Saúl Luciano Lliuya klagt gegen RWE: Weil der deutsche Kohlekonzern mitverantwortlich sei für das Schmelzen der Andengletscher, soll er sich an den Kosten der Sicherungsmaßnahmen beteiligen. Ein Prozess mit weltweiter Signalwirkung


Gewinnt Saúl Luciano Lliuya den Prozess gegen RWE hätte das gravierende Folgen

Foto: Angela Ponce/Reuters/picture alliance


Der peruanische Bauer Saúl Luciano Lliuya hat RWE verklagt. Locker könnte der milliardenschwere Energiekonzern den Verlust der paar tausend Euro verkraften, um die es geht. Und doch ist es so: Gewinnt Bauer Lliuya vor dem Oberlandesgericht Hamm, ist RWE ruiniert. Seit Montag wird verhandelt, der 55-Jährige ist extra angereist. Schauplatz des Klagegrundes ist ein Dorf in der Cordillera Blanca, dem nördlichen Teil der Anden Perus: Lliuya lebt dort als Kleinbauer in der Nähe der Stadt Huaraz. Zudem verdingt er sich als Bergführer, und so ist ihm vor etwas mehr als einem halben Jahrhundert aufgefallen, dass der Gletschersee oberhalb seines Dorfes, der Palcacocha, immer weiter anschwillt. Und der Gletscher dahinter immer weiter abschmilzt.

Verglichen mit dem Wassers

em Wasserstand vor 50 Jahren ist das Volumen des Palcacocha-Sees heute 34-mal größer.Deshalb haben die Talbewohner „Sicherungsmaßnahmen“ getroffen: Über den Damm wurden Schläuche verlegt, um das steigende Wasser abpumpen zu können. Es gibt „Gletscherwächter:innen“ und ein elektronisches Frühwarnsystem, um die Anwohner rechtzeitig warnen zu können. Das alles kostet Geld. Und RWE, so das Argument des peruanischen Klägers, soll 0,47 Prozent der bisherigen Kosten übernehmen – etwa 17.000 Euro.Denn der deutsche Konzern ist einer der größten Produzenten von Treibhausgas weltweit, insgesamt ist er für 0,47 Prozent jener Treibhausgase verantwortlich, die die Menschheit bislang zusätzlich in die Atmosphäre ausgestoßen hat. Die Menschen im Tal hätten nichts zum Problem beigetragen, denn noch heute erzeugen sie weniger Treibhausgas als der durchschnittliche Erdenbürger. Und trotzdem hätten sie das Problem und die zusätzlichen Kosten.Würde Kläger Saúl Lliuya Recht bekommen, könnte auf den RWE-Konzern eine Welle von Gerichtsverfahren zukommen: Inselstaaten wie Kiribati oder die Malediven könnten RWE dann auf 0,47 Prozent Erstattung ihrer Schäden durch den steigenden Meeresspiegel verklagen. Indische Bauern könnten nach klimabedingter Trockenheit 0,47 Prozent ihres Ernteverlustes einfordern, Geschädigte nach einem Hochwasser wie dem im Ahrtal 2021 könnten gegen RWE vor Gericht ziehen. Die Klage läuft seit 2015, unterstützt wird sie von der deutschen NGO Germanwatch. 2016 hatte das Landgericht Hamm das Ersuchen zunächst abgewiesen, weil es „keine lineare Verursachungskette zwischen der Quelle der Treibhausgase und dem Schaden“ sah. Señor Saúl Luciano Lliuya legte beim Oberlandesgericht Hamm Berufung ein. Das sah zumindest eine mögliche Kausalkette – und ließ die Klage zu. Nun wird seit Montag verhandelt.Prozess gegen RWE ist eine der spektakulärsten KlimaklagenRWE argumentiert, mit seinem Geschäftsgebahren nie gegen ein bestehendes Gesetz verstoßen zu haben. Die Kläger wollten einen Präzedenzfall schaffen, argumentiert die Rechtsabteilung des börsennotierten Konzerns: „Wenn es einen solchen Anspruch nach deutschem Recht geben sollte, könnte man auch jeden Autofahrer in Haftung nehmen.“ Schließlich würden auch die Abgase des Autos zum Anschwellen des Gletschersees beitragen. Im Jahr 2021 erschien in der Fachzeitschrift Nature Geoscience eine Studie, nach der mit sehr großer Wahrscheinlichkeit eine direkte Kausalkette zwischen dem menschengemachten Klimawandel, dem Abschmelzen des Gletschers und der tatsächlichen Bedrohung des Andentals durch den Palcacocha-See existiert.Die Klage stützte sich auf Paragraf 1004 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Darin heißt es: „Wird das Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt, so kann der Eigentümer von dem Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen.“ Dabei sei egal, so argumentiert Lliuyas Anwältin, wie groß die Distanz zwischen Störer und Beeinträchtigem ist. Zwischen dem RWE-Hauptsitz in Essen und dem Andendorf liegen rund 10.000 Kilometer.2022 sind Gutachter:innen in die Cordillera Blanca gereist, um sich vor Ort einen Eindruck zu verschaffen. Mit schlechten Karten für den Kläger. Die Gutachter beziffern die Wahrscheinlichkeit eines Dammbruchs auf drei Prozent. Was die Klägerseite vehement bestreitet: Der tauende Permafrost, also die auftauenden tiefengefrorenen Gesteinsschichten, sei als Gefahr in das Gutachten nicht eingeflossen. Eine der spektakulärsten Klimaklagen startete diese Woche also erst einmal mit einem Gutachter-Streit.Ohnehin ist der nur Auftakt zu einem juristischen Kräftemessen von David gegen Goliath: Hält das Oberlandesgericht das Risiko eines Dammbruchs für relevant, folgt bei der Beweiserhebung das nächste Gutachten. Das muss klären, ob die Schuld von RWE wirklich „mess- und berechenbar“ ist. Nur wenn das beweisbar ist, kann der Bauer von RWE eine Beteiligung an den Kosten verlangen.



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Von Veritatis

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