Wie kann eine – in weitestem Sinnen – weibliche Solidarität inmitten des patriarchalen Rollbacks gelingen? Die Soziologin und Geschlechterforscherin Franziska Schutzbach sucht in ihrem Essayband nach Antworten
Wenn Frauen an einem Strang ziehen – kann das sogar Spaß machen
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Die Wahrheit ist bitter: Die Rechte von Frauen und queeren Menschen werden weltweit eingeschränkt. Mit dem globalen Rechtsruck schwappt eine Welle von frauenfeindlichen bis antifeministischen Denkweisen über uns. Wie wohltuend ist es also, Gegenentwürfe gegen diese Trends von vorgestern zu lesen, die davon erzählen, wie weibliche Solidarität Gesellschaft verändern kann?
Die Schweizer Geschlechterforscherin und Soziologin Franziska Schutzbach erzählt in ihrem 2024 erschienen Buch Revolution der Verbundenheit in Essays zu Freundschaft, Liebe, Familie, politischer Schwesternschaft und weiblicher Verweigerung, wie eben diese Solidaritäten gelebt werden können. Wie auch schon in Erschöpfung der Frauen, ihrem ersten Buch, fühlt sich die Leser
Soziologin Franziska Schutzbach erzählt in ihrem 2024 erschienen Buch Revolution der Verbundenheit in Essays zu Freundschaft, Liebe, Familie, politischer Schwesternschaft und weiblicher Verweigerung, wie eben diese Solidaritäten gelebt werden können. Wie auch schon in Erschöpfung der Frauen, ihrem ersten Buch, fühlt sich die Leserin gesehen und wird gleichzeitig irritiert. Zum Glück. Aber dazu gleich mehr.Wer in letzter Zeit auf dem großen politischen Parkett erleben wollte, wie Machtdominanz aussieht, wird schnell fündig. Die überhebliche Art, wie US-Präsident Donald Trump gegenüber seinem Gast, dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, auffuhr, war toxische Männlichkeit in all ihrer Deutlichkeit. Bestimmt hat dieses Gebaren viele Frauen, Queere und vielleicht auch weichere Männer an manche Erfahrung mit dominant-männlicher Herablassung erinnert, der sie selbst schon ausgeliefert waren.Es war kein Gespräch, sondern eine Zurschaustellung von Überheblichkeit des Schulhofbullys und seinem Kumpel, der ihm beim Mobbing zur Seite steht. Doch was wäre wohl passiert, wenn da drei Frauen gesessen und so miteinander gesprochen hätten? In Schutzbachs Buch, das als Würdigung des Weiblichen gelesen werden kann, hat mir die Autorin zum Glück den Zahn schnell gezogen. Sie schreibt nämlich: Frauen sind nicht die besseren Menschen. Denn: „Es gibt schwerwiegende Verletzungen unter Frauen, es gibt autoritäre und gewalttätige Mütter, gegenseitige Abwertung“. Schaffen wir alles, wenn wir nur wollen?Wir Frauen sind in unseren politischen Entscheidungen oft nicht progressiver, auch wenn wir uns das gern vorgaukeln. Rückwärtsgewandte und autoritäre gesellschaftliche Bewegungen in der Vergangenheit und Gegenwart können von Frauen angeführt werden, Giorgia Meloni oder Alice Weidel sind da nur zwei Beispiele von vielen. Die Entsolidarisierung und misogyne Haltung, für die diese Frauen stehen, hat viel mit der gesellschaftlichen Spaltungserzählung zu tun.Schutzbach setzt dem neoliberalen Motto „Du schaffst alles, wenn Du nur willst“ alternative Modelle wie den Mut zum Unperfekten entgegen. Das tut gut. Denn vor allem uns Frauen wurde dank des Selbstverwirklichungswahns, der sich in Kopf und Körper hineinfrisst, genau das eingeimpft: Wir schaffen alles, wenn wir nur wollen. Gefühle wie Scham, Frustration und Kränkung sind die Folge der eingängigen Erzählung vom Schmied unseres eigenen Glücks, der wir angeblich sind. Sie spukt in unser aller Köpfen herum, selbst wenn sie schon längst widerlegt wurde. Aber der Glaube daran sitzt tief. So lassen sich auch die grassierende Hoffnungslosigkeit und die billigen Antworten populistischer Politiker*innen darauf verstehen.Denn neoliberales „Empowerment“ oder „Diversity“ kratzen nur an der Oberfläche, aber lassen die realen Bedürfnisse oder das Infragestellen von Klassen- und Geschlechterverhältnissen außer Acht.Gönn’ Dir einen Tag im Spa!Womit die Autorin ebenfalls hart ins Gericht geht, ist das Konzept der Selbstliebe. Dieses Kapitel ist schwer zu verdauen. Denn in jüngster Zeit war doch das die Antwort auf alle Unbill, Freundinnen Selbstliebe als Gegenentwurf zum harten Berufs- und Privatleben zu verordnen. Ihr trennt Euch? Dann hast Du jetzt mehr Zeit für Dich! Deine Familie fordert Dich? Gönn’ Dir einen Tag im Spa!Als Frau im mittleren Alter ist Selbstliebe ein Pflaster für die Härten des Lebens. Was Schutzbach, aua, ratzfatz abzieht. Sie spricht vom „infantilisierenden Selbstliebe-Projekt“. Denn „wir sind keine Kinder, sondern Subjekte mit einer Geschichte“ und haben Fehler. Demzufolge seien auch wir nicht davor gefeit, sexistische, rassistische und ableistische Prägungen ein Leben lang zu haben und im besten Falle zu verlernen. Wir stünden nicht einfach als „Gute“ außerhalb der Gesellschaft da, sondern seien tief in die bestehenden Machtverhältnisse verstrickt. Es reiche also nicht, in weiblicher und queerer Selbstakzeptanz, das „So Sein“ zu zelebrieren und, auch dank der sozialen Medien, in die Welt zu rufen. In einer Revolution von Verbundenheit, wie sie Schutzbach vorschwebt, geht es um die Fähigkeit, zu sich selbst Distanz einzunehmen, und gegen das Unkritische in uns selbst zu revoltieren, eben: heimatlos zu bleiben.Aber wo, wenn nicht in Bündnissen, sollen wir Frauen und Queere Heimat finden, wenn um uns herum politisch vieles infrage gestellt wird? Die Verbundenheit im Buchtitel, sie enthalte auch immer die Traurigkeit, dass Beziehungen mit den „Erfahrungen von Trennung, Differenz und Fremdheit“ einhergehen. Das widerstrebt der Leserin, also mir, die gern Harmonie in Solidaritäten sucht, sich gegen die Außenwelt verschwestert und auch in politischen Konstellationen darauf achtet, sich nicht zu überwerfen.Politische Bündnisse – gemütlich ist andersHier webt Schutzbach das Zitat der afroamerikanischen Aktivistin Bernice Johnson Reagon ein, die dem wohligen Heimatfinden im Politischen widerspricht. „Es gibt Leute, die beteiligen sich in einem Bündnis, und messen seinen Erfolg daran, ob sie sich wohlfühlen (…), sie suchen ein Zuhause, eine Flasche mit Milch und einen Sauger, aber das gibt es nicht in einem Bündnis“. Sucht Euch Euer Wohligsein zu Hause, gemütlich ist anders – das ist mal eine feministische Kampfansage.Schutzbachs Buch versammelt als Essayband eine Sammlung von Gegenentwürfen: feministische Utopien, die gelingen können und manchmal scheitern, um dann besser zu gelingen. Sie zeigt auch anhand von historischen Beispielen, etwa in der Brieffreundschaft der jüdischen Intellektuellen Rahel Levin Varnhagen an ihre Freundin Pauline Wiesel im 19. Jahrhundert, dass es schon immer eigene und subversive Freundschaftspraxen gab, in denen sich Ebenbürtige begegnen und Interesse aneinander und der Welt haben konnten. Und so lotet Schutzbach die Möglichkeiten eines weiblichen und queeren Andersseins aus, das sich nicht an den männlichen Strukturen orientiert. Noch nicht einmal an Karl Marx. Das feministische Utopieverständnis könne nicht die Revolution in seinem Sinne sein: die rücksichtslose Kritik alles Bestehenden. Denn auch im Gegenwärtigen fände sich Gutes. Menschen, die Care-Arbeit leisteten, wüssten das: „Wir sorgen füreinander“. Die Verbundenheit, sie sei bereits real. Im Gegensatz zum passiven Hoffen, schreibt Schutzbach, müssten wir die „Orte des Andersseins“ aufspüren und multiplizieren.Franziska Schutzbach Die Revolution der Verbundenheit. Wie weibliche Solidarität die Gesellschaft verändert erschien im Oktober 2024 im Droemer Verlag