Friedrich Merz höchstpersönlich hat der Bundesregierung 551 Fragen zu 12 NGOs gestellt. Will er sich für die Anti-Rechts-Proteste rächen? Warum sein Handeln an Viktor Orbán erinnert und ein Schutz demokratischer Initiativen notwendig ist


Offensichtlich ein CDU-Feindbild: Omas gegen Rechts demonstrieren am 8. Februar 2025 auf dem Domshof in Bremen

Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa/picture alliance


Noch bevor es überhaupt zu Koalitionsgesprächen zur Bildung einer neuen Bundesregierung gekommen ist – voraussichtlich angeführt von CDU-Chef Friedrich Merz – gibt es bereits einen ersten Schock: Insgesamt 551 Fragen hat die Union an die Bundesregierung zur Finanzierung von gemeinnützigen Organisationen gestellt, nur einen Tag nach der Bundestagswahl und unterzeichnet neben CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt von Merz persönlich. Dass solch ein umfassender Angriff auf die kritische Zivilgesellschaft bereits jetzt und in solcher Stärke erfolgt, ist besorgniserregend.

Die Fragen sind ein Rundumschlag gegen die gesamte NGO-Landschaft: Unter anderem werden die Projekte Omas gegen Rechts, Correctiv, Campact, der BUND, die Amadeu Antonio Stiftung, at

gesellschaft bereits jetzt und in solcher Stärke erfolgt, ist besorgniserregend.Die Fragen sind ein Rundumschlag gegen die gesamte NGO-Landschaft: Unter anderem werden die Projekte Omas gegen Rechts, Correctiv, Campact, der BUND, die Amadeu Antonio Stiftung, attac, das Netzwerk Recherche und die Neuen Deutschen Medienmacher*innen explizit genannt. Die Fragen drehen sich vor allem um die Finanzierung, die politische Betätigung und die organisatorischen Verflechtungen dieser Organisationen. In der Vorbemerkung der Anfrage wird außerdem die Zweckhaftigkeit des wichtigen Bundesprogramms „Demokratie Leben!“ in Frage gestellt, zahlreiche Projekte werden dadurch gefördert.Müssen staatlich geförderte NGOs politisch neutral sein?Die Union behauptet, dass staatlich geförderte Nichtregierungsorganisationen parteipolitisch neutral sein müssten. Indirekte oder direkte Wahlkampfunterstützung sei nicht gestattet. Die jüngsten Demonstrationen gegen Merz‘ Kooperation mit der AfD in Sachen Asylpolitik, die auch von mehreren der genannten Initiativen unterstützt wurden, nimmt sie nun zum Anlass, eine „missbräuchliche“ Nutzung von Staatsgeldern prüfen zu wollen. Werden dabei auch falsche Unterstellungen gemacht? Die Omas gegen Rechts betonten am Mittwoch, dass sie sich selbst finanzieren. Die jüngsten Demonstrationen richteten sich vor allem gegen den Tabubruch der gemeinsamen Bundestagsabstimmung von Union, BSW, FDP und AfD beim „Zustrombegrenzungsgesetz“. Die Union verweist in der Anfrage sogar auf einen Artikel der Welt, der verschwörungstheoretisch von einem „Deep Staate“ der NGOs fabuliert – Formulierungen, die man bisher von der AfD und autoritären Regierungen kannte. Generell sind auch diese Art von Anfragen zu kritischen Projekten bisher ein beliebtes Instrument der AfD gewesen. Dass die Union ebenfalls zu solch einem Mittel greift, ist eine gefährliche Entwicklung.Einschüchterung und RacheWas will die Union damit bezwecken? Die attackierten Initiativen, die sich nun zu Wort melden, haben Recht, wenn sie diese Anfrage als Versuch der Einschüchterung und Delegitimierung bezeichnen. Und auch als Rache an einer demokratischen und antifaschistischen Protestbewegung, die auf die Mitverantwortung der Union für den gesamtgesellschaftlichen Rechtsruck hinweist.Merz macht damit deutlich, dass er kein Interesse an einer lebendigen Demokratie-Landschaft hat. Er will in seiner Amtszeit Entpolitisierung und Stille. Durch den Generalverdacht in der Anfrage gegenüber prominenten und thematisch sehr unterschiedlichen Initiativen soll offenbar eine Selbstzensur und Disziplinierung erreicht werden – ein Maulkorb für die emanzipatorische Zivilgesellschaft, und wer nicht spurt, bekommt die Mittel entzogen. Die Union zeigt, dass sie für dieses Ziel auch bereit ist, auf der antidemokratischen Klaviatur zu spielen.Die Anfrage strotzt vor DoppelmoralGleichzeitige Verbindungen zwischen Konservativen und Rechtsextremen spielen für sie indes keine Rolle. Dass beispielsweise der Berliner Ex-CDU-Senator Peter Kurth 2023 Gastgeber eines Treffens von Rechtsextremen war und laut Medienberichten an die AfD spendete; das Unheil, das der ehemalige Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen in seiner Amtszeit von 2012 bis 2018 anrichtete; Denkfabriken und Wirtschaftslobbyist*innen aus dem Umfeld der Union, die aktuell aktiv die Brandmauer untergraben – alles offenbar egal. Wie übrigens auch, dass genauso wirtschaftspolitische Verbände, die der Union nahestehen, gefördert werden, etwa der Verband der deutschen Automobilwirtschaft oder der Deutsche Bauernverband.Für die Initiativenlandschaft ist die Anfrage dabei bereits jetzt eine Bedrohung. Die Gefahr der gesellschaftlichen Isolation wächst, Finanzierungspläne und politische Kooperationen werden womöglich komplizierter, der Anpassungsdruck wird größer. Auch erhöht sich die konkrete Gefahr für engagierte Menschen in den Projekten, die nun stärker die Aufmerksamkeit von Rechtsextremen erhalten. Dafür trägt nun auch die Union Verantwortung. Die konkreten Folgen solcher Einschränkungen kennt man jedenfalls: Etwa, als die „Extremismusklausel“ in Sachsen Initiativen gegen Rechts das Leben schwer machte, als dem VVN-BdA die Gemeinnützigkeit zeitweise entzogen wurde und attac fortwährend, als die AfD mit entsprechenden Anfragen im ländlichen Raum Ostdeutschlands unliebsame Kulturprojekte bekämpfen wollte.Es braucht langfristigen Schutz und SolidaritätWas es dagegen braucht: Das Verständnis, dass Initiativen natürlich eine kritische Haltung haben, die politische Willensbildung fördern und die öffentliche Meinung beeinflussen dürfen – auch wenn sie demokratische Förderung erhalten. Und auch wenn es etwa bedeutet, antifaschistische Proteste zu unterstützen oder Parteien zu kritisieren, die selbst undemokratisch handeln. Was kann es demokratischeres geben als das?Das reicht aber nicht: Zugleich sind Schutz und Solidarität notwendig. Schutz durch eine langfristige Absicherung einer kritischen Zivilgesellschaft: Durch eine Reform des Gemeinnützigkeitsrechts, durch ein stabiles bundesweites Demokratiefördergesetz – dass die Ampel-Regierung hier nicht geliefert hat, ist ein großes Versagen –, durch das Ende einer befristeten und prekären Projektstellenarbeit. Und durch eine kompromisslose Solidarität: Die erreichen wir mit gegenseitiger Unterstützung, wenn auch nur einzelne Initiativen angegriffen werden. Wenn wir nicht in ungarischen Verhältnissen aufwachen wollen, darf hier keinen Millimeter nachgegeben werden. Der jetzige Moment ist eine erste Belastungsprobe.



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Von Veritatis

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