Die Wahlverlierer von Grünen und SPD sichern sich Ämter und Funktionen. Für persönliche Konsequenzen sehen sie keinen Anlass. Sie werden gebraucht, meinen sie. Aber wofür?
Die SPD hat einen „neuen starken Mann“ in ihrer Mitte
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Sie haben verloren, um zu bleiben. Obwohl seine SPD gut neun Prozent weniger Stimmen erhielt, bleibt Lars Klingbeil nicht nur Parteichef, sondern greift auch nach dem Fraktionsvorsitz, erhält mit knapp 86 Prozent zwar nur ein „ehrliches“ Ergebnis, wird aber als, *grusel*, „neuer starker Mann“ einstimmig unterstützt vom Präsidium. Wenn er nicht in der garnichtso-Groko Minister wird – was halt so kommt. „Generationswechsel“ statt Politikwechsel.
Fleiß soll sich wieder lohnen, hatte die CDU plakatiert. Das gilt auch für Wahlverlierer – zumindest für die da oben, in den Chefsesseln der Parteien. Neue Ideen brauchen sie nicht, Machtwille reicht völlig für einen wie Klingbeil, dem der Juso-Vorsitzende Philipp
#252;r Wahlverlierer – zumindest für die da oben, in den Chefsesseln der Parteien. Neue Ideen brauchen sie nicht, Machtwille reicht völlig für einen wie Klingbeil, dem der Juso-Vorsitzende Philipp Türmer (übrigens wenig solidarisch) als „Architekt des Misserfolgs“ genüsslich einen mitgibt. Mehr taktisch als strategisch baut der nunmehr mächtigste Mann der Partei quasi auf Sand. Als hätte die SPD nicht eben krachend eine Wahl verloren und mit 16,41 Prozent einen historischen Tiefstand erreicht. Auch Saskia Esken sieht keinen Grund, vom Parteivorsitz zurückzutreten.Ähnliches Bild bei den Grünen, die gut drei Prozent Minus zählen. Zwar wollte Ex-Kanzlerkandidat Robert Habeck sich erstmal zum Wundenlecken zurückziehen, aber prompt fordern Hunderttausende Grüne seinen Verbleib. Oder war’s so geplant? Ein Theaterrückzug? Um sich rufen zu lassen? Noch-Außenministerin Annalena Baerbock hat sich ihrerseits dran gewöhnt, an führender Stelle mehr als ein Wörtchen in die Mikrofone mitzureden, wo auch immer, im Fraktionsvorsitz, als Ministerin – kommt drauf an, wie erfolgreich die dortige aktuelle Doppelspitze, Katharina Dröge und Britta Haßelmann, sich festsetzt. Letztere betont gern ihre „Erfahrung“. Es findet sich schon irgendwo ein wichtiges Plätzchen für die Herren und Damen Wahlverlierer.Christian Lindner immerhin zieht Konsequenzen aus über sieben Prozent Miesen. Noch am Wahlabend überlässt er mit traurigen Augen seine FDP dem Schicksal der außerparlamentarischen Opposition. Wohin es ihn treibt? Seine Sache! Als „Privatmann“ müsse er keine Auskunft geben. Pseudofeministische Kommentare der Grünen-Jugend-Chefin Jette Nietzard wirken da wie hämisches Nachtreten. Derweil drängeln sich auch bei den nicht mehr wirklich Liberalen Altbekannte nach vorn: Marie-Agnes Strack-Zimmermann (demnächst 67) und Wolfgang Kubicki (72) bringen sich als Parteiretter ins Gespräch.Niemand übernimmt Verantwortung – außer für die eigene KarriereWozu die Verliererparteien gebraucht werden, außer zur CDU-Regierungsbildung oder zur Fortsetzung diverser Polit-Karrieren – egal! Sie wollen „die Demokratie verteidigen“, klar, das wollen sie ja alle. Aber mit welchen Waffen? Mit Herumlavieren und Augenverschließen? Mit Kleinklein? Mit der nächsten Superaufrüstung? Mit hier ein bisschen Schuldenbremse lockern, da ein bisschen mehr Steuern für Wohlhabende?Hatte nicht Klingbeil selbst von einer „Zäsur“ gesprochen, programmatische wie personelle Neuaufstellung angekündigt? Statt Konsequenzen gibt er den inkonsequenten Weiterwurschtler und ruft zum „Weiter so!“ Weiter mit weichgespülter Sozialpolitik à la das Schlimmste verhindern. Weiter mit Verwalten statt Gestalten. Weiter mit Vertrauensverlust. Weiter mit Geht-nicht-anders und unzähligen sauren Äpfeln, die den Magen und die Republik verderben. Die Arbeiter der AfD überlassen, den Klimaschutz den Industriellen, dem Kapital sanft rügend über den Kopf streicheln. Ich-ich-ich statt „Wir haben Mist gebaut.“Es gebe „keinen Moment des Innehaltens, keine kritische Selbstüberprüfung“, kritisiert der frühere SPD-Wahlkampfmanager Matthias Machnig. Dass Klingbeil „das politische Vakuum in der Nacht zu seinen Gunsten genutzt“ habe, sei „eine Art Selbstermächtigung oder gar Bonapartismus“. Allerdings musste Napoleon nach seinem Scheitern in die Verbannung – die Hiesigen kleben, von der Demokratie unbehelligt, an ihren Sesseln und der eigenen Wichtigkeit, als fürchteten sie die persönliche Bedeutungslosigkeit mehr als die ihrer Parteien. Und nennen es „Verantwortung übernehmen“, bis es den Wählern zu den Ohren rauskommt, wiederholt und dringend: FÜR UNSER LAND.Nur für die Wahlniederlage fühlt sich außer Olaf Scholz niemand zuständig. Der Noch-Bundeskanzler steht zu seinem Wort, bereitet still seinen Rückzug vor – und man vermisst ihn irgendwie jetzt schon.