„America first“ triumphiert in Washington, am selben Tag zerbricht in Berlin die links-liberale Koalition. Hinter beidem steht ein Zusammenprall von Weltbildern. Die „Schuldenbremse“ hat keine Zukunft – aber die Verhältnisse werden härter
Da ist wohl ein Ampel-Aus eingeschlagen
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Es ist kein Zufall, dass die Ampel am Streit über die „Schuldenbremse“ zerbrach. Im Kern geht es um die Frage, wie Deutschland in einem veränderten geopolitischen Umfeld bestehen kann.
Die Ansätze könnten kaum unterschiedlicher sein: Christian Lindner und seine FDP setzen auf neoliberale Klassiker wie Steuererleichterungen, Entbürokratisierung und eben die Selbstbeschränkung staatlicher Kreditaufnahme. Bei Olaf Scholz hingegen ist angekommen, was der Wirtschaftswissenschaftler Tom Krebs als „ökonomischen Realismus“ bezeichnet – das Eingeständnis, dass marktliberale Rezepte in einer Welt, die vom geoökonomischen Wettbewerb erschüttert wird, nicht mehr funktionieren können.
Der Sicherheits-Staat übernimmt
22;ökonomischen Realismus“ bezeichnet – das Eingeständnis, dass marktliberale Rezepte in einer Welt, die vom geoökonomischen Wettbewerb erschüttert wird, nicht mehr funktionieren können.Der Sicherheits-Staat übernimmt das Primat Nach der russischen Invasion in die Ukraine haben sich Europa und Russland wirtschaftlich voneinander entkoppelt. Dabei wird es weitgehend bleiben, selbst wenn Donald Trump diesen Krieg tatsächlich in absehbarer Zeit zu einem wie auch immer gearteten Ende führen sollte. Ganz sicher mit Trump verbunden ist eine Zuspitzung der wirtschaftlichen und politischen Rivalität der USA und des Westens gegenüber Peking.Eine vollständige Entkopplung der westlichen von der chinesischen Volkswirtschaft ist zwar wegen der starken Verflechtung nicht möglich. Dennoch setzte schon die Regierung des scheidenden US-Präsidenten Joe Biden auf Exportkontrollen, Investitionsbeschränkungen und subventionsgetriebene Industriepolitik. So wird es weitergehen. Selbst im Mutterland des Neoliberalismus übernimmt also der Sicherheits-Staat wieder das Primat der Politik über den Markt. Chinas staatlich gelenkter Kapitalismus beruht auf einer staatlichen Industriepolitik, die auf massive Subventionen setzt. So stürmt die Volksrepublik an die technologische Weltspitze. Die dabei entstehenden Überkapazitäten, die China zu Dumpingpreisen exportiert, zwingen weltweit Industrien in die Knie.Dieser scharfe geopolitische Wettbewerb erhöht den Druck auf Verbündete und Partner, Investitionsentscheidungen aus geopolitischer Perspektive zu treffen. Unternehmen stehen vor der Wahl zwischen rivalisierenden IT-Infrastrukturen, Märkten und Währungssystemen. Die Diversifizierung des Handels beschleunigt sich, vor allem im Hochtechnologiesektor. Am Ende dieser Entwicklung könnten konkurrierende Wirtschaftsblöcke stehen. Die Globalisierung hat ihren Höhepunkt längst überschritten.Die neoliberale Globalisierung ist endgültig totIn ihrer Summe verändern diese Trends die Funktionsweise der Weltwirtschaft. Das Paradigma verschiebt sich von Effizienz zu Resilienz. Marktinteressen haben nun nicht länger Vorrang; das Primat der nationalen Sicherheitsinteressen ist zurück. Der Staat, lange an den Rand gedrängt, übernimmt wieder die Kontrolle. Das neoliberale Modell ist offiziell tot.In diesem Umfeld übernimmt nun Donald Trump das Ruder im Weißen Haus. Wie in seiner ersten Amtszeit wird er den wirtschaftlichen Wettbewerb mit harten Bandagen führen – gegenüber China ebenso wie gegenüber vermeintlichen „Trittbrettfahrern“ wie Deutschland oder Japan. Die Europäer erhielten mit dem „Inflation Reduction Act“ von 2022 – einem massiven Subventionsprogramm für die US-Ökonomie – bereits einen Vorgeschmack darauf. Teile der deutschen Industrie, ohnehin bereits in schwerem Fahrwasser, werden inmitten des Wettkampfs der Giganten China und USA ums Überleben kämpfen müssen. Ja, Deutschland muss aufrüsten, aber das ist lange nicht alles Sicherheitspolitisch bedeutet „America First“, dass Trump die USA aus kostspieligen Konflikten zurückzieht – notfalls durch Deals wie 2019 mit den Taliban oder durch das Abwälzen der Kosten auf Verbündete. Für Europa bedeutet das, dass die Europäer die Hauptlast für die Unterstützung der Ukraine, die Sicherheit des Kontinents und die Stabilität der Nachbarschaft alleine tragen werden. Europa, insbesondere Deutschland, muss seine konventionelle Abschreckungsfähigkeit wiederherstellen und die Verteidigungsausgaben deutlich erhöhen, möglicherweise über die NATO-Zielmarke von zwei Prozent des BIP hinaus. Gleichzeitig erfordert die Stärkung des Industriestandorts Deutschland umfangreiche Investitionen in die Infrastruktur – Stichworte Mobilität, Digitalisierung, Bildung –, in die Energieversorgung und in den Klimaschutz.In den nächsten Jahren könnten sich die notwendigen Investitionen und Ausgaben auf etwa vier Prozent des BIP jährlich belaufen. Mit einer Regelung wie der Schuldenbremse ist das nicht umsetzbar. Wer sich dieser Notwendigkeit aus parteitaktischen Gründen dagegenstellt, wird übergangen. Harte Verteilungskämpfe führen zu einem neuen Parteiensystem Der Streit um die Schuldenbremse zeigt bereits die heraufziehenden Verteilungskämpfe: Wer soll all diese Kosten tragen? Das untere Drittel der Transferempfänger? Das wäre das Ende des Sozialstaates, wie wir ihn kennen. Das mittlere Drittel der Arbeitnehmer durch Steuererhöhungen? Das wäre unvereinbar mit dem geltenden Gesellschaftsvertrag. Oder das obere Drittel der Kapitalbesitzer durch Vermögens- und Erbschaftssteuern? Das wäre das Ende neoliberaler Verteilungsvorstellungen in Deutschland. Die Auseinandersetzung um diese Weichenstellungen wird das deutsche Parteiensystem durcheinanderwirbeln. In einigen Jahren wird es, wie bei vielen unserer europäischen Nachbarn, nicht mehr wiederzuerkennen sein. Die Ampel wurde vor der „Zeitenwende“ ins Amt gewählt. Seitdem sind die Illusionen in der Energie-, Fiskal-, Wirtschafts-, Verteidigungs- und Migrationspolitik zerplatzt. Das Land muss sich jetzt fit machen für eine bedrohliche Welt, in der das amerikanische Sicherheitsversprechen nicht mehr unbegrenzt gilt, in der die globalen Erfolgsbedingungen für unser bisheriges Wirtschaftsmodell wegbrechen, in der die Gesellschaft von heftigen Verteilungs- und Kulturkämpfen zerrissen wird. Während diese Dynamiken bereits in Wirkung sind, suchen alle Parteien nach neuen Antworten darauf. Die zerstrittene Ampel hatte nicht mehr die Kraft, die erforderlichen Weichenstellungen vorzunehmen. Der demokratische Souverän muss also ein neues Mandat vergeben, diese Jahrhundertaufgaben anzupacken. Daher sind Neuwahlen der richtige Weg.Die Deutschen müssen entscheiden, wie ihr Land, das über Jahrzehnte auf wirtschaftliche Verflechtung und politische Interdependenz gesetzt hat, mit den Verwerfungen des geopolitischen Wettbewerbs umgehen soll. Wie kann das Land in einem radikal veränderten Umfeld wieder Gestaltungsmacht zurückgewinnen? Zur Wahl stehen komplett unterschiedliche Wirtschaftsmodelle, die sich nicht nur aus unvereinbaren ideologischen Quellen speisen, sondern auch auf grundsätzlich verschiedenen Lesarten des geopolitischen Umfeldes beruhen. Die Politik muss den Bürgern jetzt reinen Wein einschenkenSchwenken SPD und Grüne nach den Irrungen der Ampeljahre auf einen Kurs des „ökonomischen Realismus“ ein, stehen ihnen im nächsten Wahlkampf die neoliberalen Konzepte der Linder FDP sowie der CDU von „Mr. Blackrock“ Friedrich Merz gegenüber. Die Linkspopulistin Sahra Wagenknecht bestreitet grundsätzlich die Notwendigkeit von Investitionen in die Verteidigungsfähigkeit und will stattdessen die Konsumausgaben für Soziales erhöhen. Damit könnte sie der AfD den Weg verstellen, durch eine sozialere Politik die Arbeiterschaft zu umwerben.So steigt für die Rechtspartei die Versuchung, der Trump’schen Allianz mit den libertären Milliardären um Elon Musk nachzueifern und wieder zu ihren neoliberalen Wurzeln zurückzukehren. Um dieses anti-soziale Wirtschaftsprogramm für die Arbeiter schmackhaft zu machen, dürfte es mit einer hohen Dosis Nativismus, Populismus und Isolationismus garniert werden. Um solchen Herausforderungen entgegenzutreten, ist es wichtig, dass den Wählern klar gesagt wird, welche Herausforderungen nun anstehen und was das für sie bedeuten wird. Denn die große Mehrheit der Bevölkerung hat längst verstanden, dass viele Dinge nicht mehr so weitergehen können wie bisher – und sich ihre Lage wahrscheinlich verschlechtern wird. Sie misstrauen Politik und Medien vor allem, weil sie das Gefühl haben, dass ihnen kein reiner Wein über das Ausmaß der Probleme eingeschenkt wird. Und sie haben die Befürchtung, dass sie am Ende wieder einmal die Dummen sein werden, die die Kosten zu tragen haben. Das ist die Grundstimmung, auf der die Populisten mobilisieren. Was es braucht, ist also eine Art „Blut, Schweiß und Tränen“-Ansprache. Die ohne jede Beschönigung benennt, wie groß die Herausforderungen wirklich sind – und tragfähige Lösungen benennt, auch wenn sie schmerzen. Die die Deutschen aufrüttelt, dass es ihre liebgewonnene Insel der Glückseligen inmitten eines Meers von Krisen und Konflikten nicht mehr gibt. Sie aber auch daran erinnert, dass sie schon größere Herausforderungen gemeistert haben und die Kraft haben, ihr Land wetterfest zu machen für die Stürme, die da kommen.