Es ist Heiliges Jahr und Millionen Christen pilgern nach Rom (auch wenn Luther sie gewarnt hat). Sinn finden Menschen auch auf den Spuren von Rockstars. Wer einen Pilgerbestseller schrieb und wo Richard Gere nicht zahlte: Das Wochenlexikon
Das Pilgern des Jakobswegs wurde spätestens seit Hape Kerkeling zum Volkssport
Foto: Greglor Lengler / laif
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wie Aramäisch
„Es gibt Leute, die glauben so was. Wir nicht“, sagte mein Vater mit Nachdruck, als ich ihn auf die unweit meines Geburtsortes in Konnersreuth ansässig gewesene Therese Neumann ansprach. Die 1898 geborene Bauerntochter soll nach einem Erweckungserlebnis regelmäßig während der Ostertage die Stigmata empfangen und Aramäisch gesprochen haben, die zur Zeit Jesu vorherrschende Alltagssprache in Palästina. Unzählige Pilger fuhren in die Oberpfalz, schon zu Neumanns Lebzeiten und bis heute. Auf dem Friedhof finden sich in der Nähe des Grabs zahlreiche Tafeln mit Danksagungen: „Resl hat geholfen“, und es gibt ein Museum, in dem die Lebensgeschichte dokumentiert ist. Ob nun wahr oder doch nur sensationell gespielt
sationell gespielt – auf historischen Filmaufnahmen kann man die Resl in religiöser Versenkung sehen: Blut weinend, die Hände zum Himmel hebend. Den Reiz, den sie auf mich ausübt, gestehe ich gerne ein und mit ihm eine Sehnsucht nach Dingen, die höher sind als unsere Vernunft. Beate Tröger Fwie FußballWer Gott und Fußball wirklich verbinden will, hat dafür zwei Möglichkeiten in Deutschland – eine in Hamburg, eine in Gelsenkirchen. Das Bistum Essen hat sein Pilgerwegenetz um eine Extra-Tour erweitert, auf der Pilgernde dem Fußball-Mythos Schalke nachspüren können. Zugleich sollen sie dabei Momente des Innehaltens finden. Der Weg beginnt an einem Kirchenfenster mit Fußball und führt über ein Gräberfeld für Fans in Stadionnähe. Spirituell wandern können auch Anhänger des HSV. Der Weg ist 18,87 Kilometer lang, 1887 ist das Gründungsjahr des Vereins. Von den Landungsbrücken geht es über mehrere Stationen, quasi heilige Orte für Fußballgläubige, zum Volksparkstadion. Der Weg soll den Kicker-Club in Hamburg sichtbarer machen. Nötig hat es der Zweitligist wohl, wenner Fans was bieten muss, damit sie in die Hansestadt pilgern. Tobias PrüwerGwie Greenwich Village„Sie waren von England nach Minneapolis geflogen, um sich ein Klo anzuschauen.“So beginnt Nick Hornbys Roman Juliet, naked. Duncan, ein manischer Fan des verschollenen Independent-Stars Tucker Crowe, erschauert ehrfürchtig an diesem versifften Ort, an dem sein Idol 20 Jahre zuvor zum letzten Mal lebend gesehen worden ist (→ Père Lachaise). Freundin Annie hat die Nase voll, verlässt Duncan, und … nein, ich spoilere nicht! Gestehe stattdessen, dass auch ich mal so eine Pilgerreise unternommen habe.Nämlich nach Greenwich Village, St. Mark’s Place 96/98. Die beiden Häuserfassaden sind auf dem Cover von Led Zeppelins Doppelalbum Physical Graffiti zu sehen, das vor exakt 50 Jahren im Februar 1975 erschien. Sechs Jahre später sitzt dann Mick Jagger genau da mit Peter Tosh und Bunny Wailerauf der Treppe, bis Keith Richards lässig angeschlendert kommt. Sieht man im Video zu Waiting On A Friend, dem letzten Song auf dem Stones-Album Tattoo You(1981). Michael Suckow Jwie Jain-MöncheDie Mönche des Jainismus, einer in Indien beheimateten transtheistischen Religion, halten sich an strenge Grundsätze: keine Gewalt, kein Diebstahl, keine Lüge, keinen Sex, keinen materiellen Besitz – selbst Hemd und Hose lehnen sie ab. Die Wanderasketen werden Digambara – „Luftbekleidete“ – genannt. Sie essen und trinken nur einmal am Tag. Dabei ernähren sie sich so, dass keine Tiere dafür leiden oder sterben müssen und Pflanzen nur im unvermeidlichen Maß geschädigt werden. Sie bewegen sich wenig, tragen Mundschutz – um keine Mücken einzuatmen – und fegen vor dem Betreten des Bodens behutsam mit einem Pfauenbesen Insekten beiseite. Sravanabelagola ist eine der wichtigsten Pilgerstättender Digambara. Weil aber ein Fahrzeug ein Tier oder einen Menschen verletzen könnte, gehen die nackten Männer ausschließlich zu Fuß (→ Luther). Elke AllensteinLwie LutherDas Heilige Jahr 2025 hätte Martin Luther wohl doppelt verdammt. Denn diese Jubeljahre dienen zum Ablass aller Sündenstrafen. Solchen Vollkasko ins Jenseits lehnte Luther ab. Auch das Pilgern stieß ihm und anderen Reformatoren auf. „Narrenwerk“ sei das. Weil man das Heil durch Gottes Gnade erfährt, lohne das Gebet mit den Füßen nicht. Es schüre nur den Aberglauben. „Lauft nicht dahin“, sagte er über den Jakobsweg. Man wisse sowieso nicht, ob dort nur ein toter Hund statt des Heiligen begraben liege. Hape Kerkeling hielt sich nicht daran, wanderte bis nach Santiago de Compostela und beschrieb seine Reise im Bestseller Ich bin dann mal weg, mit mehr als fünf Millionen verkauften Exemplaren das erfolgreichste deutsche Sachbuch der Nachkriegszeit. Gleichwohl gibt es mehrere Lutherwege und evangelisches Pilgern wird heute auch aus Kirchenkreisen angepriesen. Auf mehr als 2.600 Kilometern und quer durch sieben Bundesländerziehen sich die Pfade. Samt Pilgerpass fürs Stempelsammeln. TP Mwie Malcolm XRund zwei Millionen Menschen pilgern jedes Jahr nach Mekka. Für Malcolm X, einen ikonischen Bürgerrechtler der USA, wurde die Reise 1964 zum Wendepunkt. Zuvor hatte er als Sprecher der radikalen Nation of Islam die Trennung von Schwarzen und Weißen gefordert – als Antwort auf Rassismus und Gewalt in den USA. Doch in Mekka erlebte er Menschen verschiedenster Herkunft, die gleichberechtigt und solidarisch zusammenkamen. Er trat zum orthodoxen unni-Islam über und sagte sich von den religiösen Lehren Elijah Muhammads los. Nach seiner Rückkehr nannte er sich Malik el-Shabazz und änderte radikal seinen Kurs: Statt Abgrenzung setzte er auf weltweiten Zusammenhalt im Kampf gegen Rassismus und soziale Ungerechtigkeit. Die Pilgerreise (→ Zen) zeigte ihm, dass Freiheit nur gemeinsam erreicht werden kann. Jens Siebers Pwie Père LachaiseDie Friedhofs-Pilgerei hat einen Ort der Superlative und das ist, ganz klar, der 1804 eröffnete Cimetière du Père-Lachaise. Wer da in Paris nicht alles begraben liegt! Édith Piaf. Oscar Wilde. Chopin. Molière. Balzac. Oder Gabrielle Russet, eine Lehrerin aus Marseille, die ihren Schüler liebte, von den Autoritäten gehetzt und verurteilt wurde – und nach ihrem Suizid zum Mythos. Und natürlich liegt dortJim Morrison, dessen Grab das wohl am meisten besuchte der Welt ist. Am 3. Juli 1971 starb der Doors-Sänger in Paris, vermutlich an einer Überdosis Heroin. Seitdem wurde sein Grab zur Pilgerstätte für Fans (→ Fußball). Ein reichlich überlaufener Ort, der inzwischen von Sicherheitspersonal überwacht werden muss. Mehr als drei Millionen Menschen besuchen das Grab jährlich, sie hinterließen Kerzen, Blumen, kleine Geschenke, bekritzelten den Grabstein. Doch seit einigen Jahren ist der direkte Zugang zum Grab abgesperrt. Ehemals gab es hier auch eine expressive Morrison-Büste aus Stein, doch diese wurde 1988 gestohlen. Mal ehrlich, welcher Rockstar braucht schon eine Büste. Marc Peschke Rwie RingeW. G. Sebalds Prosaband Die Ringe des Saturn, erschienen 1995, ist ein Meisterwerk der Gegenwartsliteratur. Das Buch erzählt von einer „Fußreise“ (→ Jain-Mönche), die der mit Sebald leicht zu verwechselnde Erzähler eine Woche lang durch die ostenglische Grafschaft Suffolk unternimmt. Was dieser während seines oft planlosen Vagabundierens sieht, führt zu assoziativen Abschweifungen, die von vergessenen Lokalschriftstellern zur chinesischen Gewaltgeschichte des 19. Jahrhunderts, von der Zerstörung der Küste East Anglias zum Zusammenhang von Heringsfang und Holocaust reichen. Kein Reisebericht also, eher eine Meditation über die Vergänglichkeit, den Tod und die Hoffnung auf Erlösung. Gegen den Willen Sebalds versah man das Buch mit dem Untertitel „Eine englische → Wallfahrt“. Aber völlig falsch war das nicht. Uwe SchütteWwie WallfahrtIm Jahr 1061, so erzählt es eine alte Ballade, erschien der angelsächsischen Adligen Richeldis de Faverches die Jungfrau Maria. Im Fleckchen Walsingham in der englischen Grafschaft Norfolk solle ihr ein Haus errichtet werden, wie es einst in Nazareth stand. Und, Wunder über Wunder, dauerte es nur eine Nacht, da war das Werk vollendet. Ein Augustinerstift ergänzte 1150 das Ensemble, welches über mehrere Jahrhunderte Pilgerströme, darunter mehrere Könige, anzog. Sogar Heinrich VIII. machte sich 1513 auf den Weg, was ihn aber nicht davon abhielt, 25 Jahre später das Kloster aufzulösen und dessen Besitz zu verkaufen. Schließlich war er nach dem Bruch mit dem Papst (→ Luther) selbst Kirchenoberhaupt, außerdem brauchte er das Geld. Heute hat die Anglikanische Kirche in England noch 25 Millionen Mitglieder, von denen keine fünf Prozent regelmäßig Gottesdienste besuchen. Doch die Wallfahrten (→ Ringe) nach Little Walsingham, so heißt seltsamerweise der größere Ortsteil mit dem Pilgerzentrum, erfreuen sich konfessionsübergreifender Popularität. Joachim FeldmannZwie ZenRichard Gere nennt den Dalai Lama seinen Freund und Lehrer, seit Jahrzehnten wandelt der Hollywoodstar durch buddhistische Welten und Klöster. Auf seinen Reisen durch Nepal, Zanskar und Tibet hat Gere nicht nur meditiert, sondern auch fotografiert, daraus entstand ein Buch: Pilgrim: Photographs by Richard Gere. Auch im katholischen Italien betet der mittlerweile bärtige und ergraute Held aus Pretty Woman gern, genauer gesagt, im toskanischen Pomaia-Kloster, einem der wichtigsten des Buddhismus in der westlichen Welt. Einmal kam Gere in ein Dorf in der Nähe, er sei in die Bar gegangen, habe einen Espresso geordert, runtergekippt und sei dann einfach abgehauen, „ohne zu bezahlen!“. Das erzählt der Barmann von Castellina bis heute.Ob’s stimmt? Vielleicht auch nur eine der typisch italienischen „leggende del bar“. Maxi Leinkauf