Regisseur Tom Tykwer („Lola rennt“, „Babylon Berlin“) legt mit „Das Licht“ seinen ersten Film seit zehn Jahren vor. Ein Riss, den die Weltlage durch eine Berliner Familie zieht, soll von einer Syrerin geheilt werden. Kann das gut gehen?
Die Engels aus der Bleibtreustraße wollen die Welt verbessern. Sohn Jon (Julius Gause) strebt eine Karriere als Profi-Gamer an
Foto: Frederic Batier/X-Filme
Werbetexter Tim kommt nachts nach Hause. Vom Regen klitschnass, zieht er sich aus, steigt ins Bett und kuschelt sich nackt an seine Frau. Die springt auf und ruft: „Es muss sich alles ändern.“ Er grinst und sagt: „Ich stehe für Erneuerung.“ Zugegeben, ohne Kontext funktioniert dieser Witz nur so mittel. Man muss nicht wissen, dass es sich um eine Szene von Tom Tykwers neuem Film Das Licht handelt.
Aber dass dieser Tim von Lars Eidinger gespielt wird, dem man gern einen Hang zum Blankziehen vor Publikum nachsagt, dass seine hippe Agentur ausgerechnet Open Minds heißt, dass eine attraktive Kollegin ihn eine halbe Stunde zuvor noch mit nach Hause nehmen wollte, was Tim halbschweren Herzens ablehnte, dass Tim und seine Frau Milena in ihren Jobs für di
en Jobs für die Verbesserung der Welt eintreten, Engels mit Nachnamen heißen und auch noch in der Bleibtreustraße wohnen, das alles führt dazu, dass der Satz „Ich stehe für Erneuerung“ als Pointe ziemlich gut funktioniert. Wer diesen PR-Einzeiler, abgeliefert im äußerst privaten Zusammenhang, nur ernst nimmt, dürfte Probleme haben, mit diesem Film warm zu werden.Probleme mit Das Licht hatten bisher noch die meisten. Als Tom Tykwers erster Kinofilm seit fast einem Jahrzehnt im Februar die Berlinale eröffnete, zeigten sich die Kritiker, wie das Kulturmagazin Perlentaucher zusammenfasste, „unterwältigt bis verstört“. Von „Größenwahn“ und dramaturgischem „Chaos“ war die Rede.Warum die Welt am Abgrund stehtDer Blog Filmlöwin sah vor allem eine „pervertierte White-Savior-Variante“. Wer sich damit im Hinterkopf auf Instagram das PR-Reel des Filmverleihs ansah, fühlte sich in ein alternatives Universum versetzt. „Die ersten Pressestimmen sind begeistert“, stand dort, daneben das Zitat „Fuck Yeah! So sieht ein Kinobesuch aus“.Werbetexter Tim Engels hätte sich das nicht wirkungsvoller ausdenken können. Zu dem verlinkten Trailer, der so ziemlich alle konsumkritischen Aussagen des Films in wenigen Sekunden zusammenfasst, hagelte es dann die üblichen Kommentare: „Muss deutsches Kino eigentlich immer so anstrengend und belehrend sein?“, hieß es da. „Wieder so ein woker Quatsch“, und: „Ist das Satire?“ Die wenigen positiven Beiträge argumentierten rein politisch.„Wir sind der Grund, warum die Welt am Abgrund steht“, lässt Tykwer seinen Tim sagen. In der Social-Media-Blase gibt es dafür ein paar erhobene Daumen. Im Film selbst kondensiert der Werbetexter seinen Satz zu „#Wir“. Er lässt damit die Displays und Infoscreens seiner Stadt beballern und freut sich darüber, als hätte er mit seinem Hashtag das Weltretten neu erfunden.Ja, Das Licht hat etwas Größenwahnsinniges, Chaotisches, Belehrendes, macht Quatsch, ist auch eine Satire und moralpolitisch ein nicht immer glückender Balanceakt. All das ergibt aber einen einzigartigen Versuch in Sachen gesellschaftlicher Standortbestimmung und persönlicher Reflexion, der es nicht bei dem Produkt namens Film und dem reinen Kino-Erlebnis belässt.Luxusprobleme im imposanten Berliner AltbauWorum es in Das Licht geht, das ist eine heikle Frage, weil hier mit Brüchen, Klischees, Genres und Ästhetiken gespielt wird, die am besten wirken, wenn man vorher möglichst wenig von ihnen weiß. Es bleibt das Grundlegende. Im Mittelpunkt steht Familie Engels: Vater Tim, Mutter Milena (Nicolette Krebitz), die 17-jährigen Zwillinge der beiden, Frieda (Elke Biesendorfer) und Jon (Julius Gause), sowie phasenweise der etwa zehnjährige Dio (Elyas Eldridge), Milenas Sohn von einem Seitensprung mit einem Kenianer. Sie leben in einem imposanten Berliner Altbau.Auch Milena arbeitet an der Schnittstelle von Kunst und Aktivismus – leider ist die Finanzierung ihres Theaterprojekts in Nairobi kurz davor, zu platzen (Tykwer selbst hat mit seiner Frau Marie Steinmann das Kollektiv One Fine Day initiiert, das in Nairobi Filme produziert. Sie sind unter anderem auf der Streamingplattform Filmfriend zu sehen. Tykwer weiß also auch hier, wovon er erzählt).Tims Agentur engagiert sich nur vermeintlich für mehr Offenheit und Zusammenhalt. Tatsächlich hilft er Konzernen beim Greenwashing – so sieht es jedenfalls Frieda, wenn sie ihre Eltern wütend anschreit, als sei sie vom Teufel besessen. Vor allem aber blockiert sie mit ihrer Fridays-for-Future-Clique den Berliner Straßenverkehr und nimmt Drogen.Sohn Jon zieht sich lieber in die virtuellen Welten eines Videospiels zurück. Anstatt das mit technikfeindlichem Konservatismus zu verdammen, entpuppt sich das Spielen aber nicht nur als Sport, in dem man eine Profikarriere anstreben kann. Die digitale Dreidimensionalität wird hier auch zur Blaupause für Tykwers filmische Experimentierlust, die Das Licht von jenen konventionellen Dramen abhebt, deren Qualitäten gerne als „authentisch“, „einfühlsam“ oder „emotional“ beschrieben werden.Am Ende des TunnelsTykwer zitiert lieber die artifizielle Schwerelosigkeit von Filmen wie Tiger & Dragon oder Matrix, lässt eine Pina-Bausch-Choreografie nachtanzen, integriert ein Musikvideo und Zeichentrick. Dabei spiegeln sich in der Wahl der Mittel auch die Protagonisten mit ihren Erfahrungen, medialen Präferenzen, ihren oftmals klischierten Zielvorstellungen – und dem resultierenden jeweiligen Tunnelblick.Das geht so weit, dass Frieda an einer Stelle wortwörtlich in einen Tunnel hineinradelt und als Brecht’scher V-Effekt wieder herauskommt. Sie beschimpft Milena: „Du spielst die Mutter, weil du denkst, das ist es, was das Publikum sehen will!“ Ihre Eltern schreit sie an, denen ginge es nur ums „Performen, performen, performen“. Und auch das ist natürlich eine Performance: Die 17-jährige Frieda Engels spielt eine Mischung aus Greta Thunberg und Jeanne D’Arc. Ihre Verzweiflung darüber, nicht aus ihrer Haut zu können, aus keiner ihrer vielen Häute, stellt letztlich „nur“ ein Luxusproblem dar. Auch das zeigt Das Licht, mitfühlend, aber unerbittlich.Apropos Engels. Von Tom Tykwer stammt neben Lola rennt, Cloud Atlas und Babylon Berlin auch ein Beitrag zu Alexander Kluges Adaption von Karl Marx’ Das Kapital. Darin geht eine Frau an einem Haus vorbei. Die Szene wird zum Standbild, die Kamera nimmt einzelne Details in den Fokus, und Tykwer erzählt aus dem Off, was es mit dieser Handtasche, dem Straßenschild, der Gegensprechanlage und so weiter auf sich hat, wer sie wann erfand. Alle Dinge sind eben „verzauberte Menschen“.Den bekannten Marx-Satz dreht Tykwer in Das Licht gewissermaßen um und entzaubert seine Protagonisten. Er geht ihrem verunglückenden Seelenleben, ihrem inneren Chaos mit einer ähnlichen Akribie auf den Grund wie jenem Standbild mit Handtasche und Straßenschild. Wer soll das alles einordnen, retten, wieder in Form bringen? Da wäre zum einen der kleine Dio, der ausgerechnet die Bohemian Rhapsody von Queen immer wieder vor sich hin singt. „Nothing really matters“, heißt es da. Im Ernst? Nicht wirklich. Denn da gibt es noch Farrah (Tala Al-Deen), die auf der Flucht aus Syrien Mann und Kinder zurücklassen musste und für Familie Engels die Wohnung feudelt. Wie ähnliche Schicksale im wahren Leben spielt sie auch in diesem Text nur eine marginale Rolle.Wieso es sich lohnt, darüber zu streitenAber Farrah ist in Das Licht nicht weniger wichtig als Tim, Milena, Frieda und Jon, in denen sie sich und ihre Geschichte spiegelt. Mithilfe einer Meditationslampe versetzt Farrah Menschen in jene Phase, die eigentlich nur der Geburt und dem Tod vorbehalten ist, in der Stoffe freigesetzt werden, die eine tiefgreifende therapeutische Wirkung entfalten. Farrah plant, Familie Engels einer solchen Lichttherapie zu unterziehen. Tom Tykwer liebt solche zauberhaften Erlösungen. In einem seiner Lieblingsfilme, Vittorio de Sicas Das Wunder von Mailand enteignen die Verarmten die Besen der Stadtreinigung und fliegen damit in eine hellere Zukunft. In Tykwers Der Krieger und die Kaiserin verschwindet das depressive Ich des Helden in einem Geisterbus.Was in Das Licht geschieht, erzählt aber eben auch von der Hoffnung, WIR würden Migrationspolitik radikal anders, von den tieferen Ursachen her denken, wenn wir einmal auf einem sinkenden Schiff ums Überleben gekämpft hätten. Das geht auf vielen Ebenen nicht gut. Trotz aller gezeigten Härten landet Das Licht dann doch beim poetischen Wunschdenken, wirkt am Ende so erschütternd naiv wie Das Wunder von Mailand. Aber auch darüber lohnt es sich zu streiten.Den Lucid Light Stimulator aus Farrahs Therapiesitzungen kann man übrigens – die nötigen finanziellen Mittel vorausgesetzt – selbst ausprobieren. Es gibt ihn tatsächlich. Risiken und Nebenwirkungen der „hypnagogen Lichterfahrungen“ erfragen Sie bitte bei den üblichen Stellen Ihres Vertrauens.Das Licht Tom Tykwer Deutschland 2025, 162 Minuten