SPD und Union haben sich auf eine „Neue Grundsicherung“ geeinigt, die alles Ringen der Ampelregierung um ein Bürgergeld niederbrennt. Helena Steinhaus analysiert die geplanten Regelungen zu Sanktionen, Schonvermögen und Arbeitszwang
Kindergrundsicherung, Respekt, Augenhöhe, Menschenwürde, Teilhabe und Chancengleichheit. Daran verschwendet Friedrich Merz bei der Grundsicherung kein Wort
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Eine „Neue Grundsicherung für Arbeitsuchende“ nennen Union und SPD in den ersten Ergebnissen der Koalitionsverhandlungen die Abschaffung des Bürgergelds. Eigentlich sollte diese Grundsicherung anders heißen, ein besserer Namensvorschlag wäre: „Entrechtungs- und Verelendungs-System für erwerbslose Menschen“. Hier sind die wichtigsten Punkte des derzeitigen Verhandlungsstands.
1. Totalsanktionierung: „Mal sehen, was Karlsruhe dazu sagt“
Wie bereits im Sondierungspapier angekündigt, sollen Sanktionen „im Sinne des Prinzips Fördern und Fordern“ verschärft werden. Darüber hinaus sollen „Sanktionen (…) schneller, einfacher und unbürokratischer durchgesetzt werden können.“ Denkba
nnen.“ Denkbar sind hier die bereits unter der Ampel-Koalition verabschiedeten Verschärfungen auf sofortige 30 Prozent vom Regelsatz für drei Monate beim ersten abgelehnten Arbeitsangebot und auch bei verpassten Terminen (statt wie bisher im Bürgergeld zunächst 10 Prozent für einen Monat).„Bei Menschen, die arbeiten können und wiederholt zumutbare Arbeit verweigern, wird ein vollständiger Leistungsentzug vorgenommen“: SPD und Union verweisen in ihrem Papier weiterhin auf Totalsanktionen. Bislang führen sie aber nicht weiter aus, wie die Ausgestaltung der Totalsanktionen aussehen soll, da sie seit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2019 hoch umstritten sind. Trotz der möglichen Verfassungswidrigkeit sind sie seit 2024 auch im Bürgergeld wieder möglich. So ließ der Kanzler in spe schon Anfang März skrupellos verlauten: „Mal sehen, was Karlsruhe dazu sagt“. Auch er weiß, dass eine Verfassungsklage nicht mal eben aus dem Hut gezaubert wird und dass mitunter Jahre vergehen, bis sie final verhandelt wird. Bis dahin könnten etliche Sanktionierte unter einer möglicherweise verfassungswidrigen Praxis leiden.2. „Vermittlungsvorrang“: Zwang zum Arbeiten, egal wieDer Vermittlungsvorrang soll wieder Priorität haben. Anstatt also den Fokus auf Qualifizierung und Weiterbildung, sowie nachhaltige Vermittlung in angemessen bezahlte und passende Jobs zu legen, soll die schnellstmögliche Vermittlung in egal welche Tätigkeit wieder verpflichtend werden. Zumindest in der Theorie ist das im Bürgergeld anders gedacht, und das war eine große Errungenschaft: Weiterbildung und nachhaltige Vermittlung sind derzeit in der Theorie wichtiger als Vermittlung in mies bezahlte Jobs. Allerdings konnte das in der Praxis kaum umgesetzt werden, weil den Jobcentern Jahr für Jahr die Mittel gestrichen wurden. Gerade hier hätte viel Potenzial gelegen, um gering qualifizierten Menschen wirklich langfristig eine Perspektive zu bieten. Die potenzielle neue Regierung vertut hier eine große Chance und wird mit diesem Rückschritt sehr viel Unglück säen.In Kombination mit den verschärften Sanktionen kann damit das Recht auf freie Berufswahl ad absurdum geführt werden und die Neue Grundsicherung mindestens so fatal machen, wie Hartz IV es war. Hartz IV war maßgeblich dafür bekannt, Menschen in schlecht bezahlte Jobs gedrängt und den Niedriglohnsektor massiv aufgebläht und Menschen durch Sanktionen in blanke Not bis hin zur Obdachlosigkeit getrieben zu haben. Davon profitieren vor allem Arbeitgeber, die schlechte Löhne zahlen. So bleiben viele Menschen arm trotz Arbeit und müssen ergänzende Sozialleistungen beantragen, bzw. landen häufig auch nach kurzer Zeit wieder im Jobcenter. Das ist nicht nur für die Biografie und das Wohlergehen der einzelnen Menschen schlecht, sondern letztlich auch für die Staatskasse. 3. Faktische Kürzung des RegelsatzesEbenfalls beschlossen wurde die faktische Kürzung des Regelsatzes. Denn der Berechnungsmechanismus soll zurückgedreht werden auf Vor-Corona-Zeiten. Das heißt, dass der Regelsatz wieder verzögert an die Inflation angepasst wird, sodass de facto die Kaufkraft der Menschen über die Jahre weiter sinken wird. Auch wenn der Regelsatz im Bürgergeld nach wie vor viel zu niedrig war, war die schnellere Anpassung der Sätze an die Inflation ein kleiner Fortschritt, den die SPD gegenüber der Union mit harten Bandagen hätte verteidigen müssen.4. Keine Schonzeit: Eigenes Erspartes muss sofort aufgebraucht werdenDie Karenzzeit beim Schonvermögen soll abgeschafft werden. Bisher konnte die erste Person in einer Bedarfsgemeinschaft maximal 40.000 Euro behalten, zumindest im ersten Jahr des Bürgergeldbezugs. Das war gut, vor allem für Selbstständige oder Menschen, die für das Alter etwas zurückgelegt haben. Nun muss dieses Geld bis auf einen noch unbestimmten Betrag, das Schonvermögen, sofort aufgebraucht werden, bevor die „Neue Grundsicherung“ greift. Zurzeit beträgt das Schonvermögen 15.000 Euro. Es soll zukünftig an die „Lebensleistung“ angepasst werden. Die meisten Menschen im Bürgergeld haben ohnehin keine Rücklagen, es betrifft also nur wenige Menschen. Aber für die, die es betrifft, ist es besonders hart. 5. Kommission zur Modernisierung: Drohen Kürzungen bei der Unterkunft?Was sich hinter der Kommission zur „Modernisierung und Entbürokratisierung“ verbirgt, die bis Ende 2025 darüber Ergebnisse liefern soll, wie Leistungen pauschaliert werden können, bleibt abzuwarten. Erahnen lässt sich aber, dass hier gezielt die Kosten für Unterkunft und Nebenkosten gesenkt werden sollen, wie es bereits von der Union angekündigt wurde.Das wäre fatal, zumal bereits jetzt kaum „angemessener“ Wohnraum für Menschen im Bürgergeld vorhanden ist und allein 325.000 Haushalte aus ihrem kleinen Regelsatz rund 100 Euro monatlich zur Miete dazu geben müssen, wodurch sie dauerhaft unter dem Existenzminimum leben. Pauschalierte Wohnkosten würden noch mehr Armut und Verdrängung von Menschen aus beliebteren Wohngegenden bedeuten, als ohnehin bereits stattfindet. Auch Obdachlosigkeit könnte eine direkte Folge werden. Zurück zu Hartz IV: Das Ampel-Ringen um ein Bürgergeld wird zurückgedrehtDie Bilanz ist bitter: Es waren mit dem Bürgergeld wirklich nur kaum nennenswerte Kleinigkeiten für die Menschen gewonnen worden. Aber mit der Wiedereinführung des Vermittlungsvorrangs, den härteren Sanktionen, noch geringerem Schonvermögen und der gleichen Berechnungsmethode wie zu Hartz-Zeiten, ist wirklich alles Ringen der Ampel in den letzten drei Jahren komplett überflüssig geworden.Vom Bürgergeld zur Sanktionsmaschine, so könnte man den Wechsel zur „Neuen Grundsicherung“ auch nennen. „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“ ist die klare Drohung, die bei der „Neuen Grundsicherung“ den Ton angibt. Totalsanktionen und Vermittlungsvorrang sollen die fatale Kombination der „Neuen Grundsicherung“ werden, um Menschen alternativlos in Jobs zu pressen.Das war aber noch nicht alles. Wenn es nach der Union geht, soll darauf hingewirkt werden, dass die „Sozialstandards europaweit angeglichen werden“, um angeblicher Einwanderung in die Sozialsysteme vorzubeugen. Zivilgesellschaftliche Hilfe beim Umgang mit der Bezahlkarte für Geflüchtete soll außerdem kriminalisiert werden. Um nur zwei Punkte zu nennen, die besonders fragwürdig sind und vor allem gegen geltendes Recht verstoßen würden. Vergessen und unerwähnt bleiben dabei all die Menschen, die niemals aus dem System herauskommen werden. Dabei handelt es sich tragischerweise um die Mehrheit der 5,5 Millionen Menschen in Grundsicherung. Dass zudem schätzungsweise 40 Prozent der Menschen, die Anspruch auf Bürgergeld hätten, es nicht abrufen, ist auch kein Wort in den Verhandlungen wert. Vergessen eine Kindergrundsicherung, Respekt, Augenhöhe, Menschenwürde, Teilhabe und Chancengleichheit. All das ist scheinbar nur noch sozialromantisches Klimbim. Stattdessen werden Menschen in Armut totgeschwiegen, ignoriert oder aber unter Generalverdacht gestellt, um noch weiter gegängelt und entrechtet werden zu können.Das ist kein Kahlschlag. Das ist Niederbrennen. Die Verhandlungen sind noch nicht beendet und das ist nur ein Zwischenstand des Desasters. Klar ist aber jetzt schon, dass die „Neue Grundsicherung“ fatale Folgen für die Menschen haben wird. Während der Niedriglohnsektor ein Loblied auf sie singen wird.