Stephan Anpalagan bringt es auf der Podiumsrunde anlässlich der Veröffentlichung des Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitors (NaDiRa) im Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) am Donnerstag in Berlin provokant auf den Punkt: „Eigentlich bräuchten wir die quantifizierte Forschung nicht“. Nachrichten zu schauen, reiche aus, um zu erkennen, wie sehr sich der politische Diskurs und die deutsche Gesellschaft in die falsche Richtung entwickelt hätten.

Der Journalist und Hochschuldozent hat nicht ganz Unrecht: Angesichts einer Verdopplung der Wähler:innenschaft einer rassistischen Partei auf zehn Millionen seit der Bundestagswahl 2021 und einer Union, die mit dieser Partei für eine Verschärfung der Migrationspolitik gestimmt hat, scheint keine Studie nötig, um festzustellen, dass Rassismus in Deutschland weiter Fuß fasst – nicht, als sei er je verschwunden.

Verborgene Muster, sichtbare Folgen

Der NaDiRa-Bericht, der jährlich erscheint und dieses Jahr unter dem Titel Verborgene Muster, sichtbare Folgen veröffentlicht wurde, ist trotzdem wichtig, wie auch Anpalagan betont. Denn die wissenschaftlichen Ergebnisse des Forschungsprojekts zeigen detailliert, wie Rassismus im Alltag wirkt und welche Folgen er hat. Grundlage der Erhebung sind außerdem insbesondere Menschen, die von Rassismus betroffen sind. Zwischen August 2024 und Januar 2025 wurden rund 9.500 Menschen im Alter von 18 bis 73 Jahren befragt, die auch schon 2022 befragt worden waren.

Für die Befragungswelle 2024/2025 zeigt sich: Über die Hälfte der von Rassismus betroffenen Personen, die befragt wurden, erlebte zum Befragungszeitpunkt im letzten Monat Diskriminierung (54%). Häufig waren es subtile Formen wie unfreundliches Verhalten (29%), angestarrt werden (26%) oder nicht ernst genommen werden (22%). Offene Angriffe wie Beleidigungen (9%), Belästigungen (8%), Drohungen (3%) oder körperliche Gewalt (1%) waren zwar seltener, sind aber gravierender.

Diskriminierung trifft unterschiedliche Menschen auf unterschiedliche Weise. Die befragten Personen ordneten sich selbst unterschiedlichen Gruppen zu, beispielsweise muslimisch, Schwarz oder deutsch mit oder ohne Migrationshintergrund. Auch ein doppeltes Zuordnen war möglich. Der Einfachheit halber wird diese Selbstzuordnung im Folgenden übernommen. Für Schwarze und asiatische Menschen war demnach die Hautfarbe der häufigste Grund für Diskriminierung. Muslimische Personen berichteten vor allem von Benachteiligung aufgrund ihrer Religion. Besonders drastisch: Mehr als die Hälfte der asiatischen und muslimischen befragten Personen (55%) gab an, im letzten Jahr mindestens einmal als „nicht deutsch“ wahrgenommen und deshalb benachteiligt worden zu sein.

Betroffene von Diskriminierung: Belastete Psyche und sinkendes Vertrauen

Ein beunruhigender Befund im Zusammenhang mit Rassismus betrifft die psychische Gesundheit. Menschen, die mehrmals im Monat Diskriminierung erlebten, zeigten deutlich häufiger Anzeichen von Depressionen und Angststörungen als Personen ohne solche Erfahrungen. Besonders betroffen waren muslimische und asiatische Menschen: Ein Drittel derjenigen, die häufig Diskriminierung erfuhren, berichteten von moderaten oder schweren Symptomen – verglichen mit etwa zehn Prozent der Personen ohne Diskriminierungserfahrungen.

Brisant ist auch, dass das Vertrauen in staatliche Institutionen laut NaDiRa besonders bei Menschen bröckelt, die Diskriminierung erfahren haben. Das Vertrauen in Bundesregierung und Politiker:innen sei seit 2022 bei muslimischen und asiatischen Menschen teils um bis zu 20 Prozentpunkte gesunken. Das Vertrauen muslimischer Befragter in die Bundesregierung sank von 58 Prozent im Jahr 2022 auf 38 Prozent 2024. Im Jahr 2022 lag das Vertrauen in Politiker:innen bei asiatischen und muslimischen Menschen noch über dem gesamtdeutschen Durchschnitt. Ende 2024 war es auf einem ähnlichen Niveau wie bei deutschen Personen ohne Migrationshintergrund angelangt. In der Podiumsrunde im DeZIM vermutet man einerseits den Rechtsruck der Parteien der politischen Mitte als Grund und andererseits die tendenziell einseitige Haltung Deutschlands im Nahostkonflikt.

Auch die Polizei wird mitunter kritisch betrachtet: Während 87 Prozent der muslimischen Personen ohne häufigen Kontakt zur Polizei ihr vertrauen, sinkt dieser Wert bei Muslim:innen, die angaben, häufig von ihr diskriminiert worden zu sein, auf nur 19 Prozent. Häufig diskriminiert heißt in diesem Fall, dass Befragte angaben, oft oder sehr oft diskriminiert zu werden. Bei asiatischen Menschen ist der Unterschied noch dramatischer: Von denen ohne Diskriminierungserfahrungen vertrauen 86 Prozent der Polizei, bei häufig diskriminierten Personen waren es gerade einmal 4 Prozent. Zur Kontextualisierung sei hinzugefügt, dass erlebte Diskriminierung von der Polizei auch bei deutschen Personen ohne Migrationshintergrund mit einem geringeren Vertrauen in die Polizei einherging (20%).

Wissenschaft setzt auf Versachlichung der Debatte, Rassisten auf das Gegenteil

Insgesamt bezieht der Bericht ein, dass sich Rassismus gewandelt hat. Heutzutage komme Rassismus oft nicht mehr im Gewand plumper biologistischer Kategorien daher. Er würde eher hinter vermeintlich „kulturellen“ Unterschieden versteckt, um Zugehörigkeit und Ausschluss zu legitimieren.

Ein Paradebeispiel für diesen modernen Rassismus ist der Vorschlag von Friedrich Merz, Menschen mit doppelter Staatsangehörigkeit bei „schweren Vergehen“ den deutschen Pass zu entziehen. Solche Forderungen sind bestenfalls populistisch, schlimmstenfalls gefährlich – und in jedem Fall rassistisch, denn sie erteilen der Gleichheit der Bürger:innen vor dem Gesetz eine Absage.

Was also tun? Die Autor:innen der Studie fordern verstärkte Bildungsarbeit, niedrigschwellige Antidiskriminierungsberatung, bessere psychosoziale Unterstützung und eine langfristige Finanzierung von Rassismusforschung. Solche Projekte sind essenziell, um Diskriminierung sichtbar zu machen und Menschen Unterstützung zu bieten.

Doch wie Naika Foroutan, Direktorin des DeZIM, kritisiert, wird um die Projektförderung jedes Jahr aufs Neue gerungen. Das erschwert kontinuierliche Forschung und Aufklärung erheblich. Ob das DeZIM den Rassismusmonitor auch in Zukunft veröffentlichen wird, hängt weniger davon ab, ob Rassismus überwunden wird, sondern eher davon, ob eine zukünftige Regierung dafür Mittel bereitstellt. Angesichts drohender und bereits umgesetzter Kürzungen für wissenschaftliche und soziale Projekte ist das mehr als fraglich.



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Von Veritatis

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