Ging man früher ins chinesische Restaurant, wusste man, was einen erwartet. Heute kann man vor allem in Großstädten viele regionale chinesische Küchen ausprobieren. Was für ein Gewinn


Früher hießen die Chinarestaurants „Goldener Drache“ und es gab bei der Speisekarte keine bösen Überraschungen

Foto: Ian Forsyth/Getty Images


Pasta, das wissen wir, kommt nicht aus Italien, sondern aus Ostasien. Die ältesten dort gefundenen Relikte sind rund 4.000 Jahre alt. Dass Marco Polo die Teigwaren von seinen Reisen mitgebracht habe, ist hingegen eine Legende und die Tatsache, dass die Fülle an Formen und Rezepten in China mit der in Italien mühelos mithalten kann, für manche noch eine neue kulinarische Erkenntnis.

Aber unsere Vorstellung von „typisch chinesisch“ ändert sich. Das Land ist so groß und seine Traditionen, Zutaten und Techniken so divers, dass man unmöglich von einer einzigen Küche sprechen kann. Das wäre so, als würde man Labskaus und Arancini, Haggis und Borschtsch auf die Karte eines einzigen europäischen Restaurants setzen. Da bliebe von kulinarischer Identität nicht besonders viel übrig.

Früher hat man sich hierzulande reichlich wenig um Authentizität geschert, früher kam „indisch“ mit Pfirsichen und „Hawaii“ mit Ananas, früher hießen die Chinarestaurants „Jadegarten“ oder „Goldener Drache“ und man konnte sich auf ihre Speisekarte verlassen: unterarmdicke Frühlingsrollen, Schweinefleisch süß-sauer und für die ganz Wagemutigen die Acht Kostbarkeiten. Im Studium erklärte mir einst eine Mitstudentin aus Shanghai, dass sie das Essen, das man in Deutschland als „chinesisch“ bezeichnen würde, gar nicht erkennen könne.

Und als ich vor vielen Jahren zum ersten Mal in den USA in einem chinesischen Restaurant saß, bekam ich nach dem Essen mit dem Glückskeks nicht nur eine japanisch-kalifornische Erfindung überreicht, sondern fand das Essen auf meinem Teller vor allem – amerikanisch. So wie ein Amerikaner das Schweinefleisch süß-sauer vermutlich sehr deutsch finden würde.

Ich weiß nicht, ob chinesische Gastronom*innen geschäftstüchtiger sind als Menschen aus anderen Teilen der Welt, aber es ist auffällig, wie unkompliziert sie ihre Kulturmuster anpassen – für andere. Denn die genannten deutsch-chinesischen Klassiker gibt es in den zahlreichen All-You-Can-Eat-Buffets immer noch, aber das Angebot erweitert sich. Auch in Deutschland hat man inzwischen begriffen, dass die besten chinesischen Restaurants nicht unbedingt an der in Kunstleder gebundenen Speisekarte zu erkennen sind.

Und so sitzen vor allem junge Menschen gerade gerne in jenen Buden, die handgemachte Nudeln annoncieren. Biángbiáng beispielsweise, eine Spezialität aus der Provinz Shaanxi im Nordwesten Chinas. Dabei handelt es sich um eher dicke und breite Nudeln, die in ihrer Heimat gerne mit einem Gürtel verglichen werden. Doch es ist gerade ihre Zähigkeit, die, neben dem Geschmack von Soße und Gemüse, so zufrieden macht. An dieser Stelle sei ein Anglizismus erlaubt, denn der englische Begriff „chewiness“beschreibt das Glücksgefühl sehr viel präziser. Dabei gehe es, so erklärt Wikipedia, „um das Mundgefühl des angestrengten Kauens durch den anhaltenden, elastischen Widerstand der Lebensmittel“.

Die Begeisterung für das Mundgefühl im Speziellen und für die chinesischen Küchen (Plural!) im Allgemeinen ist glücklicherweise seit Jahren ungebrochen. Ungeachtet aller elastischen weltpolitischen Entwicklungen, Widersprüche und Verstrickungen. Handgemachte Nudeln sind ein schönes Beispiel dafür, dass Menschen durchaus in der Lage sind, das eine vom anderen zu trennen. Das machen wir schließlich bei italienischer Pasta ja auch so.

Der Koch

Johannes J. Arens ist Journalist und Autor. Er studierte Design in Maastricht und Kulturanthropologie in Bonn. In den Küchen interessieren ihn besonders das Spannungsverhältnis zwischen Tradition und Innovation sowie der Zusammenhang von Essen, Politik und Gesellschaft. Er ist Herausgeber des Foodmagazins „Zwischengang“ und Initiator des „Food Reading Festivals Cologne“. Im Freitag schreibt er die monatliche Kolumne „Der Koch



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Von Veritatis

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