Bernhard Heisig, Wolfgang Mattheuer, Willi Sitte und Werner Tübke kommen mit ihren Werken zur großen bundesdeutschen Kunstschau. Wer hoffte, der kalte Krieg werde an dieser Stelle ausnahmsweise nicht geführt, sieht sich getäuscht
Die Bilder von Willi Sitte spiegelten, für den Westen unüblich, eine von Sinnlichkeit erfüllte Arbeitswelt
Foto: Manfred Vollmer/Documenta Archiv
Durfte er das? Documenta-Kurator Manfred Schneckenberger hat nach offenbar langen Verhandlungen mit DDR-Ministerien Bernhard Heisig, Wolfgang Mattheuer, Willi Sitte und Werner Tübke nach Kassel eingeladen. Sollten tatsächlich DDR-„Staatskünstler“ auf der wichtigsten Kunstschau der BRD ihre Bilder zeigen?
Ich war damals Panorama-Redakteurin, in der Programmkonferenz diskutierten wir, ob das nicht eine Geschichte für uns wäre. Aber Kunst war die Sache von Panorama nicht, und die Kultursendungen hatten bereits ausführlich berichtet. Pro und Kontra. Pro überwog, obwohl die Galerien von Markus Lüpertz und Gerhard Richter mit Boykott drohten, und der Maler A. R. Penck urteilte: „Das sind keine Maler, sondern Arschlöcher.“ Es war
chlöcher.“ Es war schließlich Joseph Beuys, zentraler Künstler dieser 6. Ausgabe der Documenta, der ostentativ für die DDR-Gäste eintrat und damit die Sache entschied. Die Bilder und die Maler kamen nach Kassel.Also fuhr ich privat zur Documenta, wie all die Jahre vorher schon. Ich war 41 Jahre alt, in Frankfurt am Main zur Schule gegangen bis zum Abitur, der erste Besuch war noch eine Klassenfahrt – und was haben wir da nicht alles Neues, Unbekanntes, Augenöffnendes gesehen? Eine neue Welt: Pop-Art, die Amerikaner, Franzosen, Briten, Marino Marini und die anderen Italiener. Wenn die Bundesrepublik damals liberal und weltoffen war, dann auf der Documenta.Andere Bildwelten, andere WeltbilderUnd nun dieses Jahr 1977! Ausgerechnet in der Zeit einer neuen Ostpolitik und des Versuchs, Wandel durch Annäherung zu erreichen – oder vielleicht gerade deswegen –, so ein Rückfall. Also ab nach Kassel! Zuvor hatte ich noch ein Fernsehinterview mit den „Vieren“ gesehen, angeblich traten sie nur gemeinsam vor die Presse, typisch DDR eben.Da sagte Werner Tübke: „Ich begreife mich nicht als politischer Künstler. Wenn ich einen Auftrag annehme, dann male ich.“ Willi Sitte neben ihm, mächtiger Präsident des Verbandes Bildender Künstler der DDR, ZK-Mitglied und am meisten verschrien, lächelte. Bernhard Heisig, der 1977 nach achtjähriger freiberuflicher Tätigkeit wieder zum Professor und Rektor der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst berufen worden war, verschränkte seine Arme über der Brust, als die Interviewreihe an ihm war. Überschattete ein Skandal die Ausstellung? „Skandal?“, fragte er zurück, „das ist doch höchstens ein Skandälchen. Wir sind das übrigens in der DDR gewohnt. Unsere Bilder sind ja auch dort umstritten.“ Malverbote für sich und Sitte erwähnte er nicht …Was dann zu sehen war, glich einem völlig neuen Erlebnis. Andere Bildwelten als die gewohnten, andere Weltbilder als die gewohnten. Zu besichtigen im prominenten Flügel des Fridericianums, gleich hinter dem Eingang. Mittendrin das große Tableau von Heisigs Festung Breslau. Ich irrte durch dieses Labyrinth aus Gewalt, Schrecken, Angst und Hoffnung … das war die Welt meiner Kriegskindheit und der Nachkriegsalbträume. Seitdem bin ich im Bann dieser Malerei, bin ihr nachgereist, wo immer und wann auch immer sie für uns zugänglich war: im DDR-Pavillon auf der Biennale in Venedig, im Palast der Republik in Ostberlin, auf den Kunstschauen in Leipzig und Dresden. Wobei der Skandal, das Politikum von Kassel, unvergessen blieb.Bilderstreit 1997Damit könnte man die Erinnerung eigentlich abschließen, hätte es da nicht noch diese zweite Skandalgeschichte gegeben. 20 Jahre später, in der Berliner Republik, unserm einig Vaterland. 1997 hatte der Bundestag einen Kunstbeirat, der für das umgebaute Reichstagsgebäude zeitgenössische Künstler zur Ausgestaltung einlud. Es ging um „Kunsttrassen“ kreuz und quer durch den gigantischen Bau. Auch Bernhard Heisig war eingeladen. Und nun ging es wieder los: Der nächste Kulturkampf, „Bilderstreit“ genannt, brach aus.Im Januar 1998 wandten sich 80 ostdeutsche Künstler und Kritiker in einem Offenen Brief an den Kunstbeirat und forderten, diese Einladung zurückzunehmen. Es gab freilich ebenso einen prominenten Künstlerappell, an der Einladung unbedingt festzuhalten. Wie in Kassel – Pro und Kontra. Und weil ich in dieser Sache sicher parteiisch bin, zitiere ich aus dem offiziellen Statement des Bundestages: „Der Kunstbeirat prüfte und wog die Argumente beider Seiten und lehnte eine Gesinnungsprüfung ab.“Das Gremium beschloss einstimmig, an seiner Entscheidung mit der Begründung festzuhalten, dass einzig „das formale und gehaltliche Niveau“ von Heisigs Kunst für seine Beauftragung ausschlaggebend gewesen sei. Noch Jahre später argumentierte Andreas Kaernbach, Kurator der Kunstsammlung des Bundestages, in einem seltsamen Rechtfertigungsstil: „Die Erwartung des Beirates, dass Heisig einen bedeutenden, sowohl generationenübergreifenden wie biografisch-selbstkritischen Diskussionsbeitrag zum Kunstkonzept für das Reichstagsgebäude leisten würde, sollte sich alsdann auch erfüllen.“ Braver Heisig!Von der Kantine in die BibliothekDas Gemälde Zeit und Leben ist ein Welttheater deutscher Geschichte – von Friedrich dem Großen über Kaisertum, zwei Weltkriege, das Hitler-Regime und die Nachkriegszeit in der DDR … Mittendrin ein Selbstporträt des Künstlers und an einem Rand ein kleiner Junge mit Flugdrachen, eine Ikarus-Ahnung – bezugnehmend auf das große Ikarus-Bild im Palast der Republik, der da schon zum Abriss freigegeben war. Das Heisig-Bild Zeit und Leben wurde in der Abgeordnetenkantine aufgehängt. Heisig schrieb daraufhin dem Kurator, er würde das Reichstagsgebäude nicht mehr betreten, solange das Bild an diesem Ort platziert sei.Ich hielt es in der Kantine immer für fehl am Platz. Gewiss, es hatte ein großes Publikum, das stimmt, aber es war eben kein Kantinenbild, das stimmt auch. Von 2005 bis 2013 war ich Bundestagsabgeordnete und auch Mitglied des Kunstbeirats. Immer wieder wurde gefordert, das Bild umzuhängen. Die Antwort hieß meistens, man suche nach einem geeigneten Platz. Das sei aber sehr schwierig. Durch einen Zufall traf ich Heisig in dieser Zeit auf dem Flughafen in Berlin, er war auf dem Weg zur Biennale in Venedig. Eine kleine gebrechliche Gestalt. Ich sprach ihn auf das Bild in der Kantine an und erzählte, dass es Bemühungen gäbe, das Bild endlich an einen würdigeren Ort zu hängen. Er sah mich an und sagte „Das interessiert mich mittlerweile nicht mehr. Es ist mir gleichgültig geworden.“Kurz vor seinem Tod gab es dann den Beschluss, das Triptychon in die Präsenzbibliothek auf der gleichen Parlamentsebene zu zeigen. Sicher ein angemessener Platz, nur sieht es da so gut wie niemand. Andererseits werden in der Bibliothek die namentlichen Abstimmungen ausgezählt. Da ist dann großer Parlamentsbetrieb, man sieht Wahlurnen, Saaldiener mit weißen Handschuhen betreiben parlamentarische Demokratie. Das würde Heisig vielleicht versöhnen. Erlebt hat er es nicht mehr.Heisig malt Helmut SchmidtDieses Leben, es war ein Kampf ohne Unterlass – ein deutsches Künstlerschicksal: 1925 in Breslau geboren, Malersohn, der im Atelier seines Vaters die „erste Ausbildung“ bekommt, wie er später einmal gesagt hat. Im Krieg lernt er an der Kunstgewerbeschule Breslau. Er wird 1942 eingezogen. Waffen-SS, schwere Verletzungen, sowjetische Gefangenschaft, Rückkehr ins jetzt polnische Breslau. Ab 1947 Umzug nach Zeitz und Leipzig. Er tritt in die SED ein. 1949 bricht er das Studium ab, arbeitet freiberuflich, illustriert Werke von Johannes R. Becher und Erich Maria Remarque. 1964 kritisiert er auf dem V. Kongress des Verbandes der Bildenden Künstler die „fragwürdigen künstlerischen Ergebnisse des ‚Bitterfelder Weges‘ “, der zu einer „sozialistischen Nationalkultur“ führen sollte. Daraufhin wird er „wegen Nichterfüllung erzieherischer Aufgaben“ als Rektor der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig abgesetzt; bleibt aber Dozent, erhält Auszeichnungen für seine Buchillustrationen und Staatsaufträge für seine wütenden, blutigen, gewaltigen Panoramabilder.1968 kündigt er seine Dozentur in Leipzig und arbeitet nur noch freiberuflich, bleibt zugleich ein hoher Verbandsfunktionär. Ab 1976 ist er dann doch wieder Rektor in Leipzig. 1986 malt Heisig das offizielle Porträt des Ex-Kanzlers Helmut Schmidt für die Galerie im damaligen Bundestag in Bonn. In der Wendezeit tritt er aus der SED aus und verlässt die Akademie der Künste. Niemals war dieser Künstler unumstritten – in den Zeiten der zwei Deutschlands nicht, später auch nicht.2005/06 gab es eine große Retrospektive in Düsseldorf, Leipzig, Berlin und auch in seiner Heimatstadt Breslau mit dem Titel Die Wut der Bilder. Ein Lebenskreis sollte sich schließen. 2011 ist Bernhard Heisig gestorben.