In den anstehenden Koalitionsverhandlungen muss Kultur- und Medienpolitik ernst genommen und die offene Gesellschaft gestärkt werden


Wer den Rauch in der Kulturpolitik nicht erkennen will, wird vielleicht schon bald mit rechtem Feuer konfrontiert

Foto: Bengt O. Pettersson/plainpicture/Folio Images


Wenn man früher mit einem Abgeordneten nicht viel anfangen konnte, dann wurde er von den Fraktionskollegen gerne in einen ganz bestimmten Ausschuss abgeschoben, nämlich jenen für Kultur und Medien. Lange galt dieses Feld in der Bundespolitik als harmlose Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Hinterbänkler. Und auch wenn heute noch so manche Partei für diesen Bereich viele Phrasen feilbietet, hat sich die Lage doch gewandelt. Insbesondere, weil die AfD erkannt hat, welche Relevanz Theatern, Literatur- und Konzerthäusern auf der einen und Rundfunkanstalten auf der anderen Seite zukommt. Wie einst die Nationalsozialisten weiß sie: Wer jene Kanäle bespielt und propagandistisch anpasst, der vermag auch das Bewusstsein der Menschen zu verändern.

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.Wachsamkeit scheint also geboten für die anstehenden Koalitionsverhandlungen. Mehr noch, alle, denen die offene plurale Gesellschaft am Herzen liegt, sind aufgefordert, deren Fundament zu stabilisieren. Kultur im Grundgesetz zu verankern, wie es unter anderem SPD und Grüne fordern, kann einer besseren Finanzierung ihrer Einrichtungen Vorschub leisten, zu ihrem Fortbestand unter liberalen Bedingungen trägt der Vorstoß aber wenig bei.Mehr als BekenntnisprosaNur welche Gefahren drohen überhaupt durch eine Stärkung der Nationalisten? Dazu lohnt ein Blick auf die schon ältere Debatte um die „Leitkultur“, die mit dem Erstarken der Rechten an Brisanz zugenommen hat. Wer wie die CDU eine solche Leitkultur einfordert, der spielt gewissermaßen über Bande: Kultur ist, was teilen soll, wer in unsere Gesellschaft einwandern will. Also „Achtung der Grund- und Menschenrechte, Meinungsfreiheit, Gleichberechtigung“, aber auch ein „ungezwungener Patriotismus“.Was man bei der CDU unter Leitkultur zusammenfasst, erweist sich noch als light gegenüber den Zuspitzungen im Wahlprogramm der AfD. Den „Multikulturalismus“ bereits in der Kapitelüberschrift ablehnend, beruft sich die Alternative für Deutschland zunächst wohlklingend auf die „positiven Werte der Aufklärung und des Humanismus“, um schon im selben Satz die Stimme für „eine geistig-kulturelle Erneuerung und Wende auf allen Ebenen“ zu erheben – ein groteskes Paradox, zumal sich gerade das Erbe Kants und Lessings als Plädoyer für Toleranz und überzeitliche Normen liest, das eben keine widersinnigen Moden erlaubt. Man spürt, dass in diesem Konzept weitaus mehr Björn Höcke als Vernunftepoche steckt.Eine revanchistische BetrachtungIm Kern geht es um unser Verhältnis zur historischen Vergangenheit. „Die deutsche Geschichte ist in ihrer Gänze zu würdigen“, schwurbelt man, „die offizielle Erinnerungskultur darf sich nicht nur auf die Tiefpunkte unserer Geschichte konzentrieren“, womit vornehmlich der Nationalsozialismus gemeint sein dürfte. „Sie muss auch die Höhepunkte im Blick haben. Ein Volk ohne Nationalbewusstsein kann auf die Dauer nicht bestehen.“Woran denkt man da? Das Kaiserreich? Das zersplitterte Deutschland zur Zeit der Romantik? Die Schlacht im Teutoburger Wald? In jedem Fall nicht an die Gegenwart, die sich in absurden Theoriebildungen verfange. Die „angeblich notwendige ‚Dekolonisierung‘ unserer Kultur, die mit einer Verteufelung des ‚weißen Mannes‘ einhergeht“, wird infrage gestellt. Genauso wie die Berechtigung der „Critical Race Theory“. Die Annahme, „wonach Rassismus gegen Weiße nicht möglich sei, lehnen wir ab“.Zwar haben manche politischen Konkurrenten die Konsequenzen dieser letztlich revanchistischen Betrachtung des zurückliegenden Jahrhunderts vor Augen, gleichwohl zeugen ihre eigenen Programme von Binsen. Die Grünen streben zum Beispiel an, die „Erinnerungskultur weiter für die Realität der Einwanderungsgesellschaft“ zu öffnen und die Erinnerung an die Opfer von „rechter Gewalt dauerhaft darin aufzunehmen“. Neben der NS-Barbarei weisen die Sozialdemokraten wiederum auch auf eine nötige Aufrechterhaltung des Gedenkens an die Verbrechen im Kolonialismus hin. Aber wie soll das geschehen?Rundfunkstaatsvertrag neu aushandelnJe mehr Spielraum man den Extremisten beim Umkrempeln der Kulturlandschaft zubilligt, desto offensichtlicher wird der Bedarf nach einem Kulturschutzgesetz, nicht zu verwechseln mit dem schon bestehenden Kulturgutschutzgesetz, das sich 2016 vornehmlich um Restitution, Rückgabe fremden und Abwanderungsschutz deutschen Kulturguts kümmert. Raubkunst und ihr Umgang damit, die Folgen des Kolonialismus stehen hierbei im Zentrum. Ein nationales Kulturschutzgesetz strebt die uneingeschränkte Bewahrung unserer Institutionen vor extremistischen Übergriffen an. Es muss zuvorderst die Bühnen unabhängiger machen, ihnen sehr langfristig feste Budgets – losgelöst von wechselnden Mehrheiten auf Länder- und Kommunalebene, wo ein Großteil der Kulturpolitik verantwortet wird – zusichern. Wahlen und sich ändernde Machtkonstellationen sollten nicht ihre Gestaltungsautonomie gefährden.Mehr als Bekenntnisprosa braucht es ebenfalls beim Schutz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Zugegeben, dass die AfD nicht gut auf ihn zu sprechen ist, darf man auch als ein hausgemachtes Problem der TV-Formate bezeichnen, die keinen souveränen Umgang mit der Spitzenkandidatin Alice Weidel gefunden haben. Bei der Chancengleichheit, die der Beförderung des unsäglichen Opfermythos der AfD entgegenwirken könnte, scheint noch Luft nach oben zu sein.Nichtsdestotrotz sollte man die Forderungen der Populisten zum Rundfunk als logische Reaktion auf die entsprechenden Interviews und Schlagabtausche ansehen. Denn die reichen äußerst weit. Verschwörungsterminologisch sprechen die Rechtspopulisten von einem mit „Parteien vernetzten Apparat“, der „entgegen den Anforderungen des Medienstaatsvertrags gezielt zur Meinungsmache“ beitrüge. Er müsse daher „grundlegend reformiert, verschlankt und entideologisiert werden“. Ferner sei eine „gebührenfreie Grundversorgung“ das Ziel, was nichts anderes meint als den Geldhahn für die ARD-Anstalten und das ZDF abzudrehen.Die strenge föderale Architektur bei Kultur und MedienAllein um den Verdacht des „Gesinnungsjournalismus“ nicht erst aufkommen zu lassen, erweisen sich zwei Punkte, die in den Sondierungen zwischen SPD und CDU eine Rolle spielen sollten, als zentral: Erstens muss die Finanzierung des Rundfunks – äquivalent zur Idee eines Kulturschutzgesetzes – langfristig, über mehrere Legislaturen hinweg gegeben sein. Vielleicht wäre hierzu sogar eine Verfassungsänderung hilfreich. Zweitens muss der Rundfunkstaatsvertrag zeitgemäß und neu ausverhandelt werden. Im Gegensatz zur aktuellen Lage sollten Parteienvertreter gänzlich aus den entsprechenden Gremien entfernt und beispielsweise durch wissenschaftliche Expertisen ersetzt werden. Dadurch wird ebenso der AfD das Argument genommen, die „Kartellmächte“ würden lenkend redaktionelle Inhalte beeinflussen.Was sowohl die Medien- als auch die Kulturpolitik betrifft, lohnt es, noch über eine weitere Tradition nachzudenken. Nachdem beide Felder vor allem Ländersache sind und die AfD in vielen Regionen schon über 40 Prozent Stimmenanteile verfügt, könnte sie – in einer dunklen Zukunftsprognose – bald in die empfindliche Infrastruktur der regionalen Sendeanstalten und Haushaltsplanungen eingreifen. Unliebsame Intendant:innen und Redaktionen dürften unter Druck geraten. Daher muss nun auch die strenge föderale Architektur bei Kultur und Medien auf den Prüfstand. Es darf nicht sein, dass die Neorechten wie eine Graswurzelrevolution von unten das System auszuhöhlen beginnen. Der Bund braucht mehr Kompetenzen, wozu eine Stärkung des Amts des Kulturstaatssekretärs unerlässlich ist. Im Gespräch sind dafür die Kultursenatoren Joe Chialo (CDU) und Carsten Brosda (SPD).Während Ersterer die Berliner Kultur in Grund und Boden spart, hat Letzterer, eine Ausnahmeerscheinung in unseren Tagen, den Hamburger Kulturetat aufgestockt. Er wäre der deutlich geeignetere Kandidat, auch weil er als Präsident des Deutschen Bühnenvereins glaubhaft die Liebe zur Kunst verkörpert. Typen von seinem Schlag werden nun gesucht, gefestigt in ihrer Haltung und Vision. Die Zeit für Schöngeister auf diesem Feld scheint vorbei.



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Von Veritatis

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