Hat Sven Lau seinen Ausstieg aus der Salafisten-Szene nur vorgetäuscht, um vorzeitig aus der Haft zu kommen? Für das NRW-Aussteigerprogramm sind die jüngsten Botschaften des Predigers die zweite Blamage innerhalb kurzer Zeit.

von Peter Hemmelrath

Als der wegen Terror-Unterstützung zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilte Salafisten-Prediger Sven Lau im Mai 2019 vorzeitig auf Bewährung freigelassen wurde, wurde dies mit seiner plötzlichen Teilnahme am nordrhein-westfälischen Aussteigerprogramm Islamismus (API) sowie seiner nicht minder plötzlichen „Distanzierung von seiner ursprünglichen radikal-islamischen Haltung“ begründet. Bei Ermittlern, Journalisten und anderen Fachleuten, die Laus Aktivitäten jahrelang engmaschig „begleitet“ hatten, rief diese Begründung jedoch nur ein müdes Lächeln hervor. Denn diesem Personenkreis war der ehemalige Mönchengladbacher Salafisten-Chef als wehleidiger Charakter bekannt, der unter Inhaftierungen stärker litt als andere Salafisten-Größen oder gar Jihadisten. 

Dies zeigte sich spätestens 2014, als er wegen einer später fallengelassenen Terror-Anklage kurzzeitig in Mannheim in Untersuchungshaft saß. Während seine Weggefährten zur Salafisten-Szene hin verkündeten, er betreibe nun in der Haft Missionierung zum Islam, fiel Lau dort tatsächlich damit auf, teilweise „täglich penetrant“ die Dienste des christlichen Anstaltsseelsorgers in Anspruch zu nehmen. Damit bildeten sich die mit seinem Fall befassten Experten im Mai 2019 schnell ihre ganz eigene Meinung dazu, was von dem wundersamen „Ausstieg“ des heute 44-Jährigen zu halten war.

Das Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG), das Lau im Juli 2017 verurteilt hatte, sowie die Bundesanwaltschaft dürften damals jedoch wenig Optionen gehabt haben, anders zu entscheiden. Denn an der Entscheidung über Laus vorzeitige Entlassung waren auch ein „renommierter Sachverständiger“, dessen Name jedoch bis heute nicht genannt wird, sowie das API selbst beteiligt. Und das API untersteht dem Landesverfassungsschutz, der wiederum in NRW dem Landesinnenministerium untersteht. Das aber hatte schon 2019 keine Erfolge im Kampf gegen den Islamismus zu vermelden.

Und die Nachricht von Laus plötzlicher API-Teilnahme und seinem vermeintlichen Ausstieg war 2019 nicht weniger als ein medienwirksamer Coup, der die Kritik an der mangelnden Islamisten-Bekämpfung in NRW zumindest für einen Moment verstummen ließ. Denn Lau gehörte aufgrund seiner Anhängerschaft jahrelang zusammen mit Pierre Vogel und Marcel Krass zu den bekanntesten deutschen Salafisten. Damit hatte das unter einer rot-grünen Landesregierung entwickelte API, das im Oktober 2014 seine Arbeit aufgenommen hatte, endlich einen herzeigbaren Erfolg. So war noch bis ins letzte Jahr hinein aus Justizkreisen zu vernehmen, Lau sei der bis heute größte Erfolg des API.

Das Eingeständnis des Innenministers

Tatsächlich wusste das Ministerium aber spätestens 2023, dass der angebliche Aussteiger Lau in Wahrheit gar keiner war. Denn am 13. April 2023 – und damit noch während seiner Bewährungsfrist – hatte Lau an einem Salafisten-Event mit dem Nachwuchs-Prediger Dehran Asanov alias „Abdelhamid“ in der Düsseldorfer Masjid-Assalaam-Moschee teilgenommen. Derzeit sitzt Asanov in Untersuchungshaft und wartet auf seinen Prozess vor dem Landgericht Düsseldorf, wo er sich schon bald gegen den Vorwurf des Betrugs verteidigen muss. Zum damaligen Zeitpunkt aber galt er als neuer und aufstrebender Stern der Salafisten-Szene.

Dass Lau auf keinem Video des „Abdelhamid“-Events zu sehen war, lässt vermuten, dass ihm bewusst war, dass er damit gegen seine Bewährungsauflagen verstösst und er dies nicht auch noch dokumentiert wissen wollte. Da aber der Eingangsbereich der Moschee bei dem Event offenbar observiert wurde, fiel er den Ermittlern beim Verlassen der Veranstaltung auf. In der darauffolgenden Nacht bemerkten die Ermittler auch noch fünf Männer vor dem OLG, darunter Lau, „Abdelhamid“ sowie weitere Szene-Größen. Zur Rede gestellt sagte Lau, dass er dort „einen Prozess gehabt hätte“ und den anderen Männern „diese Örtlichkeit habe zeigen wollen“.

Genau betrachtet hätte das Ministerium nun beim OLG darauf dringen müssen, Laus Bewährungsfrist zu widerrufen. Das aber hätte seine erneute Inhaftierung bedeutet, womit die medienwirksame Darstellung des „Aussteigers“ Sven Lau nicht mehr aufrechtzuhalten gewesen wäre. Offenbar wollte das niemand im Innenministerium, denn anders lässt sich nicht erklären, dass sich das API in seiner Reaktion im Mai 2023 darauf beschränkte, die Zusammenarbeit mit Lau wieder zu beenden.  

Dabei wäre es auch geblieben, hätte nicht eine Zeitung im November 2024 über Laus Rückkehr in die Salafisten-Szene und seine Teilnahme am „Abdelhamid“-Event berichtet. Der Artikel führte zu einer Kleinen Anfrage der SPD-Landtagsfraktion bei der Landesregierung. In seiner Antwort kurz vor Weihnachten räumte Landesinnenminister Herbert Reul (CDU) auch die Geschehnisse des 13. April 2023 ein. Aber auch hier hatte das API Glück, denn die Antwort ging in der täglichen Flut der Landtags-Dokumente unter, ohne dass jemand die Brisanz von Reuls Eingeständnis begriffen hatte.

„Das Übelste von allem“

Am 9. März aber richtete Sven Lau in einem Podcast das Wort an seine Anhänger, um ihnen mitzuteilen, dass er sich 2019 nur zur API-Teilnahme bereit erklärt hatte, da er „gebrochen“ gewesen und „schwach geworden“ sei. Auch habe dieser „Fehler“ damit zu tun gehabt, dass es „normal“ sei, aus der Haft kommen zu wollen. So sei er in der Haft „so an seine Grenzen gekommen“, dass er sich gewünscht habe, „von jemandem ins Koma geprügelt zu werden“, um „zu Allah zurückzukehren“.

Weiter berichtete Lau am 9. März, dass das API ihn „vor fast zwei Jahren rausgeworfen“ habe, nachdem er mit seinem „besten Freund Abu Alia“ in eine Polizeikontrolle geraten sei. Die Zeitangabe legt nahe, dass damit sein nächtlicher Auftritt im April 2023 vor dem Gerichtsgebäude des OLG gemeint sein dürfte. Bei „Abu Alia“ alias Efstathios T. handelt es sich um einen langjährigen Mönchengladbacher Weggefährten von Sven Lau. Nach dessen Verurteilung stieg „Abu Alia“ zu einem der bekanntesten deutschen Salafisten-Prediger auf. Trotz der Beobachtung durch den Verfassungsschutz konnte der Grieche jahrelang ungehindert gemeinsam mit „Abdelhamid“ durch nordrhein-westfälische Moscheen touren.

In der Gesamtbetrachtung wirkt Laus rund 27-minütiger Podcast wie eine Bitte an seine Anhänger, ihm seine API-Teilnahme zu vergeben. In einem weiteren Podcast vom 20. März betonte Sven Lau gleich zu Beginn seiner Ansprache, dass er „Neuerungen des Islam“ weiterhin ablehne, da diese „das Übelste von allem“ seien. Die strikte Ablehnung von „Neuerungen“ gilt als zentrales Element des salafistischen Gedankengutes. Damit kann der Podcast als unmissverständliche Botschaft an seine Anhänger verstanden werden, dass er noch immer Salafist sei.

Für das API kommen die jüngsten Eingeständnisse von Sven Lau zur Unzeit. Denn auch der im März vom Landgericht Duisburg wegen der Bereiterklärung zu einem Anschlag zu acht Jahren Haft verurteilte Tarik S. war Teilnehmer dieses Programms. Vor dem Landgericht verlesene Dokumente brachten hervor, dass der bereits 2017 wegen IS-Mitgliedschaft verurteilte Tarik S. jahrelang vom API betreut wurde, obwohl bereits bei seiner Haftentlassung 2021 bekannt war, dass eine tatsächliche Abkehr von der IS-Ideologie bei ihm „eindeutig nicht erkennbar“ gewesen sei. 

Herbeiphantasierte Erfolge

Dennoch unterstützte das API Tarik S. gemeinsam mit der Diakonie bei dessen Wohnungssuche. Als der Deutsch-Ägypter im Sommer 2023 nach dem Verlust seines Jobs in eine persönliche Krise geriet und sich die Anzeichen für eine erneute Gefährlichkeit häuften, zog sich das API aber offenbar schlagartig wieder zurück und überließ das Problem den Ermittlern. Vollständig konnte die Rolle die Rolle des API bei Tarik S. in dem Prozess jedoch nicht geklärt werden, da das Landesinnenministerium zwei Mitarbeitern des Programms, die als Zeugen vernommen werden sollten, die Aussagegenehmigung verweigerte.

Dass die jüngsten Pleiten und Pannen des API nun zu kritischen Debatten über das Programm in der Landespolitik führen, dürfte dennoch unwahrscheinlich sein. Im Landtag sind sich CDU, SPD, Grüne und FDP seit Jahren darüber einig, dass das API sowie das Islamismus-Präventionsprogramm „Wegweiser“ als alternativlos anzusehen sind und nicht hinterfragt werden sollen. An diesem Konsens änderte sich auch nichts, als das Landesinnenministerium vor etwas mehr als einem Jahr einräumen musste, dass beim API seit 2014 lediglich 44 von insgesamt mehr als 250 Fällen erfolgreich abgeschlossen wurden. 

Dennoch phantasieren andere Teile der Landesregierung bis heute Erfolge herbei, deren Darstellung nur noch durch Wunschdenken oder Realitätsverlust zu erklären sind: „Im Ergebnis trage der Rückzug von ausgestiegenen Extremistinnen und Extremisten aus dem Islamismus zur allmählichen Ausdünnung der Szene bei und bestärke weitere an ihrer Szenezugehörigkeit zweifelnden extremistischen Personen in ihren Abkehrüberlegungen“, heißt es etwa in einem Kurzbericht des Kultur- und Wissenschaftsministeriums über eine Evaluation des API. 

Dabei wird jedoch verschwiegen, dass sich die Evaluation des API nur mit internen Abläufen, aber nicht mit den Ergebnissen des Programms beschäftigt hat. Ebenfalls verschwiegen wird, dass sich die Islamisten-Szene in NRW seit 2014 erheblich ausgeweitet, aber mit Sicherheit nicht „ausgedünnt“ hat.

Die Aussteigerprogramm-„Trumpfkarte“ fürs Gericht?

Gleichzeitig ist bei Gerichten immer häufiger zu beobachten, dass Verteidiger, etwa von IS-Unterstützern oder ehemaligen IS-Mitgliedern, die „Trumpfkarte“ der API-Teilnahme ziehen, je näher das Urteil rückt. Was für deren Mandanten auch Sinn macht, denn die erwerben damit die Option auf eine Haftverkürzung und sichern sich gleichzeitig entsprechende Unterstützung bei der Wohnungs- und Jobsuche nach der Haftentlassung. Das wiederum treibt zumindest die Fallzahlen des API in die Höhe, was den Fortbestand des Programms und der damit verbundenen Arbeitsplätze sichert. 

Und wie schnell das oftmals geht, zeigte sich zuletzt bei der wegen IS-Unterstützung zu zwei Jahren und neun Monaten Haft verurteilten Anna Y. Im Gegensatz zu ihrem ebenfalls wegen IS-Unterstützung angeklagten Ehemann Harun hatte sich Anna Y. vor dem OLG Düsseldorf schnell geständig gezeigt. Und kaum hatte deren Anwältin Seda Basay-Yildiz ihre API-Teilnahme verkündet, konnte sie dem Gericht auch schon von einer Wohnung und einer Vollzeitstelle für ihre Mandantin berichten. 

Für Anna Y. endete die Geschichte damit, dass sie noch vor ihrer Verurteilung wieder in Freiheit war. Daraufhin zeigte selbst der bis dato wenig interessierte Harun Y. kurz vor seinem Urteil auch noch schnell Interesse an einer API-Teilnahme. Mit der Sicherheit der Allgemeinheit, mit der die Schaffung des API 2014 begründet wurde, dürften solche Formen der Programmnutzung jedoch nicht mehr viel zu tun haben.

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Von Veritatis

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