Friedrich Merz steht für das zweitniedrigste Bundestagswahlergebnis seiner Partei. Es ist klar, wem er das zu verdanken hat
CDU-Chef Friedrich Merz, hier noch mitten im Wahlkampf
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Plötzlich ist Friedrich Merz für eine Mehrheit mit den Grünen im Bundestag ganz offen. Robert Habeck hat den Vorschlag am Vormittag gemacht, die SPD signalisierte Bereitschaft und am Montagmittag nach der Wahl sagt CDU-Chef Merz im Konrad-Adenauer-Haus, noch sei Zeit bis zum 24. März. Mit den drei Ampel-Parteien will er schnell „vertrauensvolle Gespräche“ führen. Denn zu seinem großen Bedauern hätten die ganz Linken und die ganz Rechten im nächsten Bundestag eine Sperrminorität gegen Änderungen am Grundgesetz, für die es zwei Drittel aller Abgeordneten braucht.
So findet sich die Linkspartei nach der Wahl auf dieselbe Seite der Brandmauer gestellt wie die AfD wieder, während sich auf der anderen eine schwarz-rot-gr
gen am Grundgesetz, für die es zwei Drittel aller Abgeordneten braucht.So findet sich die Linkspartei nach der Wahl auf dieselbe Seite der Brandmauer gestellt wie die AfD wieder, während sich auf der anderen eine schwarz-rot-grün-gelbe Zwei-Drittel-Mehrheit im alten Bundestag formiert. Die soll, wenn nicht für eine Reform der Schuldenbremse, so doch zumindest für ein neues Sondervermögen oder die Ausweitung des alten zugunsten der Bundeswehr stimmen.Nur Thorsten Frei bremst noch ein wenig, der Parlamentarische Geschäftsführer der Union, heiß gehandelt als Fraktionschef oder Minister: Der Staat solle eigentlich mit den Einnahmen auskommen, die er von den Steuerzahlern erhält. Genau so hatte es AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel am Morgen ausgedrückt: Ein Staatshaushalt sei wie der eines Unternehmens zu führen.AfD hat alle Direktmandate im Osten Deutschlands gewonnenDen heißen Atem der AfD spürt keiner so sehr im Nacken wie die Union nach dieser Bundestagswahl. Im Merz-Wahlkreis im Hochsauerland liegen die Rechtsextremen als zweitstärkste Kraft bei 17 Prozent, mit der CDU zusammen reichte es fast schon für eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Die ist in der Oberpfalz in Markus Söders Bayern schon überschritten, in Deggendorf etwa: 39 Prozent CSU, 29 Prozent AfD. 400 Kilometer weiter nördlich hat AfD-Co-Chef Tino Chrupalla seinen sächsischen Wahlkreis in Görlitz mit fast 50 Prozent gewonnen.Die CDU kommt hier noch auf 20 Prozent, wie in Sachsen-Anhalt, wo die AfD mit knapp doppelt so vielen Zweitstimmen stärkste Kraft ist und im Sommer nächsten Jahres der Landtag neu gewählt wird. Außer in Erfurt, Leipzig und Potsdam hat die AfD bei dieser Bundestagswahl alle Direktmandate in den ostdeutschen Ländern gewonnen, die CDU kein einziges. Daher rührt jene Sperrminorität, mit der sich die Union nun auseinandersetzen muss, nach ihrem zweitschlechtesten Ergebnis bei einer Bundestagswahl nach 2021.Der geschasste Mario Czaja„Wir machen uns allergrößte Sorgen, was da im Osten geschieht“, hat Merz nach der Bundestagswahl gesagt: „Gehen Sie mal davon aus, dass wir uns ganz intensiv damit auseinandersetzen werden.“ Doch wenn Merz sich mit dem Osten auseinandersetzt, ist das in etwa so, als würde Markus Söder die Radwegplanung in Berlin-Kreuzberg übernehmen – gerade in Berlin, aber in dessen Osten, lässt sich das gut besehen.Hier, in Marzahn-Hellersdorf, hat gerade der Mann sein Direktmandat verloren, der so gut wie kein Zweiter wusste, wie der ostdeutschen Volkspartei AfD beizukommen wäre, dafür jedoch von seiner Partei mit höhnischer Arroganz bedacht wurde: Für Mario Czaja, 49, hatte seine Berliner CDU nicht mal mehr einen Listenplatz für die Bundestagswahl übrig. 2021 hatte er der Linken in Marzahn-Hellersdorf das Direktmandat abgenommen.Merz holte Czaja, Katholik wie er selbst, in die Bundesparteizentrale, machte ihn zu seinem Generalsekretär: „Er ist der Einzige von allen Wahlkreisabgeordneten der Union, der Zuwächse bei den Erststimmen erzielt hat“, sagte der CDU-Chef damals. Doch anderthalb Jahre später schasste Merz Czaja wieder und ersetzte ihn durch Carsten Linnemann, den Prototyp des marktradikalen Westdeutschen, wie Merz selbst einer ist.Ein Wahlkampf, wie Czaja ihn mit dem Plakat „Mehr Diplomatie statt Taurus“ und dem als „Putin-Versteher“ geschmähten ehemaligen Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat, auf einem Podium geführt hat, wäre für Merz im Sauerland sicher undenkbar. Und nicht in jedem Wahlkreis leben wie in Marzahn-Hellersdorf 35.000 Russlanddeutsche, für die eine zweisprachige Bürgersprechstunde lohnt.Im Ruhrgebiet ist die SPD immer noch stärkste KraftDoch wollte der designierte Bundeskanzler sich wirklich mit dem Osten auseinandersetzen, die Lektüre von Kapiteln wie „Die USA – weniger verlässlich“ und „Das außenpolitische Know-how des Ostens liegt brach“ in Czajas 2024 veröffentlichtem Buch Wie der Osten Deutschland rettet. Lösungen für ein neues Miteinander könnten für Merz in dieser Weltlage womöglich wertvoll sein. Das Vorwort zu Czajas Buch hat Gregor Gysi geschrieben.Außenpolitisch aber liegt Friedrich Merz erst einmal daran, Israels Premierminister nach Deutschland einzuladen und den Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs gegen Benjamin Netanjahu zu ignorieren. Wie wohl die SPD als vorgesehener Koalitionspartner der Union damit umzugehen gedenkt?Spätestens wenn die Sozialdemokraten in ihrer Hochburg, dem Ruhrgebiet, Wahlkreise an die AfD verloren hätten, würden sie sich seinen politischen Vorstellungen schon fügen, hat Merz noch im TV-Duell mit Olaf Scholz gefeixt. Ganz so weit ist es noch nicht, das rote Band zwischen Dortmund und Duisburg auf der Erststimmen-Karte wird zwar blasser, in Duisburg II etwa überholt vielmehr die AfD die CDU, landet aber noch hinter der SPD.Doch Friedrich Merz hat schon etwas anderes gefunden, was er den Sozialdemokraten vorhält, um ihnen Zugeständnisse abzupressen: den „Arbeitnehmer“-Wahlkreis Wolfsburg, mit VW-Hauptwerk und starker IG Metall, in dem die SPD von 42 auf 28 Prozent abstürzt und ihn an die CDU verliert. „Das sollte nun wirklich Grund und Anlass genug sein für die Sozialdemokraten, mit uns über die Wirtschaftspolitik, vor allem die Zukunft der Industrie in Deutschland zu sprechen“, sagt Merz.Steuersenkungen vor allem für Unternehmen und die Einkommensstärksten, die Abschaffung des Bürgergelds und eine restriktive Migrationspolitik, der sich die SPD im Bundestag jüngst noch zu widersetzen vorgab – am jetzt rein niedersächsischen Machtzentrum der SPD muss das nicht scheitern. Parteichef Lars Klingbeil, der für das schlechteste Bundestagswahlergebnis der Sozialdemokraten noch mit dem Amt des Fraktionschefs belohnt wird, und Boris Pistorius, den der konservative Seeheimer Kreis gern als Kanzlerkandidat gehabt hätte, sind alles andere als Parteilinke.Party für Erstwähler in der EinkaufsmallDie Frage ist nur, wofür man die SPD dann eigentlich noch wählen soll. Aber die stellt sich ja nicht erst seit gestern. Klingbeil will die SPD als „Partei der arbeitenden Mitte“ neu profilieren und die „Kommunikation“ verbessern, um „die junge Generation“ besser zu erreichen. Bei den 18- bis 24-Jährigen kam die SPD noch auf elf, CDU und CSU auf 13 Prozent. Junge Menschen wählen jetzt die Linkspartei (26 Prozent), aber weiter auch AfD (21 Prozent).In Marzahn-Hellersdorf hatte Mario Czaja am Freitagabend vor der Wahl noch zu einer Erstwählern vorbehaltenen Party in der Shoppingmall Eastgate eingeladen, mehr als 100 Jugendliche meldeten sich an. Sein Direktmandat hat er um weniger als 500 Stimmen an den besonders üblen AfD-Rechtsaußen-Kandidaten Gottfried Curio verloren, eingeflogen aus Steglitz-Zehlendorf in West-Berlin.Einer der wenigen aus der CDU, die Czaja im Wahlkampf noch unterstützten, war Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer. Der hatte seine Partei bei der Landtagswahl im Herbst noch einmal knapp vor der AfD ins Ziel gebracht. In Dresden aber muss er längst als Chef einer Minderheitsregierung amtieren.