Früher Werkstudent bei der CDU, heute linker Digitalaktivist: Simon David Dressler macht sein Geld mit linkem Content auf Social Media. Wie widersprüchlich ist das? Ein Porträt
Verdient auf TikTok Geld, ohne seine Seele zu verkaufen: Simon David Dressler
Foto: Marcus Höhn
Früher Nachmittag im Prenzlauer Berg. Das Café „Kapitalist“ in der Oderberger Straße ist spärlich bevölkert von MacBooks und hippen Müttern, bevor es abends zur Bar wird. Simon David Dressler, 25, über 50.000 Follower auf TikTok, hat den Treffpunkt vorgeschlagen, auch wenn er sich selbst als Antikapitalist versteht. Warum das kein Widerspruch ist, darüber wird er später noch sprechen.
Es fällt nicht schwer, Dressler zu erkennen, schließlich stellt er sich täglich vor die Handykamera, um politische Inhalte zu vermitteln. Vor kurzem war er sogar in der ARD zu sehen, als „selbsternannter Linksfluencer“ wurde er dort vorgestellt. Das findet er „lustig“, denn selbst habe er sich so noch nie genannt. E
Vor kurzem war er sogar in der ARD zu sehen, als „selbsternannter Linksfluencer“ wurde er dort vorgestellt. Das findet er „lustig“, denn selbst habe er sich so noch nie genannt. Einverstanden mit der Beschreibung ist er aber allemal.Wir kennen die Berufssparte des „Influencers“ aus den sozialen Medien. Selbst auf junge Menschen kann die extreme Selbstdarstellung befremdlich wirken. Nicht nur der eigene Körper, auch die Persönlichkeit als Werbefläche – wie soll diese Form des Digital-Narzissmus zusammengehen mit dem Anspruch, politisch wertvolle Inhalte zu vermitteln? Dressler hat sich mit derlei Einwänden offenbar schon öfter auseinandergesetzt. Statt sich zu rechtfertigen, nimmt er sich Zeit und holt aus.„Hey, ich arbeite für die CDU und möchte dir erklären, warum ich gestern gekündigt habe“Angefangen mit dem digitalen Aktivismus hat Dressler 2021. Vorher sei er „unpolitisch aufgewachsen“, sagt er, in der Nähe von Mannheim. Seine Mutter wählte zwar die Grünen, aber „nur wegen Tierschutz und Umwelt und so“, nicht aus konkreten (klima-)politischen Vorstellungen heraus. Als „großes Privileg“, empfindet er diese Haltung rückblickend. Mit 19 kam er dann nach Berlin, um Linguistik zu studieren. „Es war nie mein Ziel, eine politische Karriere irgendwo zu machen, aber ich brauchte einen Nebenjob.“ Über einen Freund sei er „per Zufall“ im Konrad-Adenauer-Haus gelandet. Er wurde Werkstudent in der Social-Media-Abteilung der CDU. Zuerst habe er sich nicht viel dabei gedacht, die CDU habe er zu dem Zeitpunkt „einfach nur mit Angela Merkel verknüpft“. Doch dann kam „diese Sache mit Hans-Georg Maaßen“.Der damalige Chef des Bundesamts für Verfassungsschutz hatte schon 2018 angezweifelt, dass in Chemnitz Rechtsradikale Jagd auf Migranten gemacht hatten. Als im April 2021 bekannt wurde, dass der auch durch Antisemitismus und Verschwörungstheorien negativ aufgefallene Maaßen für den Deutschen Bundestag zu kandidieren beabsichtigte, war das ein Weckruf für Dressler. „Da habe ich mir dann gedacht: Mist, ich stehe doch auf der ganz anderen Seite, was mache ich hier eigentlich?“ Im Mai 2021 kündigt er und lädt sein erstes Video auf Instagram hoch. Simon Dressler: „Überlasst TikTok nicht den Rechten, werdet aktiv!“Die ersten Worte: „Hey, ich bin Simon, ich arbeite seit einem Jahr für die CDU und ich möchte dir erklären, warum ich gestern gekündigt habe.“ Luisa Neubauer kommentiert das Video mit einer hochgestreckten Faust. Dressler ist motiviert, weiterzumachen. In einer Video-Serie beginnt er, Gründe zu nennen, warum man die CDU nicht wählen sollte. Seine Erkenntnis: Menschliche Werte müssen nicht privat bleiben, sie lassen sich „in politische Werte umwandeln“. Immer mehr Leute schauen zu.Dressler erkennt die Wichtigkeit von sozialen Medien für die politische Debatte, vor allem für Jugendliche und junge Wähler. Aus Bestürzung über die Vorherrschaft von AfD-Inhalten auf TikTok postet Dressler im September 2023 ein Video: „Leute, wir müssen reden. TikTok ist voll von AfD-Livestreams und rechtsextremer Propaganda wie Nius. Und was kommt von linker, progressiver oder grüner Seite? Irgendwie gar nichts! Überlasst TikTok nicht den Rechten, werdet aktiv!“ Die Linke reagiert damals auf das Video, baut ihre Präsenz in den sozialen Medien massiv aus – und punktet auch deshalb bei dieser Bundestagswahl vor allem bei jungen Leuten. „Die haben es geschnallt“, freut sich Dressler.Aber er sagt auch, dass Tiktok nicht die Ursache für den Erfolg der Linken war: „Die Inhalte der Linken waren auch schon gut, bevor sie auf TikTok so präsent gemacht wurden. Und wenn die Inhalte nicht stimmen, dann hilft auch deine TikTok-Präsenz nichts“. Auf TikTok verbreiteten sich eben populäre Inhalte am besten, und die Linke gehe als eine der wenigen Parteien auf die Sorgen ein, die junge Menschen heute umtreiben: soziale Ungleichheit, finanzielle Perspektivlosigkeit, Zukunftsangst. Die Linke sei nicht durch TikTok gewählt worden, sondern habe schlicht verstanden, wie TikTok funktioniert, und es als eines (von vielen) Medien ernst genommen.Wie verdient Simon Dressler sein Geld?Dressler verdient als „Linksfluencer“ auch Geld. Allerdings nicht durch Werbung für Protein-Shakes oder die neueste Bademode, wie man es von unpolitischen Influencern kennt, sondern durch bezahlte Kooperationen mit gemeinnützigen Vereinen wie Greenpeace oder der Stiftung Rosa Luxemburg. Solche Anfragen erhalte er aber erst seit der Aufdeckung des Rechtsextremen-Treffens in Potsdam, vorher hätten politische Organisationen das Potenzial von linken „Content-Creators“ wie ihm gar nicht auf dem Schirm gehabt. Dabei sei es so wichtig, dem rechten Content auf TikTok und Co. etwas entgegenzusetzen: Die AfD habe schon früh auf Social Media gesetzt und massenweise Social-Media-Manager eingestellt, gegenüber anderen Parteien habe sie deswegen heute immer noch einen Vorsprung.Dressler bezeichnet sich selbst als „progressiver Populist“. Was damit gemeint sei? Ganz einfach, erklärt er: „In der Politikwissenschaft spricht man von Populismus, wenn eine Differenzierung von Wir und Die aufgemacht wird. Bei rechtsautoritären Populisten, die momentan leider viel Macht haben, wird so ein völkisches Wir beschworen. Zum Beispiel: Wir, die weißen Amerikaner gegen die da. Ich halte dieses Wir nicht immer für falsch, denn es gibt ja reale Machtverhältnisse, auf die dieses Konzept zutrifft. Zum Beispiel die ökonomischen: Es gibt sehr viele Leute, die wenig Geld haben und sehr, sehr wenige Leute, die unvorstellbar viel Geld und Macht haben“. Dressler ist überzeugt: „Wir können ein progressives Wir und Die kreieren, und zwar von linker Seite. So gesehen nenne ich mich gerne progressiver Populist.“Dressler ist kein Journalist, er sagt von sich selbst, er arbeite „eher agitatorisch als journalistisch“. Und warnt davor, dass Jugendliche Tiktok als das einzige Medium begreifen. „Meine zweiminütigen Videos sind kein Ersatz für einen Zeitungsartikel. Ich habe keinen Neutralitätsanspruch an mich und außerdem in jedem Video eine bestimmte Agenda, die ich aber auch offenlege“.„Arrogante Boomer“ mag er nichtSelbst für „Boomer“, über die sich Dressler (wie auch viele andere junge Menschen in den sozialen Medien) gerne lustig macht, hat er warme Worte übrig: „Ich habe überhaupt nichts gegen ältere Leute, die mir differenzierte Mails schreiben, in denen sie auch mal Kritik an mich äußern und zum Beispiel sagen, hey, ich finde dich cool, aber über Aufrüstung sollten wir zumindest nachdenken. Das finde ich eher süß.“Ihn stört die Erwartungshaltung von einzelnen: „Diese arroganten Boomer, die glauben, dass sie die Weisheit mit Löffeln gefressen haben und die Krone der Schöpfung seien und die mir dann schreiben, junge Leute sollten sich mal mehr anstrengen, obwohl sie überhaupt keine Vorstellung davon haben, wie sich die Welt in den letzten 20, 30 Jahren geändert hat. Dass man zum Beispiel studieren kann, wie man will, und sich wahrscheinlich trotzdem kein Wohneigentum wird leisten können.“ Diesen Leuten würde er gerne sagen: „Entschuldige mal, ich gebe schon die Hälfte meines Einkommens jeden Monat zurück an meinen Vermieter, für das sogenannte Privileg, in einer Stadt zu wohnen“.Stellt sich noch die Frage, wo sich die Arbeit des „Linksfluencers“ eigentlich von der Social-Media-Nutzung der Rechten unterscheidet. Auch darauf hat Dressler eine klare Antwort: „Rechte wie Alice Weidel und Co. nehmen sich alle furchtbar ernst, haben keinen Funken Humor. Wenn man aber empathisch oder intelligent oder einfach nur ein bisschen wissbegierig ist, dann ist das die beste Voraussetzung, um nicht politisch in dieser humorlosen Ecke zu landen. Auf eine Art beruhigt mich das.“Im Sommer will Dressler sein Linguistik-Studium abschließen. Mit einer Masterarbeit über die Macht der Sprache auf TikTok.