Antje Rávik Strubels Roman „Der Einfluss der Fasane“ verhandelt klug und vielschichtig das diffizile Terrain von männlichem Machtmissbrauch in der Kulturbranche. Pikant: Im Zentrum steht eine weibliche Täterfigur
Bis zum Schluss liest sich der Roman spannend, weil über den Ereignissen von Beginn an etwas Unheilvolles schwebt
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Es ist ein kluger, atmosphärischer Roman von der Trägerin des Deutschen Buchpreises 2021, Antje Rávik Strubel. Der Einfluss der Fasane verhandelt das diffizile Terrain von männlichem Machtmissbrauch in der Kulturbranche. Pikant ist, dass Strubel ins Zentrum der Handlung eine schillernde Frau gestellt hat, die eines Tages über die Lust an der Macht fällt.
Hella Karl ist Feuilletonchefin einer Berliner Zeitung. Mit ihrem Partner, den sie in ihren Grübeleien „T“ nennt, wohnt sie in einem hübschen Einfamilienhaus aus den 1930er Jahren, direkt am See, in privilegierter Distanz zur Berliner Kulturblase, genau an der Grenze zwischen Potsdam und Berlin. Sechs Jahre Beziehung, keine Kinder, keine Haustiere, bilanziert Hella einmal. Ihr Leben funkti
l. Ihr Leben funktioniert im Prinzip bestens, aber ist alles in Ordnung? Hella empfindet immer öfter ein diffuses Unbehagen, ist morgens schon nur beim Anblick der Weinranken an der Remise genervt, die zum Grundstück gehört. Die wuchern nämlich, was T pittoresk findet.Einzig zu ihrem Smartphone pflegt Hella eine intimere BeziehungDa ist ein Gefühl von Rastlosigkeit, Einsamkeit. Die Karrierefrau hat stets vor allem in den Job investiert, echte Nähe zuzulassen, fällt der Journalistin von Haus aus ohnehin schwer, was sie mit aufregendem Sex zu kaschieren versucht. Einzig zu ihrem Smartphone pflegt Hella eine intimere Beziehung, schreibt Strubel. Hella fühlt sich sogleich mit der Welt verbunden, wenn sie es im Auto auf dem Weg in die Redaktion ans Kabel steckt.Frauen wie Hella werden von manchen Feministinnen abwertend als cisnormativ bezeichnet. Solche Frauen hinterfragen nicht, fügen sich ein, halten als Komplizinnen das Patriarchat am Laufen. Hella wirkt tatsächlich etwas „abgerichtet“. Ihr fehlen zum Beispiel die Fantasie und das Vertrauen, T zu glauben, als der sich überraschend zu einem Kloster-Retreat verabschiedet. Dahinter muss eine Frau stecken. Für Hella scheint nur die Sorte Mann vorstellbar, die eine Sinnkrise mit einem sexuellen Abenteuer bewältigt. Strubel porträtiert in den Szenen mit T übrigens auch eine Frau, die überraschend derb werden kann.In der Partnerschaft ist Strubels Protagonistin mit einem schleichenden Kontrollverlust konfrontiert, im Job entgleitet ihr an einem Tag alles. Hella zeichnet verantwortlich für eine Story, die ihre Zeitung über den Berliner Theatergott Kai Hochwerth veröffentlicht hat. Der Intendant soll eine schwangere Schauspielerin gezwungen haben, ihr Kind abzutreiben. So jedenfalls hat es Hella in der Headline zugespitzt. Und an diesem Samstag, als Hella, von neuer Unruhe gepackt, schon früher als gewohnt aufsteht, erfährt sie aus der eigenen Zeitung, dass der Intendant Suizid beging. Hat ihn der tiefe Fall zu dieser Tat getrieben? Wird etwas auf Hella zurückfallen? Der Machtmensch Hella berechnet zunächst gewohnt kühl, wie die Lage unter Kontrolle zu behalten ist. Sie ahnt noch nicht, dass bald ein Shitstorm auf sie zukommt, gefolgt von der Suspendierung. Und dann verschwindet auch noch T zum Kloster-Retreat.Strubel zeigt in ihrem Roman eindrücklich die Szenen einer manifesten Krise, konzentriert auf wenige Tage. Hella muss sich selbst befragen, ob sie als Journalistin mit Hochwerth zu weit gegangen ist. Die beiden verband eine Hassliebe. Beide sind Aufsteiger. Kommen aus prekären, lieblosen Verhältnissen. Da ist aber auch erotische Anziehung. Einmal begründet Hella ihre Wut auf Hochwerth damit, Ursache sei sein „absoluter Mangel an Solidarität. Die totale Verweigerung von Kameradschaft“.Komplexe Gemengelage, heikle Safe Spaces Souverän, wie Antje Rávik Strubel die Leser:innen durch literarische Grauzonen und die heiklen Safe Spaces führt. Strubel zeichnet Hella als eine berechnende Frau, die öfter um keinen Deut besser agiert als Männer, die ihre Machtposition unhinterfragt ausagieren. Und nur weil sie seit der Suspendierung und seit ihr Mann weg ist, so viel Zeit hat, ploppen in der Erinnerung verdrängte unangenehme Situationen auf. Wie sie sich ihrer Kollegin Edith einmal unsittlich genähert hat zum Beispiel und seither trotzdem nur mit noch mehr Verachtung auf die sensible Edith schaut, sie seither als ihren Handlager für das Projekt benutzt, sich zu rehabilitieren.Strubel stellt Hella wiederum nicht nur stereotyp als Täterin dar, sondern zeigt die Facetten von strukturellem Machtmissbrauch. Es sind manchmal mehr, als wir sehen wollen. Seit MeToo werden die Strukturen zwar mit einem neuen Selbstverständnis angegriffen, und es wird aufgeklärt; so manche Aufklärung schießt andererseits über das Ziel hinaus (was dann weniger konsequent nachbearbeitet wird) oder ist nicht genug, weshalb sich am Ende doch nichts nachhaltig ändert. Diese komplexe Gemengelage lotet Strubel in ihrem Roman vielschichtig aus. Mutig, ohne sich allzu eindeutig festzulegen. Wer noch letzte Skandale aus jüngster Vergangenheit erinnert, begreift sofort, dass Strubels Roman ein sehr gegenwärtiges Buch ist.Bis zum Schluss liest sich Der Einfluss der Fasane unterhaltsam und spannend, weil über den Ereignissen von Beginn an etwas Unheilvolles schwebt. Dieses Unheilvolle transportiert Strubel flirrend über die Beschreibung des Wetters, von Natur und Tier, wenn Hella im Auto die Sonne frontal ins Gesicht blendet, ein Fasan krächzend in die stille Idylle des Abends hineinruft oder wenn ihr der tote Intendant in ihrem Badezimmer wie ein Geist erscheint.Der Einfluss der Fasane Antje Rávik Strubel S. Fischer 2025, 240 S., 24 €