Wir privilegierten Menschen lagern die reproduktive Arbeit gerne aus und betätigen so die Global-Care-Chain. Wirklich wohl ist uns dabei nicht. Aber wer soll das bitteschön sonst machen?


Eine Arbeit fast wie durch Zauberhand – aber eben nur fast

Foto: Thomas Nodh Jansen


Nennen wir sie Agata. „Heute kommt Agata!“ Wie ein Schlachtruf schmettert die Ankündigung Woche für Woche durch die Flure unserer Stuck-Altbau-Wohnungen und Sichtbeton-Neubauten. Angesichts des uferlosen Chaos weicht der erste Schrecken einer Aufräumpanik. Wie konnte man binnen kürzester Zeit schon wieder so tief sinken. Was soll Agata von uns denken. Und wie putzen? Sogleich lodern Streitigkeiten bis hin zu Trennungsphantasien auf, weil man sich fragt, warum der Partner oder die Partnerin schon wieder die Socken unter dem Esstisch hat liegen lassen und den Zeitungsstapel samt Rezepten, iPad und Schulzeugnissen in den Papierkorb verfrachtet hat. Dann die Erkenntnis, dass man kein Bargeld parat hat. Hätte ja auch mal der andere dran denken können!

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!Und wenn sie, also Agata, wieder verschwunden ist (eigentlich weiß man nicht so genau, wohin), und die gewienerten Oberflächen die letzten Sonnenstrahlen zurückwerfen, stellt sich für einen Moment das sonst so seltene Gefühl ein, dass man sein Leben im Griff hat.Doch ein Gefühl kommt selten allein, und so mischt sich unter den kurzen Triumph schon bald eine weniger angenehme Regung. Vorsichtig lässt diese anklingen, dass sich das mit der ausgelagerten Care-Arbeit nicht ganz so sauber verhält wie mit dem frisch polierten Fischgrätenparkett. Nennen wir sie Putzfrauscham.Die Bezeichnung Putzfrau ist natürlich politisch unhaltbar. Bei der Sprache sind wir schließlich sehr sensibel. Wer heutzutage noch Putzfrau sagt, der steht im Verdacht, den Schuss nicht gehört zu haben. Den feministisch-ökonomischen, kapitalismuskritischen Schuss. Der hat weder Franziska Schutzbach gelesen noch was von Nancy Fraser gehört – und wird es vermutlich auch nie tun. Geschenkt.Alles kommt, geht, wird StaubUm das Kompositum Putzfrau ein wenig abzustauben und weichzuspülen, sprechen wir lieber von Reinigungskraft, Raumpfleger*in oder Haushaltshilfe. Das Wort „Putzen“ nämlich erinnert unmittelbar an diesen ganzen Dreck in unserem Leben, der überall lauert und nie verschwinden will. Denn alles kommt und geht und wird zu Staub. Daran wollen wir erst recht nicht erinnert werden. Und das Wort „Frau“, nun ja, entlarvt allzu unverblümt die Tatsache, dass es tatsächlich meist Frauen sind, die für ein paar Euro die Stunde scheuern, spülen, saugen. Weil wir emanzipierte Frauen es aus unerfindlichen Gründen immer noch nicht hinbekommen haben, die Geschlechterarrangements auszubalancieren. Und daran wollen wir nun wirklich am allerwenigsten erinnert werden.Reinigungskraft hingegen, das klingt nach dem vor Muskeln strotzenden Meister Proper, nach Superman returns, der mit Wischmob und Mikrofasertuch durch das Fenster gleitet, um dem Schmutz mal so richtig zu sagen, wo es langgeht. „Sorge dich nicht,“, jauchzt er uns dabei euphorisch zu, „ich reinige das mal eben alles“. Dass Superman nicht auf Lohnsteuerkarte arbeitet, versteht sich von selbst. Bereitwillig drückt man ihm ein Scheinchen in die Hand, auf dass diese fabelhaften Kräfte niemals schwinden mögen. Denn wir selbst, ach, wir fühlen uns oft so überfordert mit der Welt und all ihren Unwägbarkeiten. Arbeit, Rücken, Mental Load, Selfcare und dann noch diese strapaziöse Beziehung, die man irgendwie am flackern halten soll. Lass uns das Kind beim Namen nennen, wir sind geschwächt. Zumindest aber haben wir nicht die Kraft, auch noch die Wohnung zu reinigen.Eine professionelle Raumpflege scheint unverzichtbarDer Raumpflegerin wiederum geht ein heimeliges Gefühl voraus. Sie jongliert mit Hartwachsöl, Eukalyptusblättern und mit diesen Tannenbäumen, die im Auto unter dem Rückspiegel baumeln. Eine Raumpflegerin putzt nicht, sie pflegt. Und pflegen und hegen tut man nur etwas, das als pflegens- und hegenswert einzustufen ist, in diesem Fall unser Zuhause. Dafür muss man sich keinesfalls rechtfertigen, immerhin haben wir mit viel Mühe in Form von nächtelangen Homestory- und Pinterest-Recherchen unser Heim gestaltet, damit es bestenfalls so aussieht wie wir uns gerne sehen: als geschmackssichere, aufgeklärte Weltbürger mit Liebe fürs Detail und dem gewissen individuellen Touch. Es wäre wirklich jammerschade, dieses Interieur zwischen den Farrow-and-Ball-Wänden sich selbst zu überlassen. Da liegt es auf der Hand, dass eine professionelle Raumpflege unverzichtbar ist.Wer hingegen von seiner Haushaltshilfe spricht, ist eigentlich selbst irre fleißig. Der macht und tut, wo er kann und hat den Haushalt fest im Griff – das bisschen Haushalt! Aber weil man immer so viel arbeitet und abends gern noch ein Call reinkommt, weil die pubertierende Tochter Latein boykottiert und der demenzkranke Vater schon wieder weggelaufen ist, geht es nicht anders. Man ist auch nur ein Mensch. Klar, das ein oder andere Hemd hat man am Morgen schon gebügelt und die Klobrille sprüht man zwischendurch mal mit Desinfektionsspray ein, nachdem der Partner sein Geschäft länger als üblich verrichtet hat. Doch für den Feinschliff, die Kirsche auf der Torte – so viel Anspruch muss sein – braucht man Hilfe. Punctum saliens. Das kann einem niemand verübeln, bei dem, was man Tag für Tag leistet!Wir bemühen uns um eine vertraute BeziehungSpätestens, wenn wir am Esstisch sitzen und an fermentierten Gemüse knabbern, während um uns herum der Staubsauger brummt, breitet sich dann doch ein leises Unbehagen in uns aus. All diese korrekten Begrifflichkeiten täuschen schwerlich darüber hinweg, dass wir die reproduktive Arbeit in die Hände weniger privilegierter Frauen legen, die sich noch dazu größtenteils in illegalen Arbeitsverhältnissen befinden.Um dem Prozess der Reinigung nicht beiwohnen zu müssen, täuschen wir also vor, einen wichtigen Termin zu haben, während wir uns heimlich im Flur die Sportsachen überstreifen und ins Yogastudio fliehen. Oder wir setzen uns mit Laptop ins Café – in der Hoffnung, dass es noch ein Stück von diesem köstlichen Signature-Cheesecake gibt. Zwei Espresso hinterher, alles hat seinen Preis. Das Trinkgeld für die putzende Dame fällt dann nicht mehr ganz so großzügig aus. So dicke hat man es ja auch nicht.Oder wir bleiben ganz selbstverständlich zu Hause und bemühen uns um eine vertraute Beziehung zur emsigen Agata. Sisterhood und so. Mit selbstgebackenen Keksen zu Weihnachten, Prosecco-Angeboten und einem Reigen an Fragen zu Heimat und Herkunft. Da fühlt sich die erkaufte Freiheit gleich viel weniger fragwürdig an.In dem wundervollen Film Der Glanz von Berlin (2002), in dem drei „Putzfrauen“ portraitiert und begleitet werden, beschreibt eine denkwürdige Szene eben diese Unüberbrückbarkeit. Delia aus Argentinien, die in ihrer Freizeit großformatige Bilder malt und gesteht, dass sie sich einst ein anderes Leben, ein Leben als Künstlerin erträumt hat, verdient sich ihr Geld mit dem Putzen anderer Haushalte. In einer Szene ist sie gerade dabei, die Fenster einer Altbauwohnung zu wischen, als sich die Hausherrin an sie wendet. Die malt nämlich gerade auf einer Leinwand, vertieft in das Zusammenspiel von Farbe, Öl und Pinselstrich. Sie hat alle Zeit der Welt, so scheint es. Aber der Zweifel holt sie ein: Ist das Motiv gut getroffen? Sie ruft Delia herbei und bittet um ihre Einschätzung. Es ist als freundliche Geste gemeint. Sie will Delia ernst nehmen, eine Komplizenschaft mit ihr eingehen, vor der Kamera Verbundenheit demonstrieren. Will sagen: Wir sind doch gleich, wir Künstlerinnen! Und erhofft sich Delias Zustimmung, als sie feststellt, es sei schwierig mit der Kunst: Man müsse viel leiden. Delia pflichtet ihr nickend bei. Und mit ihrem Nicken spüren wir Zuschauer, Delias Leiden ist ein anderes als das der privilegierten Dame. Weil Delia die Fenster poliert, hat sie Zeit und Licht zum Malen.Immerhin, wir zahlen ja gutWorking women don’t have wives, sagen wir uns. Und denken, das Problem liegt im System. Wir können und wollen nicht mehr anderen den Rücken freihalten. Wir schaufeln uns selbst den Rücken frei. Und kämpfen gegen das ungute Gefühl, dass unsere eigene Arbeit vielleicht gar nicht so relevant ist, dass sie die Hilfe von Arbeitsmigrantinnen rechtfertigen würde. Die wiederum hinterlassen nämlich in ihren eigenen Familien Lücken, die oft von weiblichen Verwandten unentgeltlich gefüllt werden müssen. „Global Care Chains“ nennt die Soziologin Arlie Russell Hochschild diese ökonomisch abwärts verlaufende Wirkungskette.Männer scheinen weniger mit dieser zu hadern. Sie sind es gewohnt, dass sich jemand kümmert, dass Milben gejagt und Silberfische exekutiert werden, während sie gerade die Welt verändern. Zum Besseren, versteht sich. Dass jemand die Socken unter dem Esstisch einsammelt, Tag für Tag. Das haben schon ihre Mütter und Großmütter getan. Umso schlüssiger muss es sich anfühlen, dass sich eine fremde Frau dem Haushalt widmet, wenn es schon die eigene nicht will und kann.Nennen wir sie Elana. Bei uns sorgt Elana für Ordnung. Sie ist blutjung, kommt aus der Ukraine und spricht kein Deutsch, obwohl sie schon lange in Berlin lebt. Meine Bemühungen, ihr einen Deutschkurs aufzudrücken, scheiterten kläglich. Angestellt möchte sie auch nicht werden, obwohl ich ihr, um mich moralisch auf der sicheren Seite zu wähnen, wiederholt die Vorzüge einer Krankenversicherung heruntergebetet, sprich google-translated habe.Ich hätte sie gerne in den Arm genommenNeulich hat Elana kurzfristig abgesagt, das erste Mal in drei Jahren. Ihr Vater sei im Krieg gestorben, schrieb sie via WhatsApp. Elana putzt nicht nur in unserem Haushalt sondern auch bei einigen Freunden. Wir alle waren geschockt. Sprachlos. Endlich formulierte ich eine Antwort an sie, drückte mein Beileid aus, fragte, ob ich irgendwie helfen könne. Natürlich konnte ich nicht. Zwei Wochen später stand sie wieder auf der Matte, sie brauchte Geld, das Leben ging weiter. Ihr Leben, und unseres zugegeben auch. Ich hätte sie gern in den Arm genommen oder etwas Herzerwärmendes gesagt, am besten in ihrer Sprache.Stattdessen gestikulierte ich unbeholfen mit betroffener Miene herum, bevor ich mich kleinlaut im Arbeitszimmer verkroch und so tat, als sei etwas Wichtiges zu schreiben. In Wirklichkeit recherchierte ich für den Schweden-Urlaub und googelte angesagte Kurzhaarfrisuren. Und schämte mich. Dafür, dass überall Wäscheberge herumlagen, dafür, dass Elana keine Ausbildung hat, dafür, dass auch ich nie Nancy Fraser gelesen habe. Und dafür, dass ihr Vater erschossen wurde, während sie vielleicht gerade die Wasserpistolen und Blaster-Gewehre irgendwelcher Kinder in Schubladen einsortierte, die vor lauter Spielzeug überquollen.Als Elana dann wieder verschwunden war, blickte ich durch die strahlende Wohnung und atmete durch. Die letzten Lichtstrahlen tauchten das Interieur in goldenes Licht. Ich wartete auf das triumphierende Gefühl, mein Leben im Griff zu haben und sammelte innerlich Argumente gegen die sich anbahnende Putzfrauscham: Immerhin zahlen wir gar nicht so schlecht, und überhaupt, ich muss mich dringend um meinen Rücken und um den demenzkranken Schwiegervater kümmern. Hoffentlich ist er nicht wieder abgehauen. Und das mit der Krankenversicherung – hey, wir haben es ja echt versucht.Juliane Großheim ist Autorin und Drehbuchschreiberin in Berlin



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Von Veritatis

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