In ihrer klugen, witzigen „Biografie des Gesichts“ beschreibt Rabea Weihser, welchen Aufwand wir betreiben, dem Look des herrschenden Zeitgeistes zu entsprechen. Übrigens: Männer können Schönheitsarbeit heutzutage soziologisch begründen
Weil Schönheit bis heute sozialen, ökonomischen Erfolg verspricht, fühlen sich immer mehr Menschen nicht wohl mit ihrem Gesicht
Foto: Imago/Depositphotos
Ein ganzes Kapitel allein über Augenbrauen? Ja! Rabea Weihser braucht Platz für die beiden Fellbalken in unserem Gesicht, die uns von den vollbehaarten Vorfahren vererbt wurden. Über Brauen gebe es nicht viel wissenschaftliche Literatur, aber umso mehr zu sagen. Denn allein für unsere soziale Orientierung sind Augenbrauen wichtig. Naturbelassen geben sie uns eine Auskunft über Alter, Geschlecht und Gefühlszustand des Gegenübers. Wir registrieren die hochgezogene Braue, nennen den Vortrag „High Brow“, wenn er elitär und intellektuell rüberkommt. Die rätselhafte Mona Lisa hatte keine oder fast keine Augenbrauen – die Experten sind noch uneinig –, aber könnte es sein, dass Michelangelo einen beliebten Beautytrend Anfang des 16. Jahrhunderts ikonisierte, mit nackter Stirn auf entrückte Weise heilig auszusehen?
Hochtoxisches Bleiweiß für die vornehme Blässe
Ein paar Wimpernschläge später landet Weihser in den 1990ern, zuvor hat sich die Dietrich aber nochmals ihre Bögen konturiert. Für den angesagten Independent-Rock-Look einer Courtney Love waren dünn gezupfte, mitunter irreversibel gerupfte Striche wieder ein Muss, der bei vielen Mädchen und Frauen ein Trauma hinterließ, denn eine emanzipierte Boy Brow war ja nur noch gemalt möglich.
Für ihr Buch hat Weihser weitere kurisose, wissenswerte Kulturgeschichten über Nase, Kinn, Stirn, Augen und Mund zusammengetragen. In ihrer Biografie des Gesichts, so der Untertitel, zeigt sie auf, wie sich Schönheitsideale im Laufe der Epochen, je nach Geschlecht und Kultur verändert haben, seit der Antike, unter Elisabeth I. (hochtoxisches Bleiweiß für die vornehme Blässe), durch genderfluiden Wandel. Weihser beschreibt, welcher Aufwand betrieben wurde, dem Look des herrschenden Zeitgeistes zu entsprechen oder gegen diesen zu opponieren; eine europäische Nase zu besitzen, indigene oder afrikanische Wurzeln zu leugnen.
Und weil Schönheit bis heute sozialen, ökonomischen Erfolg verspricht, Instagram voll ist mit schönen, erfolgreichen Menschen, fühlen sich immer mehr Menschen nicht wohl mit ihrem Gesicht. Verständlich: Wer will alt und ungepflegt wirken, wenn sich immer mehr Normalos mit Botox jünger spritzen, sich Kollagen- und Hyaluronfiller gönnen.
Roter Lippenstift war im antiken Griechenland nur Prostitutierten erlaubt, die feinen Herren, „von Suff und Orgien vernebelt, waren auf deutliche Hinweise angewiesen“. Heute können wir uns in westlichen Gesellschaften nach Lust und Geld stylen, wobei „Natürlichkeit“ schon länger hoch im Kurs steht. Nur, im Extremfall kann dieser Look zehn Lagen teure Kosmetik erfordern. Schneller geht es natürlich mit einem Instagram-Filter.
Ist der Beautywahn nicht totalitär und verachtenswert? Weihser zitiert die koreanische Autorin Elise Hu, die über den dortigen Schönheitsdruck ein Buch schrieb: „Don’t blame the player, blame the game.“ Helfen könnte Aufklärung. Und Selbstakzeptanz.
Sinnvolle Selbstfürsorge, die Moral hochhalten
Wie sich koloniales Erbe in Namen für Make-up-Töne niederschlägt, ist zu lesen. Was Frauen alles veranstalteten, um beim Schwindsucht-Chic, dem „ästhetisierten Tod in einer patriarchalen Kultur“, mitzuhalten, aber auch: Sein Gesicht herzurichten, kann „sinnvolle Selbstfürsorge“ sein, die Moral hochhalten. Literaturnobelpreisträgern Herta Müller: „Ich wusste, wenn ich mich nicht mehr schminke (…), dann habe ich aufgegeben.“
Das Buch liest sich wie das Schminktutorial einer sehr belesenen Person. Es sprüht vor Ironie und Witz, von einer Gebildetheit, die nie überheblich wirkt. Man sollte sich darin nicht nur in den Werbepausen von Germany’s Next Topmodel vertiefen. Jedoch: Die Lektüre ist gewiss lohnender für weibliche Leser? Keineswegs. „Je autonomer Frauen von männlicher Fürsorge sind, weil sie zum Beispiel ihr eigenes Geld verdienen, eigenverantwortlich sprechen und handeln, desto größer der Schönheitsdruck unter Männern“, prophezeite der Literaturwissenschaftler Winfried Menninghaus. Weihser: „Seinen Haargelverbrauch könnte man auch soziologisch begründen.“
Wie wir so schön wurden Rabea Weihser Diogenes 2025, 352 S., 26 €
Wie wir so schön wurden Rabea Weihser Diogenes 2025, 352 S., 26 €