Der Autor Andreas Maier startete 2010 seine Romanreihe „Ortsumgehung“. Sein neues Buch „Der Teufel“ ist der zehnte von insgesamt elf Teilen. Es schlägt die metaphysische Tür zur Welt auf. Alles deutet auf einen großen Paukenschlag hin
Ein „Schaufenster“ in Kreuzberg im Jahr 1987
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Der Schriftsteller Andreas Maier hat vollkommen recht, wenn er schreibt: „Wir wurden in eine Welt des Entweder-Oder geboren.“
Er und ich gehören derselben Generation an, er ist 1967, ich bin 1972 geboren. Man nannte sie einmal „Generation X“, warum, das habe ich nie ganz begriffen, weil ich Douglas Coupland nicht gelesen und mich sowieso immer danach gesehnt habe, nicht als Kind, sondern als junger Mann in den 1970ern zu leben. Griffiger erschien mir als Wessi höchstens der Terminus „Generation Golf“.
Nach der Lektüre von Maiers neuem Buch Der Teufel hat sich dieser um eine fast vergessene Nuance erweitert, ich denke jetzt weniger an Sweatshirts von Benetton oder die von Fruit of the Loom, sondern daran, dass es auch eine „Generation G
rts von Benetton oder die von Fruit of the Loom, sondern daran, dass es auch eine „Generation Golfkriege“ war. Drei hintereinander, die zwischen 1980 und 2003 wüteten. Die sogenannten Jugoslawienkriege kamen am Ende hinzu und verdunkeln und verschütten weiter die Erinnerung.Viel Wasser floss den Main hinunterVor dem linearen Fernsehen waren wir als Kinder, Teenager, Abiturienten und Studenten Zeugen, hörten von den Nachrichtensprecherinnen und -sprechern von all den Völkermorden, Massakern und Kriegsverbrechen. Und doch war alles so fern – so wie Rambo im Kino, der Ende der 1980er mit den Taliban zusammen kämpfte.Dennoch glaubte man zu wissen, wer der Gute und wer der Böse sei. Dieses „Entweder-Oder“, von dem Maier eingangs spricht, hat leider nichts mit der schönen existenzphilosophischen Frage Kierkegaards zu tun, ob man sich für das Ästhetische oder das Ethische im Leben entscheidet. Nein, hier geht es um das kindliche Bedürfnis, die Welt zwischen dem Teufel und dem lieben Gott aufzuteilen. Sonst würde man ja schon als Junge, als „Andi“, an ihr zerbrechen.Zwischen Maiers Büchern vergehen im Schnitt ein bis zwei Jahre; in dieser Zeit fließt naturgemäß eine Menge Wasser den Main hinunter. Sein Romanprojekt Ortsumgehung, angesiedelt in seiner Heimat Friedberg und Bad Nauheim in der Wetterau nahe Frankfurt, begann 2010 und nähert sich nunmehr mit dem zehnten Band Der Teufel – ohne die Ouvertüre, die herrliche Glossen-Sammlung Onkel J.: Heimatkunde mitzuzählen – seinem Ende. Der elfte und letzte Band wird Der liebe Gott heißen.Sachsenhausen and the CityEs müsste mit dem Teufel zugehen, wenn Maier dann nicht mit einem Paukenschlag sein Erinnerungsepos abschlösse. Der letzte Band Die Heimat (2023) war ein solcher. Auf einmal ging es um das Verdrängen der eigenen, der deutschen Schuld, der relative Wohlstand seiner Familie, die sich in der Provinz ein Haus bauen konnte, basierte nämlich auf der „Arisierung“ jüdischen Eigentums im Nationalsozialismus. „Ich schreibe die ganze Zeit Nachkriegsliteratur, ohne es zu merken. Entschuldungsliteratur. Ich! Aus meiner Herkunft … habe ich ja geradezu ein metaphysisches Konstrukt gemacht“, heißt es bereits in Die Familie von 2019.Das Personal, die familiäre Situation und das Personentableau in Der Teufel sind dem Leser wohlbekannt: Da ist ebenjener Onkel J., der seit seiner Geburt mit einer kognitiven Behinderung kämpft, der Vater, Abteilungsleiter bei Henninger-Bräu und eine CDU-Lokalgröße, der ältere, rebellische Bruder, seine Jugendliebe, die Tochter des Besitzers der Bindernagel’schen Buchhandlung. Und natürlich geistert der allgegenwärtige Gast, der in Friedberg stationiert war, in Bad Nauheim wohnte und kurz danach (You’re the) Devil in Disguise singen sollte, durch Maiers Kosmos: Elvis.Auch die fast mystisch beschriebenen Orte sind dieselben geblieben: das „Juz“ (die Kneipe des Jugendzentrums), all die Friedberger Kneipen und Wirtshäuser. Nur diesmal ist von der „Ortsumgehungsstraße“ nicht die Rede, sie galt als das Sinnbild für die unwiederbringliche Zerstörung der Landschaft und verband leitmotivisch weite Teile der vorhergegangenen Bücher. Das alles muss man eigentlich nicht wissen, denn auch diesmal hat Maier einen eigenständigen Band abgeliefert, den man auf Anhieb versteht, auch wenn er zuweilen wie eine Blaupause vor dem großen Finale wirkt.Besser ist es, in diesem Text statt von Maier von Andreas zu sprechen – „aus Gründen der Transparenz“. Eine sprachlich hässliche Floskel, über die sich Andreas bestimmt lustig machen würde. Denn wir sind miteinander bekannt, und ich möchte deswegen ungern in Teufels Küche kommen. Der Frankfurter Stadtteil Sachsenhausen, hier lebt der Autor, der nur für ein paar Jahre nach Hamburg ging, um dann wieder in die Heimat zurückzukehren, ist wie ein Dorf. Jeder weiß, wo und wann man mit dem „Schriftsteller“ am Tresen stand. Und mit dem Decknamen ist niemals der Buchpreisträger Bodo Kirchhoff gemeint, der auch hier „ums Eck“ wohnt.Abgelauschte KneipengesprächeAndreas und ich laufen uns oft über den Weg und trinken im „Kabuff“, dem mit einer Schiebetür abgesperrten Stehbereich vor der Theke im altehrwürdigen Adolf Wagner, ein paar Schoppen (Apfelwein). Manchmal verabreden wir uns auch auf ein Bier zum Eintracht-Frankfurt-Gucken in der dunkel möblierten Raucherkneipe Zum Schorsch. Ein Name, der übrigens nicht auf Hessisch „Zum Georg“ persifliert, sondern den Namen des Besitzers Georgios aus Thessaloniki. Die Luft ist zum Schneiden dick, die Bierpreise dünn.Fast wie in der alten Bundesrepublik, von der Andreas in seinem Erinnerungsepos erzählt. Beim Schorsch hört man sie noch, die Phrasen, die Gerüchte, die sich in die Alltagskommunikation eingeschmuggelt haben. Sie lösen Verwirrung in den erhitzten Köpfen aus und erkalten nicht selten als unumstößliche Vorurteile.Den in seinen Kneipen abgelauschten Gesprächen entlockt Andreas seine grotesken semantischen Pointen. Ein regelrechter Satansbraten, der seine Leser zudem gern auf die falsche Fährte lockt. Dieses teuflische Treiben lässt sich auch nicht mit dem Beelzebub austreiben, schon gar nicht mit dem Brezelbub, der mehrmals am Tag mit schwarzer Hose und weißer Jacke die schweren Holztüren der Apfelweinwirtschaften aufstößt, mit einem Weidenkorb und ebenjenen Brezeln.Im Osten saß der RusseIm neuen Buch schlägt Andreas mit seinem ethnologischen Blick die metaphysische Tür zur großen Welt auf, die früher nur auf das Aufwachsen in der Wetterau, die Studentenzeit in Frankfurt und auf seinen Familienkosmos beschränkt war. Diese Außenwelt, die über den Bildschirm flackert, wird ihm zur Innenwelt.Anfangs schwebt er noch als auktorialer Erzähler über dem Kind, das die Sesamstraße guckt, „sogar der Blaue Bock, der manchmal um 8.00 Uhr morgens wiederholt wird, wird hingenommen und dem Nichtschauen vorgezogen“. Dann tritt das altbekannte „Ich“ in den Text: „Vor allem gab es Osten und Westen. Im Osten saß der Russe. Als kleines Kind hatte ich das nicht so ganz begriffen, bald aber schon. Hierbei teilte Gut und Böse die Welt in zwei Hälften.“ Andi reift langsam zum „links-utopischen Adoleszenten“, geht in Flohmarkt-Klamotten zur Tanzschule und glotzt natürlich weiter TV, wenn er nicht gerade auf Volksfesten versumpft.Irgendwann wird es mephistophelisch-essayistisch: „Da war es, das Böse, das Dunkle, das Nein. Es hatte Gesicht und Namen und hinterließ keine Fragen (…) Man wünschte Saddam Hussein jetzt den Tod im damals noch vorwiegend christlichen Deutschland … Die ganze Vorgeschichte, die Kosten des Kriegs gegen den Iran, die zahllosen Kredite, die jahrelange Unterstützung durch den Westen, das Aufbauen Husseins – alles das verschwand im Nichts bzw. wurde unter den medialen Teppich gekehrt, es blieb nur dieses Gesicht, es blieben nur diese Augen, von überall starrten sie nun scheinbar auf Deutschland, Europa, die Welt: Saddam!“Andreas versucht auch, den Balkankrieg zu verstehen und warum der serbische Gastronom in Friedberg plötzlich von allen geschnitten wird – ohne sich dabei in Peter-Handke-Tiraden zu verstricken. Er will einfach verstehen, was nicht einfach zu verstehen ist: „Ging man in die Dunkel oder in die Schillerlinde, ins Gemalte Haus oder zum Doctor Flotte, merkte man allerdings, daß kaum einer verstand, was gerade passierte, über welchen Vorgang gestern in den Nachrichten berichtet worden und wer der Urheber welcher Handlung gewesen war.“Dabei war die Welt damals vielleicht einfacher zu verstehen als heute. „Als rechts galt alles, was nicht links war.“Ist das nun eine diabolische Attitüde oder eine ernste Intervention, die in unsere Gegenwart reicht? Gerade heute ist doch weltpolitisch der Teufel los. Können sich Putin und Trump nicht endlich zum Teufel scheren? Mit diesen Gedanken klappte ich das Buch zu. Bei der Wohnungsauflösung meines toten Papas in Frankfurt werfe ich die 14-bändige Goethe-Ausgabe in den Karton, sie soll nach Berlin. Da war doch was? Ach, richtig: „Den Teufel spürt das Völkchen nie, / Und wenn er sie beim Kragen hätte“, spricht Mephisto. Man sollte ihn heute lieber noch öfter an die Wand malen.Der Teufel Andreas Maier Suhrkamp 2025, 247 S., 25 €