Ab dem 22. März ist „Die Affäre Cum-Ex“ in der ZDF-Mediathek abrufbar. Hier spricht Regisseur Dustin Loose darüber, welche Steine einem bei so einem heiklen Projekt in den Weg gelegt werden und warum die Serie im Wahlkampf ein Politikum war


Bernd Hausner (Justus von Dohnányi, links) und Sven Lebert (Nils Strunk, rechts) präsentieren ihre Cum-Ex-Geschäfte Bankdirektor Albert und dessen Vertrautem Schneider

Foto: ZDF


Auf der Berlinale feierte „Die Affäre Cum-Ex“ Premiere. Die Serie handelt vom bis heute größten Steuerraub der Geschichte. Um schätzungsweise 150 Milliarden Euro wurden europäische Finanzämter im Zuge dieses Finanzskandals betrogen. Ab dem 22. März sind die acht Episoden in der ZDF-Mediathek abrufbar. In Deutschland führte Dustin Loose Regie. Hier spricht er darüber, warum er die Banker als lächerliche Figuren dargestellt hat – und nicht als Genies.

der Freitag: Herr Loose, Sie haben eine Serie über Cum-Ex gemacht und der Name Olaf Scholz wird zwar oft genannt, jedoch kommt er als Figur nicht vor. Wieso?

Dustin Loose: Das war eine bewusste Entscheidung. Es geht ja im Kern auch nicht um Scholz.

Worum dann?

Das Spannende i

eso?Dustin Loose: Das war eine bewusste Entscheidung. Es geht ja im Kern auch nicht um Scholz. Worum dann?Das Spannende in Deutschland ist, dass man Cum-Ex schnell mit dem Namen eines hochrangigen Politikers verbindet, sich aber gar nicht mehr so sicher ist, was er genau damit zu tun hat. Unsere Serie ist fiktional. Und doch wollen wir die Brücke schlagen zwischen einem historisch gesicherten Tatsachenkern und allen Mitteln des fiktionalen Erzählens. So konnten wir uns tiefer in die Abgründe der handelnden Personen und Zusammenhänge hineinbegeben.Warum hat das Thema bisher politisch so wenig verfangen? Es gibt ja laufende Berichterstattung zum Cum-Ex-Skandal.Ich finde es bemerkenswert, dass der Skandal Scholz nicht deutlicher von seinen politischen Gegnern aufs Brot geschmiert wurde. Mag daran liegen, dass spendenwillige Institutionen vom Cum-Ex-Skandal profitiert haben, aber das ist eine Mutmaßung. Oft wird ja auch wahrgenommen, es gebe keinen Bezug der Finanzwelt zum Alltag. Das Frankfurter Bankenviertel steht nicht im Berliner Wedding. Die Gebäude sind hoch, entfernen sich bewusst vom Menschen. Das ästhetische Narrativ der Branche sagt: Wir sind jenseits von Euch. Manche filmischen Erzählungen stellen das als erstrebenswert dar: Ja, auch diese Menschen weinen, aber sie tun es eben in ihrem Privatjet. Die Brechung dieses Narrativs ist wichtig, wir dürfen Verbrecher nicht mehr als Macher inszenieren. Auf Tiktok kann man jetzt überall selbstinszenierte Powertypen beobachten, die einem erzählen, wie man innerhalb von einem Tag 20.000 Euro verdienen kann. Das ist auch Fiktion. Aber sie triggert ein Gefühl von Selbstwirksamkeit und baut eine Parallelwelt auf. So funktioniert die Entfremdung der Gesellschaft.Das absolut Frechste an der Geschichte ist die Argumentation, die Finanzgeschäfte seien rechtens gewesenAm Anfang Ihrer Serie bitten Sie die Zuschauer, sich vorzustellen, Investoren, Banker und Anwälte stehlen jedem europäischen Bürger 326 Euro. Wie emotionalisiert man abstrakte Finanzverbrechen?Über die Schlüssellochperspektive. Wir schaffen Zugänge zu Räumen, die sonst verborgen bleiben, dabei kokettieren wir mit einem Klischee von Bank und Geld und Macht. Ohne es zu sehr zu bespielen, Macht und Geld nicht sexy zu zeigen. Der Zugang einer erzählten Groteske, der die Menschen betrachtet, entlarvt und bereit ist, Absurditäten aufzunehmen und zurückzuspielen, das ist interessant. Wir wollten klare Haltung zeigen, einerseits durch die ironische Kommentierung mit großen Schrifttafeln, das wiederkehrende „leider“ des Erzählers, aber auch über die Schlüsselfigur. Ich denke an den Moment, in dem Bernd Hausner von seinem Chef gefragt wird: „Ist das legal?“ und er sagt, „zu 100 Prozent“. Ob das funktioniert, müssen Sie als Zuschauerin sagen.Sollen wir uns ungerecht behandelt fühlen?Empörung ist eine zentrale Absicht. Das Verständnis der genauen Deliktabläufe ist sekundär. Das absolut Frechste an der Geschichte ist die Argumentation, die Finanzgeschäfte seien rechtens gewesen. Es geht um eine willkürliche Rechtsauslegung. Diese Herren meinten, das Recht gepachtet zu haben. Sie konnten sich juristische Gutachten und Expertisen kaufen und somit lange vor Verfolgung schützen.Die Serie zeigt organisierte Kriminalität als Gleichzeitigkeit extrem komplexer Finanzgeschäfte und der Banalität einzelner Figuren. Die Hauptfigur Sven Lebert verdient Millionen an der Ausbeutung einfacher Leute, während seine Familie Ersparnisse in den Ritzen des Hauses versteckt.Lebert versucht mit einer unglaublichen Kraft vor etwas wegzulaufen, das ihn immer wieder einholt: seiner Herkunft. Später wird er einen entscheidenden Wendepunkt einläuten. Es ist nie zu spät, reinen Tisch zu machen und dabei zu helfen, Strukturen trockenzulegen, an denen man selbst mitgewirkt hat. Dieses Narrativ brauchen wir als Gesellschaft. Es gibt nicht in allen Fällen eine Wiedergutmachung, aber man kann immer einen Schritt zurücktreten und etwas leisten, an der Nicht-Wiederholung eigener Fehler arbeiten. Das hat viel mehr Wert, als jemanden einfach ins Gefängnis zu stecken. Es geht darum, zukünftige Taten zu verhindern. Ging es den Architekten des Betrugs wie Lebert vor allem um Profit oder um unbegrenzte Macht?Dass solche Menschen wahnsinnig starke Lobbies und Seilschaften haben, ist klar. Im Correctiv-Interview begreift sich ein involvierter Jurist als tragischer Held. Auch der Dokumentarfilm „Masters of the Universe“ von Marc Bauder zeigt den Größenwahn der Investmentbanker. Die mediale Wiedergabe dieser emotionalen Bekenntnisse muss man kritisch hinterfragen. Natürlich liefern wir keine Additionsaufgabe, nach dem Motto, die Figur kommt aus einem armen Elternhaus, hat deshalb Minderwertigkeitskomplexe und muss sehr viel Geld verdienen. Das wäre zu einfach gedacht. Am Tag, als die Cum-Ex-Story europaweit in den Medien erschien, trendet auf Twitter, dass Sawsan Chebli eine Rolex am Arm trägt. Dieser Umstand bekam damit mehr Aufmerksamkeit als der Verlust von 150 Milliarden EuroStichwort soziale Ungleichheit: Warum trifft es immer die kleinen Fische? Das fragt sich der Investigativjournalist Christoph Fromm, gespielt von Fabian Hinrichs, auch. Am Tag, als die internationale Cum-Ex-Story europaweit in den Medien erschien, trendete jedoch auf Twitter, dass die nicht-weiße Politikerin Sawsan Chebli eine Rolex am Arm trägt. Dieser Umstand bekam damit mehr Aufmerksamkeit als der Verlust von 150 Milliarden Euro. Das finde ich atemberaubend.Es macht aber Hoffnung, dass manche Störfaktoren diese Logik durchbrechen.Der erste Störfaktor in der Serie ist eine junge Steuerbeamtin in Bonn, die dem Erstattungsantrag einer Bank nicht stattgibt. Sie ist die Erste, die Sand ins Getriebe schmeißt und dann mit Amtshaftungsklagen überzogen wird, der gedroht wird, die aber mutig bleibt. Das Tolle ist, es gibt noch Vertreter unseres Staates, die sagen, das blockiere ich und verteidige damit meinen Anstand. Es geht dabei aber gar nicht um Haltung, es geht darum, dass diese Menschen ihrer Aufgabe gerecht werden.Welche Hürden sind Ihnen unterwegs begegnet?Dank des großen Einsatzes der Produzenten Michael Polle und Ole Søndberg konnte ich frei arbeiten. An vielen Stellen wurde unser Projekt dennoch kritisch beäugt. Man fragt sich am Ende immer, welche Hürde uns intentional in den Weg gelegt wurde und welche nicht. Dass wir aber ein solches Projekt international öffentlich-rechtlich umsetzen konnten, zeugt immerhin von großer Offenheit. Auch wenn man den gewählten linearen Ausstrahlungstermin – jenseits der Abrufbarkeit in der ZDF-Mediathek – dennoch hinterfragen muss. Muss hier etwas versteckt werden?Wie gelingt eine gemeinsame Bildsprache einer Serie, die zwischen Deutschland und Dänemark dreisprachig gedreht wurde?Durch die enge Zusammenarbeit mit meinem Kameramann Clemens Baumeister, sowie dem dänischen Regie-Kamera-Team. Alles, was fiktional in den letzten zehn Jahren in den Vereinigten Staaten im Bankenmilieu gedreht wurde, wollten wir anders machen. Auch in Deutschland bezieht man sich oft auf große amerikanische Vorbilder und Klischees, schicke Kulissen, tolle Anzüge, alle sind top trainiert, irgendwo zwischen „Wolf of Wall Street“ und „American Psycho“. Wir finden Beispiele wie „The Big Short“ da interessanter, oder dokumentarische Formate.Eine filmische Antwort ist das Entzaubern. Es geht nicht um das Genie des Bankers, sondern darum, dass er eine Straftat begangen hatDas amerikanische Narrativ ist viel zu häufig Heldenerzählung. Am Ende wünscht man sich eben doch, dass man mit Jordan Belfort auf Drogen im Lamborghini rumliegt. Das wollten wir vermeiden. Der Dokumentarfilm „Oeconomia“ von Carmen Losmann stellt vielen Finanzmenschen die Frage, wie eigentlich Geld entsteht, und kein Einziger kann es beantworten. Ein System funktioniert nicht ohne seine Rädchen. Kalt, berechnend und die Verantwortung schön outsourcend. Diese Lächerlichkeit haben bei uns in der Serie immer die Machthabenden, der Bundesfinanzminister, die Banker und Lobbyisten. Aber auch entlarvt von Tragik und Traurigkeit. Je komplexer die Verbrechen, desto konkreter die filmische Antwort?Eine filmische Antwort ist das Entzaubern. In jedem Fall müssen die Täter von den Podesten runter. Es geht nicht um das Genie des Bankers, sondern darum, dass er eine Straftat begangen hat. Eine Heldin, die Staatsanwältin, von der realen Person Anne Brorhilker inspiriert, sieht das ganz klar und analytisch und lässt sich von Bedrohungskulissen nicht abschrecken. Die kriminellen Narrative kann man nur mit einer absolut sachlichen Entzauberung nivellieren. Ich denke daran, wie in einer Szene die Figur von Justus von Dohnány wiedererkannt wird. Er denkt direkt, man wolle ein Autogramm von ihm, aber eigentlich wird er gerade verhaftet. Seine Figur Hausner hat eine Ihr-dürft-meinen-Ring-küssen-Mentalität. Der natürliche Feind für ihn sind Menschen, die die Welt verbessern möchten. Und mit so jemandem wird er in Gestalt der Kölner Staatsanwältin, gespielt von Lisa Wagner, auf spannende Weise konfrontiert.Placeholder image-1Gab es bereits kontroverse Reaktionen auf die Serie, von Laien oder Expert*innen?Die Premiere auf der Berlinale ist nicht so richtig repräsentativ, weil da Team, Freunde und Familie anwesend waren. Es gab natürlich auch kritische Stimmen, die sich darüber geärgert haben, dass die Berlinale kurz vor der Wahl so eine Serie zeige. Diese Kritiker hatten die Serie aber selbst nicht gesehen. Wir haben keine politische Verantwortung dafür, mit welchen eigenen Fehlern sich Politiker dadurch auseinandersetzen müssen. Die Debatte beginnt ja erst jetzt, und mir ist erstmal wichtig, dass die Serie gesehen wird. Wünschen Sie sich, Finanzthemen wie Steuergerechtigkeit und Finanzkriminalität hätten im Wahlkampf eine andere Rolle gespielt?Wir würden uns wünschen, dass das, was wir über die am Skandal Beteiligten erzählen, verfängt, die Personen mit ihrem Handeln konfrontiert werden und die Öffentlichkeit sich damit auseinandersetzt. Wir haben einen zur Wiederwahl stehenden politischen Kandidaten thematisiert und wollten dem Vorwurf der Einseitigkeit entgegenwirken.Wie wäre es zum Ausgleich mit einer Serie über Blackrock und Merz?Stand heute weiß ich darüber zu wenig. Ich weiß nur, solche Projekte brauchen starke Nerven. Warum starke Nerven, was steht auf dem Spiel?Die Gefahr ist immer, das nicht finanziert zu bekommen. Es braucht einen langen Atem und viel Zeit für Vorbereitung. Die Erzählthesen müssen so spannend sein, dass der Journalismus sie noch nicht auserzählt hat. Wie setzt man sich juristischen Risiken aus, die noch gar nicht bezifferbar sind? Bei Persönlichkeitsrechten geht es immer um die Auslegung im Kontext. Ich freue mich, wenn der Mut, sich diesem Risiko auszusetzen, belohnt wird.Es gab natürlich auch kritische Stimmen, die sich darüber geärgert haben, dass die Berlinale kurz vor der Wahl so eine Serie zeigeWie geht es denn tatsächlich bei Ihnen weiter?Mein nächstes Projekt ist ein Film, der vom rätselhaften Mord an einer Polizistin inspiriert ist. 2007 wurde in Heilbronn eine junge Polizistin als zehntes Opfer des NSU ermordet. Der Fall ist bis heute nicht final aufgeklärt. Und wir erzählen da genau in eine noch immer klaffende Wunde hinein, die tragischerweise bis ins Heute reicht. Ich habe das große Glück, bei diesem Film erneut der mutigen Produzentin Dr. Gabriela Sperl zu begegnen, mit der ich auch die Serie „ZERV – Zeit der Abrechnung“ gemacht habe.Warum wird in der Serie eigentlich immer wieder darauf angespielt, dass Finanzdelikte nicht nur für „Sozis“ ein Problem sind?Um zu zeigen, dass es diverse politische Farben in der Analyse gibt. Wir müssen Politiker wählen können, denen das Gemeinwohl mehr am Herzen liegt als Parteipolitik. Wir müssen die Welt besser machen, das meine ich nicht utopisch. Jetzt, wo unsere Demokratie so herausgefordert wird, ist jeder kleine Stein ausschlaggebend dafür, ob die Wand wackelt oder nicht.



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Von Veritatis

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