind niemals wirkungsvoll, wenn die Renditeerwartungen der Unternehmen insgesamt negativ sind. Die viel beschworene Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit kann einem Land helfen, aber nur zulasten eines anderen – und der eigenen Binnennachfrage.Nötig ist eine Neuverschuldung, mit der zusätzliche staatliche Ausgaben finanziert werden. Nur sie können, wie in den USA seit einigen Jahren zu beobachten, einen Nettoeffekt haben, der groß genug ist, um eine Wirtschaft anzuschieben, die von der Geldpolitik gebremst wird. Alles andere ist Augenwischerei, Symbolpolitik und die Verschiebung von Geld von der einen Tasche in die andere.Was die Ampelregierung falsch gemacht hatNur Ausgaben, die nicht „gegenfinanziert“ werden, sei es durch die Kürzung staatlicher Ausgaben oder durch Steuererhöhungen, können die notwendige positive Wirkung entfalten. Gegenfinanzierung bedeutet nämlich, dass die Nachfrage sinkt. Und dadurch verringern sich die Gewinne der Unternehmen um die Summe, die man einzusparen versucht. Wer die Schuldenbremse einhalten will, ist von vorneherein verloren.Vor vielen Jahren prägte Karl Schiller, von 1966 bis 1972 erster Bundeswirtschaftsminister der SPD, das Wort „Globalsteuerung“. Darum genau geht es. Die Versuche der Ampelregierung, immer mal wieder dem einen oder anderen Unternehmen unter die Arme zu greifen, waren sinnlos und gefährlich. Man braucht sich vonseiten der Wirtschaftspolitik um kein einzelnes Unternehmen Gedanken zu machen. Managementfehler zu korrigieren, ist nicht Aufgabe der Politik. Auch gegenfinanzierte Subventionen zur Senkung der Strompreise oder Prämien für Investitionen kann man sich sparen, weil beides ebenfalls niemals eine durchgreifende Wirkung für die ganze Wirtschaft entfalten kann.Woran also wird jede der Parteikonstellationen scheitern, die derzeit möglich sind? An den vorherrschenden Vorurteilen über staatliche Schulden, die eine Wirtschaftswende praktisch unmöglich machen. Die SPD will die Schuldenbremse zwar reformieren, aber CDU und CSU weigern sich. Die Union wird, selbst wenn sie am Ende leichten Lockerungen zustimmt, niemals das tun, was wirklich notwendig wäre, nämlich die ersatzlose Streichung dieser Wirtschaftsbremse aus dem Grundgesetz.Jährliche Neuersparnis in Deutschland: 250 Milliarden EuroLeider ist die Konfusion um Schulden und Sparen in Deutschland gewaltig. Niemand sollte glauben, sie ließe sich im Zuge von irgendwelchen Koalitionsverhandlungen überwinden. „Geld ist da“, schreibt beispielsweise die Süddeutsche Zeitung, um Deutschlands Stärken zu beschreiben. Man verweist auf neun Billionen Euro an Geldvermögen, über das die deutschen Privathaushalte verfügen. Das Geld sei Kapital, das man verwenden könne, um die Wirtschaft anzuschieben, wenn man nur die Weichen richtig stelle. Doch das ist Unsinn, denn alles, was an Geldvermögen vorhanden ist, ist längst gebunden in Krediten. Den neun Billionen Geldvermögen stehen neun Billionen an Schulden gegenüber, die vor allem vom Staat und von ausländischen Schuldnern eingegangen wurden. Weil Deutschland über zwei Jahrzehnte hohe Leistungsbilanzüberschüsse verzeichnet, ist das Ausland der wichtigste Schuldner geworden.Wer wissen will, wie viel „Geld da ist“, muss sich die jährliche Neuersparnis anschauen. Die ist größenmäßig in der Tat auch nicht von schlechten Eltern, liegt nämlich bei etwa 250 Milliarden pro Jahr. Hier muss man ansetzen. Da die 250 Milliarden unmittelbar Nachfrageausfall für die Unternehmen bedeuten, kann nur eine Politik erfolgreich sein, die sich aktiv um diese gewaltige Nachfragelücke kümmert.„Von den USA lernen“ heißt: Schulden machenBisher hat das Ausland diese Lücke fast im Alleingang gefüllt, aber das ist Merkantilismus und wird das Zeitalter des Donald Trump nicht überleben. Wem es nicht gelingt, mit nationalen Maßnahmen, also mit nationalen Schulden, die eigenen Unternehmen vor diesem jährlichen Spartsunami zu schützen, hat keine Chance auf eine gedeihliche wirtschaftliche Entwicklung.Es kann doch nicht sein, werden viele sagen, dass man nur mit hohen staatlichen Schulden über die Runden kommen kann. Doch, es kann sein. Es ist sogar absolut zwingend. Zwar könnten die Unternehmen die Rolle des Schuldners übernehmen, so wie das in den 1950er und 1960er Jahren des vergangenen Jahrhunderts der Fall war. Aber seit zwanzig Jahren sind die Unternehmen selbst fast überall auf der Welt zu Sparern geworden, verschärfen also ihr eigenes Nachfrageproblem, statt es zu lösen.Die USA sind in den vergangenen zehn Jahren nur deswegen so viel besser als der Rest der Welt in Sachen Wirtschaftsentwicklung gewesen, weil sie sich keinerlei Restriktionen für die staatlichen Schulden unterworfen haben. In der Tat liegt die staatliche Schuldenquote in den USA derzeit bei 120 Prozent, ein Wert, bei dem Europa vollends die Fassung verlöre.Private Ersparnisse sind nicht die Lösung, sondern das ProblemDie Aufgabe der neuen deutschen Regierung ist im Grunde einfach: Sie muss sich umfassend über ihre Möglichkeiten informieren, intelligente Ökonomen einstellen und der deutschen Bevölkerung einen Crashkurs in moderner Volkswirtschaftslehre verpassen.Nur wenn die Masse der Menschen beginnt zu begreifen, dass ihre Ersparnisse nicht die Lösung, sondern das Problem sind, kann es einen Schwenk hin zu erfolgreicher Wirtschaftspolitik geben. Dann könnte Deutschland auch wieder eine Führungsrolle in Europa übernehmen. Auch die europäische Schuldenbremse muss weg und ersetzt werden durch einen Mechanismus, der Rücksicht nimmt auf die jeweiligen nationalen Ersparnisse.Die Wahrscheinlichkeit, dass all das passiert, liegt allerdings ganz nahe bei null. Die deutschen Parteien sind intellektuell nicht so aufgestellt, dass sie in der Lage wären, über ihre eigenen langen Schatten zu springen. Die SPD hängt immer noch ihrer Agenda-Politik nach, die das Ausland zu Schuldnern gemacht hat, und möchte das gern noch hundert Jahre weiterführen.Einen Aufschwung wird es mit der Groko nicht gebenDie Union ist niemals über das geistige Niveau der schwäbischen Hausfrau hinausgekommen und ist sogar stolz darauf. Folglich werden sich die Verhandlungen um eine schwarz-rote Koalition um kleine und kleinste Reformen an der Schuldenbremse drehen, und Europa wird einfach vergessen. Einen Aufschwung, der den Namen verdient, wird es nicht geben, von einem Boom ganz zu schweigen. Profitieren wird davon vor allem die AfD.Obwohl diese Partei noch viel dogmatischer als die CDU in Sachen Schulden ist, wird sie sich dem Bürger erfolgreich als eine wirkliche Alternative verkaufen. Besser wäre es folglich, die CDU würde gleich jetzt mit der AfD koalieren und eine konservative Regierung auf die Beine stellen. Die wirtschaftspolitischen Programme der beiden Parteien sind fast deckungsgleich. Diese würde hundertprozentig in Sachen Wirtschaftspolitik kläglich scheitern.Dann wüsste in vier Jahren jeder, der es wissen will, dass es rechts der Mitte kein Konzept für einen Aufschwung der Wirtschaft gibt. Ein Ende mit Schrecken ist manchmal besser als ein Schrecken ohne Ende.



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Von Veritatis

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