1960 ging es los: „Stets dienstbereit zu Ihrem Wohl, ist immer der Minol-Pirol.“ So gab das wahrscheinlich beliebteste Maskottchen der DDR im Fernsehen Tipps ums Auto herum. Im Zentrum natürlich Kraftstoff! Allermeist VK 88, Zweitaktgemisch mit Öl. Ob Schwalbe, Trabi oder Wartburg – keine Mobilität ohne Minol. Auch für die Interflug-Flotte lieferte Minol den Treibstoff, freilich keinen VK 88, auch nicht für die Westautos auf den Transitstrecken, wo die Tankstellen sozialistische Repräsentativität ausstrahlten, wie auch sonst noch einige im Lande. Allermeist aber waren die 1.340 von ihnen spartanisch eingerichtet, nicht selten aus den 1930ern stammend.

Im Angebot wie in der Ausstattung erlebte Minol das planwirtschaftliche Auf und Ab. Das Personal, allen voran die Tankwarte (und Tankwartinnen), die „Minoler“, hatte selbstverständlich seine entsprechenden Urkunden und Ehrenzeichen im Überfluss. Überhaupt war die Betriebsstoffgesellschaft so etwas wie die Miniatur der gesamten. Minol hat zunächst die DDR überlebt. Der französische Elf-Konzern investierte groß, in Technik, Corporate Design und Gimmicks – freilich auch in Preistafeln, die man zuvor nicht brauchte. Mit der Fusion Elf-Total ging es dann flott bergab. Heute existieren – wohl wegen der Markenrechte – noch ganze drei Tankstellen mit dem Namen Minol.

Der Journalist Ulrich Biene erzählt, reich illustriert, davon, auch mit reichlich Anekdoten. Die blödeste: Wessis, die vor 1989 Leihwagen fuhren: „Auch damals gab es schon mehr Schein als Sein.“

Vom Sprit zur Windenergie. Vom Italiener Antonio Pigafetta weiß man weder, wann er auf die noch wann er aus der Welt kam, wohl aber, dass er zu den 18 Männern auf einem Schiff gehörte, die 1522 von der ersten Umsegelung der Welt zurückkamen, zu der der Portugiese Magellan im spanischen Auftrag 1519 mit fünf Schiffen und 240 Mann aufgebrochen war. Seine Aufzeichnungen, gerühmt als einer der faszinierendsten Reiseberichte aller Zeiten, begründeten nicht nur den Ruhm Magellans als erstem Weltumsegler, obwohl der bereits 1521 auf den Philippinen starb, sondern überlieferten auch anschaulich die Strapazen und Katastrophen der Reise, die Begegnungen mit Landschaften, Tieren und Pflanzen und den Sitten, Gebräuchen und Sprachen unterschiedlichster regionaler Kulturen, den Handel mit und die Kämpfe gegen sie.

Einerseits präzise, andererseits fantasievoll angereichert, sodass der Übersetzer und Kommentator dieser erstmals vollständig auf Deutsch vorliegenden Ausgabe erklärt, dass nicht alles „auf eigenem Mist gewachsen“ sei und man „auch nicht alles für bare Münze nehmen“ dürfe. Das gilt sicher für Vögel ohne Beine oder die angebliche Beobachtung, dass christliche Leichen stets mit dem Gesicht nach oben, indische mit ihm nach unten im Wasser versanken. Zutreffend ist wohl wiederum die Beobachtung, dass Inselbewohner Armbrustbolzen, die sie durchbohrt hatten, „verwundert“ herauszogen und so starben. „Das rührte uns zu großem Mitleid.“ Denkbar fern von den umsegelten Kontinenten und Inseln kämpften zu just jener Zeit mit immensen Todesopfern und ohne glücklichen Ausgang hierzulande die Bauern gegen Auspressung und Unterdrückung. 1525, das letzte Jahr, in dem es ein Zeugnis von Pigafetta gibt, kulminierten die Bauernkriege.

Zum 500. Gedenkjahr hat die australische Historikerin Lyndal Roper einen veritablen Wälzer vorgelegt. Er ist spannend von vorn bis hinten. Sie beginnt mit dem Herbst 1524, als die Aufstände, die sich schließlich vom Harz bis Tirol erstreckten, begannen. Folgt dann den Jahreszeiten bis zum Sommer 1525, als die Bauern und ihre Mitgänger zu Zehntausenden von den Landsknechtheeren der Landesherren hingemetzelt oder hingerichtet worden waren. Sie stellt zwar auch einzelne Figuren vor, den in der DDR verklärten Thomas Müntzer, Luther, der auf Geheiß der dortigen Grafen im Mansfelder Land vergeblich zu pazifizieren suchte, darob so verspottet wurde, dass er fortan die Bauern verteufelte, oder Götz von Berlichingen, der seine Rolle weidlich fakte, rückt sie aber ein in die Vielzahl der Akteure und Geschehnisse.

Fokussiert auf den Ruf nach Freiheit und die gegen die Ausbeuter von Adel und Klerus gelebte „Brüderlichkeit“ – zu der Schwestern nur partiell gehörten –, bescheinigt sie den Aufständischen sogar eine eigene Theologie, in deren Zentrum eine ökologische Einheit mit der Natur gestanden habe. Nun ging es neben Beseitigung der unerträglichen Abgabenlasten zwar zentral auch um die Freiheit der Entnahme von Getier und Holz aus den Wäldern, aber das war doch mehr auf Befriedigung natürlicher Bedürfnisse denn Naturversöhnung aus. Was in der Stadt Villingen geschah, sagt wohl mehr über die menschliche Natur: Deren Rat verteilte aus Furcht vor den Forderungen der Bauern freigiebigst Ochsenfleisch an alle, um ein paar Tage später, als deren Niederlage sich abzeichnete, die umliegenden Dörfer auszuplündern und niederzubrennen.

Mit dem Realsozialismus begonnen habend, ende ich hier mit einer realen Sozialistin: Sie stammte aus einfachen Verhältnissen und zeigte sich als künstlerisch hochbegabtes Kind. Die Eltern wie ihre drei Geschwister früh verloren, sie selbst so kränklich, dass der Arzt ihr zunächst den Schulbesuch untersagte, danach nur gelegentlich „beschult“, fortan Autodidaktin in jeder Hinsicht, stand Lu Märten (1879 – 1970) von Anfang an auf Seiten des Sozialismus, so der Titel, unter dem ihre autobiografischen Aufzeichnungen von 1967 jetzt erschienen sind.

Die Literaturwissenschaftlerin Chryssoula Kambas, die mit ihrem Engagement dafür gesorgt hat, dass Lu Märten sowohl in ästhetiktheoretischer wie feministischer Hinsicht zunehmend auch international gebührende Beachtung findet, hat nun ihre Autobiografie, die leider um 1920 endet, aber darin dicht Eindrücke der sozialen Verhältnisse, des sozialen und feministischen Emanzipationskampfes vermittelt, sorgfältig kommentiert und kontextuiert.

Lu Märten war sehr früh, wie sie stolz an Leo Trotzki schrieb, Mitglied der KPD. Seit ihrer frühesten Jugend vielfältig engagiert, Aktivistin gegen Wohnungsnot und für Tierschutz, gegen Antisemitismus und für soziale Sicherung der Künste, in und über alledem für Frauenrechte. Kränkelnd und durchweg prekär lebend, war sie doch gewiss, dass Frauen „unter allen Umständen etwas sein können“, nicht erst „unter so und so vielen Voraussetzungen“ etwas werden könnten. Paradigmatisch dafür ihre eigenen literarischen oder theoretischen Publikationen – letztere eine originäre materialistische Theorie der Entstehung ästhetischer Formen aus der Arbeit, die zwar vom Parteidogmatismus als „Formalismus“ verworfen wurde, aber gerade im Kontext der künstlerischen Avantgardebewegungen umso beachtenswerter ist.

Erhard Schütz war bis zum Jahr 2011 Professor für Neue Deutsche Literatur an der Humboldt- Universität zu Berlin. Für den Freitag schreibt er einmal im Monat die Kolumne Sachlich richtig, eine konsequent verknappte, höchst subjektive Auswahl von Sachbüchern, die man unbedingt lesen sollte

Der Pirol an der Zapfsäule. Minol – Geschichte und Geschichten Ulrich Biene Mitteldeutscher Verlag 2024, 160 S., 24 €

An Bord mit Magellan. Bericht über die erste Reise rund um die Welt 1519 – 1522 Antonio Pigafetta Christian Jostmann (Übers.), C. H. Beck 2025, 221 S., 22 €

Für die Freiheit. Der Bauernkrieg 1524Lyndal Roper Holger Fock, Sabine Müller (Übers.), S. Fischer 2024, 676 S., 36 €

Lu Märten: „… von Anfang an auf Seiten des Sozialismus“ Chryssoula Kambas (Hrg.), Aisthesis 2025, 274 S., 28 €

Erhard Schütz war bis zum Jahr 2011 Professor für Neue Deutsche Literatur an der Humboldt- Universität zu Berlin. Für den Freitag schreibt er einmal im Monat die Kolumne Sachlich richtig, eine konsequent verknappte, höchst subjektive Auswahl von Sachbüchern, die man unbedingt lesen sollte



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Von Veritatis

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