Noch nie hat eine Partei so knapp den Einzug in den Bundestag verpasst wie das Bündnis Sahra Wagenknecht. Derzeit arbeitet ein Team akribisch daran, Fehler bei der Wahl ausfindig zu machen. Könnte es das BSW noch ins Parlament schaffen?


Geben sich noch nicht geschlagen: Parteivorsitzende Amira Mohamed Ali und Sahra Wagenknecht (rechts)

Foto: Hans Christian Plambeck/laif


Wenn man etwas knapp verpasst, den Zug, das Siegertreppchen, ist der Schmerz umso größer. So ungefähr muss man sich den emotionalen Zustand im Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) nach der Bundestagswahl vorstellen. Bei der Verkündigung des vorläufigen Endergebnisses fehlten 13.435 Stimmen, um in Fraktionsstärke in den Bundestag einzuziehen.

Das BSW lag bei 4,972 Prozent. „Da stellt sich schon die Frage nach dem rechtlichen Bestand des Wahlergebnisses“, hatte Parteigründerin Sahra Wagenknecht das Ergebnis kommentiert. Nun fragt das BSW, ob Fehler beim Wahlprozedere passiert sind.

Ganz uninteressant ist die Konstellation nicht: Sollte das BSW durch Korrekturen noch einen Platz im Parlament zugesprochen bekommen, würden Union und SPD ihre Meh

Sahra Wagenknecht das Ergebnis kommentiert. Nun fragt das BSW, ob Fehler beim Wahlprozedere passiert sind.Ganz uninteressant ist die Konstellation nicht: Sollte das BSW durch Korrekturen noch einen Platz im Parlament zugesprochen bekommen, würden Union und SPD ihre Mehrheit für eine Große Koalition verlieren. Sie wären auf Grüne oder Linke angewiesen. Wie realistisch ist dieses Szenario? Sitzen bald doch noch BSW-Politiker unter der Reichstagskuppel in Berlin?Verfassungsrechtler: „Zehntausende“ könnten um ihre Stimme gebracht worden seinNoch am Wahlabend begannen Politiker und Sympathisanten aus dem Umfeld der Partei nach Ungenauigkeiten zu suchen. Sie fokussierten zwei Bereiche: Da sind die rund 213.000 Deutschen, die im Ausland leben und sich bei ihren Wahlämtern gemeldet hatten. Manche hatten die Wahlunterlagen zu spät oder gar nicht zugestellt bekommen. Wagenknecht sagte, dass „offenbar nur ein Bruchteil“ der Auslandsdeutschen überhaupt wählen konnte. Das genaue Ausmaß ist unklar, weil die Zahlen nicht erhoben werden.Der Verfassungsrechtler Ulrich Battis geht davon aus, dass „Tausende, wenn nicht Zehntausende“ betroffen sein könnten. Wer hingegen bei Briefwahlbezirken nachfragt, hört nur von „einzelnen Fällen“. Außerdem hätte das BSW von dieser Gruppe etwa 18 Prozent Zustimmung bekommen müssen, um die Fünf-Prozent-Hürde zu erreichen – unwahrscheinlich. Ein zweites Argument rückte in den Vordergrund: mögliche Übertragungsfehler. Derzeit arbeitet ein Team aus Mitgliedern und Unterstützern daran, Anomalien zulasten des BSW zu überprüfen. Die Fäden laufen in der Bundesgeschäftsstelle zusammen. „Jäger der verlorenen Stimmen“ nennt Amira Mohamed Ali die Gruppe.Die Parteivorsitzende spricht gegenüber dem Freitag von „massiven Dingen, die wir gefunden haben“. Beispielsweise stand auf den Wahlzetteln eine Zeile über dem BSW das „Bündnis Deutschland“ (BD). Eine Gruppe irgendwo zwischen CDU und AfD. Mohamed Ali sagt, das BSW habe in vielen Wahllokalen auffällig wenige und das ähnlich klingende BD auffällig viele Stimmen bekommen. Es sei „total naheliegend“, dass Stimmen „auf dem falschen Stapel“ gelandet seien. Ist da was dran? Wurden BSW-Stimmen in großer Zahl anderen Parteien zugesprochen?Aufregung in HagenWer bei Wahlleitern in NRW, Mecklenburg-Vorpommern oder Berlin anruft, hört mehrere Sätze immer wieder. Wahlleiter stünden einer unabhängigen Behörde vor. Ein zweiter Satz, oft direkt danach, geht so: Wo Menschen arbeiten, gibt es Fehler. Das bezieht sich auf Wahlhelfer, auf die Weitergabe von vorläufigen Ergebnissen per Telefon, auf Zahlendreher und Zeilensprünge. Deshalb gebe es Korrekturschleifen. Es dauere aber schon mal, bis Einträge verbessert wären.Noch am Wahlabend hatte der BSW-Europaabgeordnete Fabio De Masi auf X auf Ungereimtheiten bei den Zweitstimmenergebnissen in Hagen hingewiesen: Zwischen der Internetseite der Ruhrgebietsstadt und jener des Bundeswahlleiters bestehe eine Diskrepanz von 37 Stimmen. Daraufhin riefen viele Pressevertreter in Hagen an: Wo denn diese BSW-Stimmen geblieben seien? Ein Pressesprecher klärt den Fall auf: In den Schnellmeldungen könnten schon mal Fehler auftauchen. Es dauere manchmal, bis Einträge verbessert wären. Er empfiehlt, sich mit dem Modus von Schnellmeldungen, Überprüfungen und den in der Woche darauf stattfindenden Sitzungen der Kreiswahlausschüsse vertraut zu machen.In Oldenburg allerdings, Wahllokal 504, Grundschule Bümmerstede, waren tatsächlich Stimmen zum Bündnis Deutschland gerutscht und wurden nach Prüfung durch den Kreiswahlausschuss dem BSW zugeschlagen. 43 Stimmen sind es nun, 5,05 Prozent. Auch in Wolfsburg wurde korrigiert, weil 2.310 Wahlbriefe später ausgezählt wurden. Das BSW fiel von 4,97 auf 4,96 Prozent. Man kann in Hamburg-Eimsbüttel nachfassen, im Stimmbezirk Stellingen wählten 33 Menschen das BD, aber niemand das BSW. Der Briefwahlbezirk Ottensen registrierte 21 Stimmen für die rechtere Gruppe, wieder keine für das BSW. Die Kreiswahlleitungen prüften und stellten fest: Die Ergebnisse sind korrekt. Eine große Zahl von Irrläufern findet sich nirgends. Amira Mohamed Ali allerdings schätzt das Potenzial der fälschlicherweise nicht dem BSW zugerechneten Stimmen auf deutlich über 14.000. Das wären knapp 600 Stimmen mehr, als die Partei zur Überschreitung der Fünf-Prozent-Hürde braucht.Amira Mohamed Ali: „Das hat es in der bundesdeutschen Geschichte noch nie gegeben“Und tatsächlich werden gerade an mehreren Orten die Ergebnisse zugunsten des BSW geändert. So waren im Wahlkreis Lahn-Dill fälschlicherweise 57 BSW-Stimmen der MLPD, dem Bündnis Deutschland sowie der Partei der Humanisten zugeordnet worden. In zwei Wahlkreisen in Thüringen, sagt Mohamed Ali, seien dem BSW 102 beziehungsweise 81 Stimmen mehr zugesprochen worden. Das Problem: In vielen Wahlkreisen sei der „Sack schon zu“ und Korrekturen nicht mehr möglich. Deshalb seien erst nach Verkündigung des amtlichen Endergebnisses am 14. März rechtliche Schritte möglich. Doch so lange will die Partei nicht warten. Wahlberechtigte haben nach dem Tag des Urnengangs zwei Monate Zeit, um Einspruch gegen die Wahl einzulegen. Der sogenannte „Wahlprüfungsausschuss“ gibt dann nach Abschluss seiner Prüfung eine Empfehlung an den Bundestag ab, über die wiederum das Plenum abstimmt. Gegen diesen Beschluss könnte das BSW in letzter Instanz das Bundesverfassungsgericht anrufen. Das Verfahren würde sich unter Umständen jedoch sehr in die Länge ziehen.Es ist ein Horrorszenario für das BSW: Jahre später würde Karlsruhe feststellen, dass die Partei in den Bundestag hätte einziehen können. Deshalb lässt es gerade prüfen, ob es vor Verkündigung des amtlichen Endergebnisses juristische Möglichkeiten gibt, Nachzählungen zu veranlassen. Und ob es nach der Verkündung schnellere Verfahren gibt, die nicht über den Wahlprüfungsausschuss führen. „Das hat es in der bundesdeutschen Geschichte noch nie gegeben“, sagt Amira Mohamed Ali. Allerdings hat in der Geschichte der BRD auch noch nie eine Partei so knapp den Einzug in den Bundestag verpasst.



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Von Veritatis

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