Tausende Linke haben im Wahlkampf an rund 600.000 Türen geklopft. Die Gespräche folgten klaren Mustern und sollten zum Mitmachen einladen. Entsprechenden Techniken wurden aber auch schon früher benutzt. Die Inspirationsquellen im Überblick
Ob diese Fahne auch bald vom Balkon hängt?
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Hat bei Ihnen vor der Bundestagswahl jemand von Die Linke an der Haustür geklingelt? Die Chance ist – wenn Sie in einer Großstadt wohnen – gar nicht mal so klein, immerhin war die Partei mit ein paar Tausend Helfern wohl bundesweit an 600.000 Haustüren. Zwar dürfte noch niemand in Deutschland so exzessiv an Haustüren geklingelt haben wie Die Linke.
Haustürwahlkampf selbst – englisch Canvassing – gibt’s aber schon sehr viel länger, nämlich seit ein paar Tausend Jahren, genau genommen seit dem alten Rom. Barack Obama machte das Canvassing 2006 wieder so richtig populär: Er setzte in seinem erfolgreichen Wahlkampf damals auf massenhafte Haustürgespräche – zur Mobilisierung von Nichtwählern, neben So
inem erfolgreichen Wahlkampf damals auf massenhafte Haustürgespräche – zur Mobilisierung von Nichtwählern, neben Social-Media-Kampagnen und klassischen (Medien-)Auftritten.Die Linke dürfte sich aber weniger von Obama als von jüngeren Wahlkämpfen in Österreich und Sachsen inspiriert haben lassen: Ihre Schwesterpartei, die KPÖ, konnte in Graz 2021 und in Salzburg 2023 jeweils starke regionale Ergebnisse erzielen, unter anderem dank Haustüransprachen samt sozialem Angebot. In Leipzig hat es der sächsische Landtagsabgeordnete Nam Duy Nguyen dann der eigenen Partei erfolgreich vorgemacht. Mit 300 Helfern klingelte sein Team im Jahr 2024 an 14.000 Haustüren und garantierte so der Linken den Wiedereinzug in den sächsischen Landtag.Mehr zuhören als redenAn Haustüren klingeln ist aber noch kein Garant für einen Wahlerfolg, das musste die britische Labour Party in den 2010er Jahren in ihren ehemaligen sicheren Wahlbezirken in Nord-England erfahren. Dort wurden ihr die Türen entweder gar nicht mehr geöffnet oder vor der Nase zugeschlagen – sie verlor ihre Stammwählerschaft an die Tories. Auch SPD und Grüne warben bei dieser Bundestagswahl an Haustüren, ebenfalls ohne nennenswerte Erfolge.Was hat Die Linke also anders gemacht? Sie hatte – neben Glaubwürdigkeit und einem sozialen Beratungsangebot – Werkzeuge des „Community Organizing“ im Gepäck. Zentraler Bestandteil ist das organisierende Gespräch, bei dem mehr zugehört als geredet wird. „Was würdest du machen, wenn du morgen Bundeskanzler wärst?“, haben die Unterstützer der Linkspartei jene gefragt, die schon lange niemand mehr nach irgendetwas gefragt hatte.An Haustüren klingeln ist aber noch kein Garant für einen Wahlerfolg.Diese empathische und offene, aber trotzdem strukturierte Art der Gesprächsführung nennt sich „Deep Canvassing“. Seit den 2010ern wird sie von sozialen Bewegungen in den USA genutzt, auch um politische Überzeugungen der Gesprächspartner zu ändern. Das dürfte in Bezirken wie Berlin-Lichtenberg auch nötig gewesen sein, wo sich die Kandidatin der Linken, Ines Schwerdtner, mit Beatrix von Storch (AfD) laut Umfragen ein Kopf-an-Kopf-Rennen lieferte. Gewonnen hat Schwerdtner. Die Gespräche haben – neben dem Ziel einer Wahlzusage – auch organisierenden Charakter: Die Menschen werden eingeladen, sich in der Partei aktiv einzubringen, Themenvorschläge zu machen und bei der nächsten Aktion selbst dabei zu sein.Werkzeugkasten der US-GewerkschaftenPopulär gemacht hat diese in Vergessenheit geratenen Organisierungstechniken der amerikanischen Gewerkschaften der 1930er Jahre maßgeblich die 2024 leider verstorbene Gewerkschaftsaktivistin und Autorin Jane McAlevey, die auch in Deutschland Schulungen angeboten hat. Ihre Werkzeuge kamen überall dort zum Einsatz, wo sich in den letzten Jahren Gewerkschaften und soziale Bewegungen demokratisiert, verbreitert und vergrößert haben. Etwa bei der Berliner Krankenhausbewegung mit ihrem fortschrittlichen und basisdemokratischen Ansatz bei Tarifkämpfen oder bei der Kampagne „Deutsche Wohnen & Co Enteignen“, die so Mieter*innen organisiert und 2021 59,1 Prozent der Berliner dazu brachte für die Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen zu stimmen.Ihre Werkzeuge kamen überall dort zum Einsatz, wo sich Gewerkschaften und soziale Bewegungen demokratisiert, verbreitert und vergrößert haben.Für eine Partei wie Die Linke geht mit den Haustürgesprächen auch eine große Verantwortung einher: Sie muss jetzt zeigen, dass sie die Menschen, die sie erreicht hat, auch ernst nimmt. Gleichzeitig dürften die Befragungen an der Haustür der Partei aber auch Rückendeckung geben für die Themen, die sie aktuell setzt – und mit denen sie im politischen Gegenwind steht.