In der Demütigung Wolodymyr Selenskyjs durch Donald Trump spiegelt sich eine politische Ästhetik des Ekels vor Schwächeren, die wir von der AfD kennen: Macht hat immer Recht, Stärke tritt nach unten. Was dies für linke Politik bedeutet
Von Donald Trump ist für Wolodymyr Selenskyj nur Demütigung zu hören
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Die Sache mit dem Pullover war nur der Auftakt. Eingebettet lagen darin Hinweise auf die Richtung, die das Treffen nehmen würde: Er habe sich ja richtig herausgeputzt, macht Donald Trump zu Wolodymyr Selenskyj am Eingang zum Weißen Haus. Er wiederholt das, lauter, zur Presse. Empfangsszenen am Portal sind Riten, Präsident begrüßt Präsidenten, Ehrengarde, Händeschütteln. Herabsetzungen des Gesprächspartners sind da rar.
Seit Russlands Vollinvasion vor drei Jahren trägt Selenskyj Pullover, Hosen, Stiefel des Militärs, das bezeugt ihn als Präsidenten im Krieg, Anführer eines angegriffenen Landes. Warum er keinen Anzug trage, fragt Minuten später im Oval Office einer jener Menschen, die für sich den Begriff des Journalis
als Präsidenten im Krieg, Anführer eines angegriffenen Landes. Warum er keinen Anzug trage, fragt Minuten später im Oval Office einer jener Menschen, die für sich den Begriff des Journalisten beanspruchen. Er arbeitet für einen extrem rechten Sender und ist mit einem eingeschworenen Trump-Fangirl aus dem Repräsentantenhaus liiert. Der Mann behauptet noch, viele Amerikaner hätten mit Selenskyjs Kleidung im Weißen Haus „Probleme“. Die ukrainische Delegation war vorher um einen Präsidenten in Anzug gebeten worden.Die Erniedrigung Schwächerer ist eine bestimmte ästhetische Form der PolitikWas dann folgt, ist eine konzertierte öffentliche Demütigung. Trump und der Vizepräsident der USA, James David Vance, schreien auf den Präsidenten der Ukraine ein, beschuldigen ihn irrwitziger Dinge, halten ihm Undankbarkeit vor. Die Schuld für den Krieg überantworteten sie ihm, weil er und die Ukraine sich Russland nicht unterwerfen, keinen, wie Trump das nennt, Deal eingegangen waren. Sollte Selenskyj noch Illusionen gehabt haben, einem Empfang bei Verbündeten beizuwohnen, verrauchen die spätestens zwischen launiger Frotzelei, als Trump seinen Akzent nachäfft, oder wiederholten Forderungen nach Ehrerbietung. Das aggressive Dominanzverhalten macht aus dem Treffen einen diplomatischen Scherbenhaufen, live im Fernsehen übertragen als Blick in den Abyss. Nur ist die Erniedrigung Schwächerer kein zufälliger Emotionsausbruch, sondern ästhetische Form und politische Taktik. Macht und ZahnlosigkeitMacht, hat der Soziologe Max Weber festgestellt, „bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht.“ Chance meint hier den Horizont der Möglichkeiten, die sich aus dem Kontext ergibt. Öffentliche Demütigung sind Demonstrationen der Macht, wenn sie gegen den gewählten Präsidenten eines Landes gerichtet sind, zielen sie auf eine gesamte Gesellschaft, ihre Kultur und Historie.Der Kontext liegt auf der Hand: Mit der rhetorisch blumigen, materiell oft zögerlichen und bisweilen kümmerlichen Unterstützung aus Europa kann die Ukraine Russland nicht aufhalten. Russland will einen Siegfrieden, Europa ist nicht bereit, die ukrainische Sicherheit zu garantieren. Die NATO ist ohne die USA zahnlos. In den knapp eineinhalb Stunden, die Wolodymyr Selenskyj im Weißen Haus verbringt, reibt ihm der US-amerikanische Präsident die Haltung des klassischen Nationalismus bei: Über nationalem Interesse steht demnach kein Recht, keine transnationale Verpflichtung, vor allem keine Einbindung in eine Wertegemeinschaft. Selenskyj soll eine Abmachung unterschreiben, die zunächst noch recht symbolische Rohstoffe den USA für ihr „Engagement“ überantwortet. Und sich dem Plan unterwerfen, den Trump mit Putin abklären würde. Die Gegenleistung wäre in etwa, dass die USA die Ukraine nicht Russland vollends zum Fraß überließe.Hinterhof-Politik: Die Ukraine wird zum VasallenstaatDie Reaktion auf den kurz nachfragenden Staatsgast („J.D., wie willst du mit Russland verhandeln, wenn sie jedes Abkommen brechen?“) offenbart, dass Trump und J. D. Vance in der Ukraine einen Vasallenstaat sehen. Wenn Selenskij nicht nach ihren Dealmaker-Regeln spielt, wird er heruntergeputzt. Denn sie sehen ihn als Figur, die mit der Moral hausieren muss, also Menschenrechten, Völkerrecht, internationalen Abkommen und eben der Wertegemeinschaft. Alles das sind für Trump Erfindungen von Versagern. In der Demütigung zeigt sich der Ekel, mit dem sie auf Schwächere reagieren. Und so sieht narzisstischer Nihilismus als politische Arithmetik aus: Macht hat immer Recht, Stärke rechtfertigt nach unten zu treten. Das billigt die US-Regierung sonst nur Russland und China zu. Stärke darf nach Einflusssphären, Grönland oder dem Panamakanal greifen. Oder eben der Ukraine und, vermutlich, Taiwan. Die lechzende Begeisterung, mit der die Regierung Ungarns darauf reagierte, wird gern gesehen.Für Trump ist Selenskyj, was Geflüchtete für die AfD sindNicht nur deshalb hatten Trump und Elon Musk (bei dem sich niemand beschwert, wenn er mit Käppi und T-Shirt dem Kabinett Vorträge hält oder im Oval Office herumkaspert) vor der Bundestagswahl für die AfD getrommelt. Ihre Ablehnung der Moral, der Zynismus, mit dem sie Energielieferungen aus Russland fordert, hat sich wohl herumgesprochen. Glaube an die nur national verkörperte Macht und Begeisterung für die Demütigung Schwächerer sind fest geknüpfte Bande der Partei zu ihrem Elektorat: Mit dem „Europa der Nationen“ hat sie völkische Erzählungen in ein neues Gewand gekleidet. In der AfD brodelt die oft wiederholte (und zu jeweils geringerem Maß auch in Wählerschaften von CDU, FDP und SPD gepflegten) Erzählung vom Sozialschmarotzertum der Geflüchteten, von Bürgergeldempfängern oder sonstiger Minderleister. Oft ganz persönliche Unzufriedenheit sucht bei der Partei ein Ventil, weil sie einen Bruch verspricht mit allem, was ist, was so kompliziert erscheint. Und: Weil sie demütigen will.Selenskyjs Erniedrigung war nur die am besten übertrageneDamit übersetzt die Hypermaskulinität Mafia-Mentalität in Politik. Den Fans ist das ästhetische Orientierung und tägliche Dosis Selbstaufwertung. Die verbindet Menschen im Wahlkreis 156, Landkreis Görlitz mit Starr County im Süden von Texas.Als Trump und Vance auf Selenskyj eindreschen, kommunizieren sie vor allem nach innen. Ihre Regierung hatte gerade dafür gesorgt, dass der wegen Menschenhandels und Vergewaltigung angeklagte Andrew Tate Rumänien verlassen und sich vor dem Prozess in die USA retten konnte.Gegen das politische Projekt formiert sich wenig zählbarer Widerstand. Die Postwahl-Depression der Republikaner nach ihrem inhaltlich entkernten Wahlkampf scheint klinisch zu sein. Viele konservative Regierungen quer durch Europa nutzen den Krieg gegen die Ukraine, um soziale Leistungen abzubauen. Und beharren auf Steuerprivilegien für Wohlhabende. EU-Institutionen sind so gelähmt, dass die Regierungen von Frankreich und Großbritannien anschieben müssen.Linke in Deutschland gehen gern zu Demonstrationen, singen das Lied von der internationalen Solidarität. Wenn es ernst wird und etwas kostet, lassen nicht wenige die Ukraine lieber im ganz unmetaphorischen Regen von Bomben und Raketen stehen. Die Erniedrigung im Weißen Haus war für Wolodymyr Selenskyj nur die am besten übertragene in den letzten drei Jahren.