Die SPD verspricht soziale Sicherheit, doch mit einem Kanzler Merz stehen Sozialkürzungen an. Was bleibt den Sozialdemokraten außer Hochrüstung, Sparzwang und Abschiebepolitik?
Olaf Scholz, größter Verlierer der Bundestagswahl 2025
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Olaf Scholz wird für sehr viele Jahre und womöglich für immer der letzte sozialdemokratische Kanzler gewesen sein. Es sagt viel über dieses Land aus, dass die drei letzten Male, wo einmal nicht die Union den Bundeskanzler stellte, sondern die Sozialdemokratie, allesamt in vorgezogenen Neuwahlen endeten: 1983, 2005, 2025.
1998 erzielte die SPD noch 40,9 Prozent der Stimmen. Durch die Agenda 2010 verlor sie zehn Millionen Wählerinnen und Wähler. So sehr die „alte Tante“ hiernach mit sich rang und darauf bedacht war, Teile der Agenda-Politik zu revidieren, hat sie sich nie hiervon erholt. Die Zeit der Volkspartei SPD ist bei einem mal wieder historisch schlechten Wahlergebnis von 16,4 Prozent endgültig vorbei.
Dieser Tage frohlockt die Union. Aber
historisch schlechten Wahlergebnis von 16,4 Prozent endgültig vorbei.Dieser Tage frohlockt die Union. Aber sie hat nur 28,52 Prozent der Wählerstimmen erringen können. Ein Zugewinn von lediglich 4,32 Prozentpunkten – in absoluten Zahlen kaum mehr als die kleine Linkspartei hinzugewann – ist für die Union ein desaströses Ergebnis. Die vererbten Probleme sind riesigDie Probleme, die die neue Regierung erbt, sind riesig: Das Exportmodell, auf dem die industrielle Basis und das Wachstum in Deutschland fußten, ist tot. Das hat vier Gründe:Erstens: Den von der Biden-Regierung begonnenen und von der Trump-Regierung jetzt verschärften US-amerikanischen Wirtschaftsnationalismus. Dieser wird geführt mit an lokale Lieferketten geknüpfte Subventionen, Schutzzöllen und Sanktionen gegen EU-Konzerne, die mit China Handel treiben. Zweitens: Das Ende der russisch-westeuropäischen Energiesymbiose und die Energiepreisinflation in Folge des Ukrainekriegs, der europäischen Sanktionen, russischen Gegensanktionen und der Sprengung der Nordstream-2-Pipeline. Drittens: Die verschlafene Elektro-Revolution und blockierte Elektrifizierung der deutschen Wirtschaft im Ergebnis der „Schuldenbremse“. Und viertens: Die nachholende Entwicklung im globalen Süden, die im Ergebnis der westlichen Außen(wirtschafts-)Politik als Innovationsschub wirkte. Sie hat nicht nur auf dem russischen Markt, sondern darüber hinaus deutsche Technologieprodukte durch günstigere chinesische Alternativen ersetzt.Die Bevölkerung spürt dieses Erdbeben.Die Bevölkerung spürt dieses Erdbeben. Die Erwartungen an die zu erwartende Union-geführte Regierung sind auch darum jetzt schon gering. In einer am 19. November von Forsa im Auftrag von RTL und n-tv durchgeführten Umfrage antworteten 56 Prozent der Befragten auf die Frage: „Welcher Partei trauen Sie zu, mit den Problemen in Deutschland am besten fertigzuwerden?“ mit: „Keine Partei“.Schlecht aufgestellt für aufmüpfiges AuftretenDer größte Wahlverlierer neben der FDP ist die SPD. Trotzdem wird der Wahlverlierer aller Wahrscheinlichkeit nach wieder regieren, denn insofern die Union eine gemeinsame Regierung mit der AfD ausschließt, bleibt nur eine kleine Große Koalition. Für die gewerkschaftsnahe SPD wird eine Koalition unter dem stramm rechten Merz, der vor seiner Rückkehr in die Politik die Europageschäfte von Blackrock führte, dem größten Kapitalfonds der Welt, zur totalen Belastungsprobe.Einerseits kann sie, weil sie für Merz noch alternativlos ist, hart verhandeln. Sie müsste bei diesem Ergebnis schließlich auch Neuwahlen kaum fürchten. Andererseits ist sie nicht nur wegen ihres Wahlergebnisses, sondern auch ihrer Geschichte sehr schlecht für ein aufmüpfiges Auftreten aufgestellt.Der neue Sound der Partei, den man im Willy-Brandt-Haus wohl für taktisch clever hält, wird die SPD umbringen. Im Wahlkampf war das zentrale Wahlversprechen der Partei Sicherheit. Dabei blieb sie bewusst vage, was mit Sicherheit eigentlich gemeint ist. Am Wahlabend fasste dann stellvertretend für die Partei Alexander Schweitzer, Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, das SPD-Narrativ zusammen: Die Menschen würden Sicherheit wollen: Soziale, innere, äußere.Mit anderen Worten: Das neue SPD-Versprechen ist etwas Sozialstaat (Rente, Mindestlohn), gefühlte Sicherheit vor – wie es die AfD nennen würde – „Messermännern“ durch das „Abschieben in großem Stil“ (Olaf Scholz) und Sicherheit vor Russland. Das, so die nicht anders als wahnhaft zu nennende Warnung des SPD-Verteidigungsministers Boris Pistorius, in fünf Jahren Europa angreifen werde, wenn Deutschland sich nicht „kriegstüchtig“ mache.Die SPD wird sich auf dem Weg in die neue Regierung personell verändern. Die neuen dominanten Gesichter werden Lars Klingbeil, der ab sofort Partei- und Fraktionsvorsitz auf sich vereinen wird, und Pistorius sein, der 2023 trotz der dramatisch gestiegenen Mieten, Heizkosten und Lebensmittelpreise warnte, dass ein zu hoher Tarifabschluss ein „Risiko für Deutschlands Sicherheit“ sei.Inhaltlich und personell in dieser Weise aufgestellt wird also die SPD in der tiefsten Wirtschaftskrise seit 1949 in eine Regierung des alt-neoliberalen Merz eintreten. Dieser blockiert nicht nur mit der CSU die Alternative eines grünen Kapitalismus oder gar eines sozialökologischen Umbaus der Wirtschaft, die CSU beharrt zudem auf der Schuldenbremse.Friedrich Merz pocht nun auch auf eine „Agenda 2030“ und eine neue soziale Kälte. Er ist eingepfercht zwischen chinesischer Überlegenheit und US-Handelskrieg gegen die EU, was das Ende von Deutschlands Exportmodell bedeutet.Im Namen des Kapitals die Arbeiterklasse disziplinierenMit dem Bundesverband der Deutschen Industrie, Arbeitgeberverband und AfD im Nacken, muss Merz darauf drängen, im Namen der Kapitalprofitabilität die Arbeiterklasse zu disziplinieren: Sozialkürzungen, Steuersenkungen und Subventionen für Konzerne, eine Fortsetzung der schon unter SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil zurückgekehrten Anziehung der Daumenschrauben für Erwerbslose, „freiwillige“ Rente mit 70, vielleicht sogar die 42-Stunden-Woche, gegebenenfalls Einschränkungen des Streikrechts im öffentlichen Dienst und mehr. Die IG Metall muss derweil zum Erhalt von Beschäftigung und Organisationsmacht für die Vierstundenwoche kämpfen.Sicherlich kann die SPD versuchen, hoch zu pokern und etwa die „Rente mit 70“, die sie bei der Regierungsbildung 2021 strikt ausgeschlossen hatte, noch zu verhindern. Vielleicht könnte die SPD auch beim Mindestlohn einen Deal machen, selbst wenn dies mit Merz sehr schwierig werden dürfte. Dass die SPD sich aber mit steuerpolitischen Forderungen nach einer höheren Beteiligung der Milliardäre an der Finanzierung der nötigen Investitionen in die marode Infrastruktur oder gar die industriepolitische Erneuerung durchsetzen kann, scheint ausgeschlossen.Insbesondere angesichts der Tatsache, dass sie sogar, als sie noch den Kanzler stellte, der kleinen marktradikalen FDP im Rahmen des „Wachstumschancengesetzes“ Steuersenkungen für Konzerne und Superreiche bei gleichzeitigem Pochen auf der „Schuldenbremse“ durchgehen ließ. Im Ergebnis heißt das dann aber: Von den drei Sicherheiten, die die SPD so „taktisch clever“ verspricht, werden am Ende nur „AfD-light“-Abschiebepolitik und Hochrüstung übrigbleiben.Ablösung durch die Konkurrenz?Das ist dann aber das Ende der Partei. Weil für symbolpolitische Abschiebe-Übersprunghandlungen und den Sozialstaat massakrierende Aufrüstung und Blockkonfrontation sind – mit Ausnahme der Linkspartei – alle Parteien. Dafür gibt es auch schlicht bessere Akteure: für Abschiebungen die AfD und die Union, für Hochrüstung und Blockkonfrontation die Grünen und die Union. Merz stellte nach Gesprächen mit der SPD unmittelbar nach der Wahl ein neues 200-Milliarden-Zusatzpaket für die Bundeswehr in Aussicht, das an der neuen Sperrminorität von Linken und AfD vorbei noch mit den Mehrheitsverhältnissen des alten, abgewählten Bundestags durchgedrückt werden soll.Die SPD wird aber, wenn sie in Deutschland für irgendetwas gebraucht wird, für soziale Sicherheit gebraucht. Es scheint also: Die SPD wird weiter sehenden Auges in ihr Verderben rennen. Die wiederauferstandene Linke, nicht mal mehr 8 Prozentpunkte hinter ihr, sitzt der SPD in dieser wohl schwierigsten Situation in ihrer Parteigeschichte im Nacken.Die SPD wird weiter sehenden Auges in ihr Verderben rennen.Eine Agenda 2030 einer Merz-Regierung mit der SPD als Anhängsel dürfte eine ähnliche Entfremdung der Gewerkschaften von der SPD zur Folge haben, wie dies schon bei der Agenda 2010 der Fall war. Sie könnte sogar noch stärker ausfallen, denn damals stellte die Partei nicht nur den Bundeskanzler, sondern war auch noch erheblich stärker. Der Griff der SPD auf die Gewerkschaften dürfte sich damit zwangsläufig lockern, namentlich bei der IG Metall.Das wiederum macht, setzt die Linke ihren Kurs einer klassenpolitisch konsequenten, sozialen Opposition fort, eine „PASOKisierung“ und „Parti Socialiste-isierung“ der SPD wahrscheinlich. Beide sozialdemokratischen Parteien wurden im Rahmen einer Systemkrise von einer linkeren, oppositionellen Schwester abgelöst. In Griechenland die altehrwürdige PASOK durch die Partei Syriza. Diese nahm 2015 den Kampf mit der Troika aus EU-Kommission, IWF und Europäischer Zentralbank auf, die das Land zu massivsten Sozialkürzungen zwang – auch, wenn sie am Ende verlor. In Frankreich die alte PS, die im „linken Lager“ des Nachbarlands jenseits des Rheins die Vorherrschaft an Jean-Luc Mélenchon und La France Insoumise, das „Unbeugsame Frankreich“, abgeben musste.