Die Science-Fiction-Serie „Severance“ pervertiert die Idee der Work-Life-Balance und passt als Bild perfider Ausbeutung perfekt in unsere Post-Covid-Gegenwart


An was Mark S. (Adam Scott) und seine Kollegen arbeiten, wissen sie selbst nicht

Foto: Apple TV+


Keine andere Serie vermag es, die stumpfe Ödnis von Büroarbeit mit solcher Spannung zu füllen. Dabei sind Orte und Ausstattung in Severance seit der ersten Folge in monotoner Wiederholung die immer gleichen, mit nur wenigen Abweichungen. Draußen herrscht Winter, im Innern des Gebäudes der ominösen Corporation mit dem falsch verheißungsvollen Namen „Lumon“ aber führt das Labyrinth der endlosen weißen Flure irgendwann ins vertraute, fensterlose Großraumbüro mit den einsamen vier Schreibtischen, die von Zwischenwänden in typisch amerikanische „Cubicles“ geteilt sind. Hier starren die vier Hauptfiguren der Serie auf ihre Computerbildschirme.

Eigentlich gibt es nichts Langweiligeres als Einblicke in die Arbeitswe

ke in die Arbeitswelt von Angestellten. Doch in Severance trifft das absolut Gewöhnliche unmittelbar aufs absolut Unheimliche, was zu einer selten fesselnden Kombination führt. Einerseits plauschen die Mitarbeiter wie überall auf der Welt über das bevorstehende Mittagessen und zu erfüllende Arbeitsquoten, andererseits ist da die große Einsamkeit um sie herum, lauter leere Büros, in denen niemand sitzt.Und so alltäglich-normal ihr morgendliches Ankommen und abendliches Verabschieden wirkt, fällt doch auf, dass sie nie über ihr Privatleben sprechen. Denn Mark S. (Adam Scott), Helly R. (Britt Lower), Dylan G. (Zach Cherry) und Irving B. (John Turturro) sind „severed“, soll heißen, sie haben ihre Persönlichkeiten geteilt in eine Hälfte, die bei der Arbeit aktiviert wird, und eine andere, die das Privatleben führt. Sinn der Teilung ist, dass die beiden Hälften nichts voneinander wissen.Für die Arbeitswelt manipuliertSelbst für ein Werk der Science-Fiction ist das eine steile Prämisse. Dass man sich als Zuschauer darauf einlässt, hat damit zu tun, dass uns die Unterscheidung eines „Privat-Ichs“ und eines „Arbeits-Ichs“ so einleuchtet. Das Nachdenken über eine gelingende „Work-Life-Balance“ verstärkt dieses Bild sogar noch.Dass es in Severance aber nicht um den glückenden Ausgleich zwischen notwendigem Broterwerb und individuellen Bedürfnissen geht, sondern um etwas viel Düstereres, Verstörenderes, machte bereits die erste Folge klar, in der man Mark S. vor Arbeitsbeginn auf dem Parkplatz in seinem Auto hatte weinen sehen. Im Anschluss hatte er sich die Tränen getrocknet, das Foyer betreten, die Sicherheitskontrolle durchschritten und war im Fahrstuhl „umgeschaltet“ worden. Sein leutseliges Büro-Ich jedenfalls scheint von den Tränen nichts mehr zu wissen.Im Lauf der ersten Staffel lernte man sowohl das Innenleben von Lumon als auch die Welt drum herum etwas kennen. Die Figur von Mark S. war die einzige, aus deren Privatleben ausführlicher erzählt wurde, dessen „Outie“ man neben seinem „Innie“ kennenlernte. Man erfuhr ganz nebenbei auch, dass „Outie“ und „Innie“ Begriffe sind, die die Lumon-Corporation in bewusster Verharmlosung für die zwei Persönlichkeiten ihrer „geteilten“ Angestellten in Umlauf gebracht hat. Die unmittelbare Umgebung von Mark Scout, wie er im „wahren Leben“ genannt wird, ist auf Lumon und die Praxis der Severance nicht gut zu sprechen.In einer späteren Folge der ersten Staffel besucht Mark mit einem Date ein Punk-Konzert, bei dem die Band ihr Publikum dazu bringt, den Refrain „Fuck you, Lumon“ mitzubrüllen. Mark brüllt mit, was für seinen „Outie“ eine Wandlung anzeigte. Ursprünglich einer, der mit Einverständnis sein Privat-Ich am Eingang zu Lumon aufgab, brachten ihn diverse Irritationen dazu, den guten Willen seines Arbeitgebers zu hinterfragen. Sein „Innie“ Mark S. machte derweil mit anderen Entdeckungen eine parallele Entwicklung durch. Aber werden sie je zusammenkommen?Was Marks Kollegen Dylan, Irv und Helly so treiben, wenn sie ihren Arbeitsplatz bei Lumon verlassen, kam bislang nur bruchstückhaft vor. Und dennoch fieberte man beim Aufstand, den sie am Ende der ersten Staffel planten, für jeden Einzelnen mit. Was unbedingt für die Erzählweise der Serie spricht, die mit ihrer kalten, monotonen Ästhetik eine seltene Intensität für ihre Figuren schafft.Severance hat den Status einer KultserieObwohl nicht gerade ein Blockbuster unter den Serien, stieg Severance bei der ersten Ausstrahlung 2022 in den Status einer Kultserie auf. Als Metapher auf die spät-kapitalistische Arbeitswelt passte das Bild der perfiden Ausbeutung durch Persönlichkeitsspaltung einfach zu gut. Zumal in einer Post-Covid-Ära, in der überall das „Zurück-zu-normal“ angekündigt wurde, sich dann aber herausstellte, dass auf unheimliche Weise doch alles anders war.Die treffende Kombination aus bedrückend und satirisch gelingt nun auch in der zweiten Staffel, die im realen Leben drei Jahre später kommt, in der Welt der Serie aber nahtlos an die Ereignisse von damals anschließt. Wieder treibt weniger ein Thrillerplot die Handlung voran, als dass die Enthüllung weiterer bizarrer Details aus dem Lumon-Betrieb Schrecken verbreitet – und als Parodie sowohl auf US-amerikanischen Gründerzeit-Größenwahn als auch auf stalinistischen Sozrealismus funktioniert.Und inmitten all der Bizarrerie kommt es zu Momenten, die in ihrer Menschlichkeit tief berühren, wie schon in der ersten Staffel die unkonventionelle Büro-Affäre zwischen Irv und Burt G. (Christopher Walken in einer herrlichen Altersrolle). An was Mark S. und seine Kollgen eigentlich arbeiten, das wissen sie übrigens selbst nicht. Ihr Projekt sei „mysteriös, aber wichtig“, versprechen die Vorgesetzten.Severance Dan Erickson USA 2022 – 2024, 19 Folgen, AppleTV+



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Von Veritatis

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