Die neue Groko konzentriert sich auf Fake-Baustellen – auf reale Herausforderungen wie Armut findet sie keine Antwort. Als Schuldige markiert sie derweil Bürgergeldbezieher. Warum solch ein Vorgehen billig wie politisch fahrlässig ist
Friedrich Merz (links), CDU und Lars Klingbeil, SPD: Zwei, die sich darauf verstehen, soziale Härte durchzusetzen
Foto: Bernd Elmenthaler/Imago
Stellen Sie sich vor: Sie arbeiten und können von Ihrem Gehalt gut leben, zusammen mit Ihren Kindern. Wenn Sie krank werden, bleiben Sie zu Hause und ruhen sich aus, bis Sie wieder gesund sind. In dieser Zeit bekommen Sie Krankengeld. Wenn Sie wieder arbeiten, arbeiten Sie so viel, dass der Job Sie nicht krank macht. Und Sie wissen: Sollten Sie arbeitslos werden, steht Ihre Existenz nicht auf dem Spiel. Sie müssen keine Angst haben, Ihre Miete nicht zahlen zu können. Sie müssen keine Angst vor Armut haben.
Als wäre Christian Lindner im Raum
Ziemlich weit weg, diese Vorstellung, oder? Und sie entfernt sich immer mehr vom Status quo. Ein weiterer Schritt der Entfernung ist das Sondierungspapier von Union und SPD. „Leistung muss sich lohnen“, so hieß es
Sondierungspapier von Union und SPD. „Leistung muss sich lohnen“, so hieß es bei der Pressekonferenz zum Sondierungspapier. Es war, als wäre FDP-Chef Christian Lindner im Raum. Der, der den Satz sagte, war aber der SPD-Parteivorsitzende Lars Klingbeil. Er meinte damit: Wer nichts leistet, bekommt nichts. Im Fall von Bürgergeldempfänger*innen, die einen Job ablehnen, tatsächlich gar nichts. Nicht mal mehr die Miete. Aus Bürgergeld soll Grundsicherung werden. Passender wäre Grund-Unsicherheit.Aus Bürgergeld soll Grundsicherung werden. Passender wäre Grund-Unsicherheit.„Bei Menschen, die arbeiten können und wiederholt zumutbare Arbeit verweigern, wird ein vollständiger Leistungsentzug vorgenommen“, so steht es im Papier. Direkt danach heißt es, man würde für die Verschärfung der Sanktionen die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts beachten. Vollsanktionen akzeptieren die Karlsruher Richter aber nur, wenn es um einen möglichen Arbeitsplatz geht, der einen Menschen aus dem Bürgergeldbezug bringen würde. Wir reden also von einem Bruchteil von Bürgergeld beziehenden.In den ersten elf Monaten 2023 gab es insgesamt 13.838 Fälle von Menschen im Bürgergeldbezug, die sich weigerten, eine Arbeit aufzunehmen oder fortzuführen – dazu zählten auch Weiterbildungs- und Qualifikationsmaßnahmen. 13.838 Fälle von insgesamt 5,5 Millionen Menschen, die in diesem Zeitraum Bürgergeld bezogen.Statt das „Leistung muss sich lohnen“ von Christian, sorry, Lars Klingbeil gegen Bürgergeld beziehende einzusetzen, könnte er es im Sinne der Sozialdemokratie wenden. Dann würde es darum gehen, dass Arbeiter*innen gut von ihren Löhnen leben könnten. Es würde um die Aufwertung von Care-Arbeit gehen.Saskia Esken durfte fast froh, mit am Tisch zu sitzen „Unser Ziel ist eine Gesellschaft, in der Frauen und Männer gleichberechtigt und respektvoll miteinander leben – im Beruf, in der Familie und in der Politik“, so heißt es im Sondierungspapier. Die Pressekonferenz zeigte, wie das gerade überhaupt nicht gelingt. SPD-Chefin Saskia Esken durfte ja fast froh sein, mit am Tisch zu sitzen, so sieht es jedenfalls auf einigen Fotos aus. Und dass der Frauenanteil im Bundestag gesunken ist, dafür ist maßgeblich die Union mitverantwortlich. (Ja, es wäre theoretisch möglich, dass Männer auch Politik für Frauen machen, ich habe das hierzulande bisher aber nicht beobachten können.)Keine Ahnung von MalocheDazu passend der Vorschlag des CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz, die tägliche Höchstarbeitszeit zu einer wöchentlichen im Arbeitszeitgesetz zu ändern. So ein Vorschlag kann nur von einem Mann kommen, dem alle Care-Arbeit abgenommen wird. Der nicht weiß, wie man sich nach einem Acht-Stunden-Maloche-Tag fühlt. Der nicht weiß, dass es Dinge gibt, die man nicht verschieben kann. Schlafen und Essen und Kinder zum Beispiel. Und die kurze Erholung, damit man am nächsten Tag wieder malochen gehen kann.So ein Vorschlag kann nur von einem Mann kommen, dem alle Care-Arbeit abgenommen wird.Auch Malocher*innen sind die Menschen, die für den Aufstieg der AfD gesorgt haben. Der Zusammenhang zwischen Armut und Stimmen für rechtsextreme Parteien ist klar: Wenn eine Region armutsgefährdet ist, erhält zum Beispiel die AfD mehr Stimmen. Gut zu sehen ist das in Gelsenkirchen, der ärmsten Stadt Deutschlands. Dort war die AfD bei den Zweitstimmen stärkste Partei: 24,7 Prozent. In ganz Deutschland gingen 38 Prozent der Stimmen von Arbeiter*innen an die AfD. Der Stimmanteil bei Wählenden mit schlechter wirtschaftlicher Situation liegt bei 39 Prozent. Je größer die Angst vor sozio-ökonomischem Abstieg, desto mehr AfD.Politik mit Sündenböcken und Fake-ProblemenCSU-Chef Markus Söder beschrieb seinen Beitrag bei der Pressekonferenz als „Botschaft an unser verunsichertes Volk“. Erstens möchte ich kein Teil eines „Söder-Volks“ sein und zweitens ist wenig verunsichernder als dieses Sondierungspapier. Die Verabredungen von Union und SPD zeigen eine Politik, die einen Schuldigen sucht und ihn in Erwerbslosen und Geflüchteten findet.Eine Politik, die sich auf Fake-Probleme wie „Totalverweigerer“ konzentriert, statt auf wirkliche Probleme (Armut in strukturschwachen Regionen). Während es möglich wäre, Armut abzuschaffen. Zum Beispiel mit Sondervermögen oder mit dem Vermögen von Überreichen. Das würde der SPD, wie sie mal war, gut stehen. Aber diese SPD gibt es offensichtlich nicht mehr. Geblieben ist eine SPD, in die vielleicht Christian Lindner bald eintritt.Wenn der Zusammenhang zwischen Armut und dem Erfolg von Rechtsextremen klar ist, ist auch die Strategie dagegen klar: Armut abschaffen. Eine andere Welt ohne Unsicherheit, Armut und Angst vor Armut ist möglich. Allerdings nicht mit diesen Parteien.