Der Autohersteller Ford hat angekündigt, 2.900 Stellen in Deutschland zu streichen. Ist die Krise der Automobilindustrie schlimmer als gedacht? Ein Ortsbesuch im Kölner Werk, das besonders gefährdet ist. Was sagen die Angestellten dort?


Jeder vierte Kölner Ford-Beschäftigte könnte seinen Job verlieren

Foto: Sven Simon/Imago Images


Hunderte Autos, abgedeckt von weißen Planen, stehen ungenutzt vor dem Ford-Werk in Köln-Niehl. Ein Stacheldrahtzaun trennt sie von der Außenwelt. „Mit den E-Autos haben wir ein fettes Eigentor geschossen“, sagt Bülent. Der 52-Jährige trägt einen akkurat getrimmten Schnurrbart, das schwarze Haar auf seinem Kopf wird dünn. Seine Augen sind leicht gerötet, er wirkt erschöpft, als er von Tor 6.1 Richtung Straßenbahn trottet. Gerade hat er seine vorerst letzte Frühschicht im Presswerk beendet. Der Gedanke an die nächsten Wochen, erzählt Bülent, mache ihm Magenschmerzen.

Wie 2.300 weitere Ford-Beschäftigte war Bülent bis Weihnachten in Kurzarbeit geschickt worden, seit Montag muss er zuhause bleiben. Zu di

ben. Zu diesem Zeitpunkt weiß Bülent noch nicht, dass der US-amerikanische Autohersteller nur wenige Tage später ankündigen wird, dass bis 2027 rund 2.900 Stellen in Deutschland gestrichen werden sollen, die meisten davon in Köln. 800 weitere sollen in Großbritannien wegfallen, 300 im Rest der EU. Jeder vierte Kölner Ford-Beschäftigte könnte damit seinen Job verlieren. Hintergrund scheint der schlechte Absatz der seit diesem Jahr in Köln produzierten Elektrofahrzeuge zu sein. Besonders die starke Konkurrenz durch andere E-Auto-Hersteller und strenge Emissionsrichtlinien erschwerten das Geschäft und erforderten entsprechende Einsparungen, so argumentierte das Management am Mittwoch. In diesem Jahr hatte das Kölner Ford-Werk seine Produktion komplett auf E-Autos umgestellt und dafür mehr als zwei Milliarden US-Dollar investiert. Im Juni war mit dem „Explorer” der erste vollelektrische SUV über das Band gelaufen, im September folgte der Produktionsstart des zweiten E-Modells „Capri”. Die Umstellung sollte Ford aus der schon länger andauernden Krise helfen. Wie sich jetzt zeigt: ohne Erfolg.Schweißen, sägen, flexen, bohren – das ist Bülents WeltDie Verkaufszahlen blieben deutlich unter dem erhofften Niveau zurück. Schon seit 2018 fallen im Kölner Werk immer wieder Jobs weg. Von den damals rund 20.000 Beschäftigten sind inzwischen nur noch 11.500 übrig. Weitere 2300 Stellen werden bis Ende 2025 abgebaut. Das zweite deutsche Ford-Werk in Saarlouis, wird seine Tore im November nächsten Jahres endgültig schließen. Auch andere Autohersteller stehen vor der Krise: VW hatte Ende Oktober massive Einsparungen angekündigt, zehntausende Arbeitsplätze sind gefährdet. Nun offenbart sich das Ausmaß der Krise auch bei Ford. „Ich bin bei Ford groß geworden, das ist mein Zuhause“, sagt Bülent. Seit über 30 Jahren arbeitet er hier. Schon sein Vater habe bei Ford angefangen, als er in den 1970er Jahren aus der Türkei nach Deutschland gekommen sei. Nach der Ausbildung als Werkzeugmechaniker hat Bülent seinen Meister gemacht. Bei Ford fertigt er heute Ersatzteile, die nicht in Massenproduktion hergestellt werden. „Schweißen, sägen, flexen, bohren – das ist meine Welt.“ Der 52-Jährige hat drei Kinder, zwei von ihnen studieren, eines geht noch zur Schule. Während Bülent sich eine Zigarette anzündet, erzählt er von dem kleinen Haus in Köln-Ehrenfeld, das er noch abbezahlen muss und von den Existenzängsten, die ihn und seine Kolleg:innen seit Monaten plagen. „Früher konnte man sich mit der Arbeit bei Ford eine Zukunft aufbauen, heute haben wir Angst, vor die Tür gesetzt zu werden.“Die betriebliche Arbeitnehmervertretung übt deutliche Kritik an den Plänen der Unternehmensführung, rund ein Viertel der Stellen zu streichen. „Die Beschäftigten wurden vor vollendete Tatsachen gestellt“, sagt David Lüdtke, IG-Metall Vertrauenskörperleiter der Ford-Werke in Köln dem Freitag. Erst im vergangenen Jahr hatte der Betriebsrat einen Schutz vor betriebsbedingten Kündigungen für alle Ford-Beschäftigten in Deutschland bis 2032 ausgehandelt. Der angekündigte Stellenabbau würde mit dieser Vereinbarung brechen, sagt Lüdtke.„Wir werden uns erbittert dagegen zur Wehr setzen“„Wir werden uns erbittert dagegen zur Wehr setzen“, so der Arbeitnehmervertreter. Immer wieder habe man das Gespräch mit der Unternehmensführung gesucht, um eine zukunftsorientierte Ausrichtung der europäischen Ford-Standorte zu ermöglichen. Doch diese habe sich jeglichen Gesprächsangeboten verweigert. Wie die Arbeitsfähigkeit der Produktionsstätte in Köln trotz Stellenabbau in Zukunft gewährleistet werden soll, sei unklar. „Viele Mitarbeitende haben den letzten Funken Vertrauen in Ford inzwischen vollends verloren“, so Lüdtke.An diesem kalten Novembertag, wenige Tage bevor Ford den drastischen Stellenabbau ankündigen wird, eilen immer wieder Grüppchen von Menschen durch den Nieselregen, halten ihre Mitarbeiterausweise vor ein Lesegerät und verschwinden durch das kleine Drehkreuz auf dem Produktionsgelände. Viele berichten von der angespannten Stimmung im Werk. „Wir sind angefressen“, erzählt ein älterer Mitarbeiter, der im Getriebebau tätig ist und eine neongelbe Arbeitsjacke trägt.Er selbst mache sich zwar keine Sorgen um seine Existenz, die Rente stehe ohnehin bald an und mit einer möglichen Abfindung werde er schon über die Runden kommen. „Aber meine jungen Kollegen, besonders die mit Familie, haben Angst auf der Straße zu landen.“ Eine junge Frau mit Trenchcoat und Handtasche, die gerade ihre Schicht beendet hat, ruft einem Kollegen zu „Olaf, überleg dir gut, ob du mich ärgern willst, wer weiß, wie oft wir noch zusammenarbeiten“, bevor sie in Richtung Straßenbahn verschwindet.Im Oktober streikten 8.000 Ford-MitarbeitendeEnde Oktober hatte die IG Metall zu einem Warnstreik aufgerufen: 8.000 Ford-Mitarbeitende streikten für mehr Lohn und eine klare Zukunftsperspektive. An eine solche glauben bei Ford spätestens seit gestern wohl nur noch die wenigsten. Die Geschäftsführerin der IG Metall Köln-Leverkusen, Kerstin Klein, kritisiert im Gespräch mit dem Freitag: „Die Unternehmensführung hat bei der Produktionsumstellung auf E-Autos massive Fehlentscheidungen getroffen.“ Viel zu spät habe man mit dem Umbau der Produktion begonnen, außerdem auf die falschen Modelle gesetzt. Die beiden E-SUVs kosten zwischen 40.000 und 50.000 Euro – laut einer Insa-Umfrage deutlich mehr, als die meisten Deutschen für ein E-Auto ausgeben würden. Ford beantwortete dem Freitag keine Rückfragen dazu.Eine Frau mit grauem Haar und roten Wangen, eingepackt in einem dunkelgrünen Wintermantel, verlässt das Gelände. Über 25 Jahre arbeitet sie schon als Kantinenfachkraft bei Ford, wie sie erzählt. „Einen besseren Arbeitgeber als Ford findste draußen nicht“, sagt sie im breiten Kölner Dialekt. Die Entscheidung, zwei große und teure E-SUVs in Köln zu produzieren, sei bei der Belegschaft nicht gut angekommen, erzählt sie. „Natürlich ist der Explorer ein tolles Auto – aber ich würde niemals einen Kredit über 40.000 Euro dafür aufnehmen“, sagt sie und tippt sich dabei an die Stirn. Das geht offenbar vielen so.Nicht nur auf dem Mitarbeiterparkplatz reihen sich kleinere Ford-Modelle wie der Fiesta neben Opel Corsas und VW Golfs. Branchenweit scheint der Trend zum kleineren E-Auto zu gehen. Auch Ford-Chef Jim Farley kündigte Anfang des Jahres an, künftig mehr in die Entwicklung kleinerer E-Modelle investieren zu wollen. Diese Strategieanpassung kommt für mindestens 2.900 Kölner Ford-Beschäftigten offenbar zu spät. „Geschäftsführung, Stadt, Bundesregierung, was weiß ich, wer das vermasselt hat – wir Mitarbeiter wurden übergangen“, meint die Frau im dunkelgrünen Mantel. Vieles erfahre man aus der Zeitung, statt vom Unternehmen selbst, erzählt sie – auch deshalb sei die Stimmung miserabel. Für sie wäre eine Entlassung oder gar die Schließung des Ford-Werkes fatal, erzählt die Kantinenfachkraft. „Mein Mann ist ein Pflegefall, ohne meinen Tariflohn wird es knapp.“Chinesische E-Autos gibt es schon für 20.000 EuroIG-Metall-Sprecherin Klein sagt, nicht nur die Unternehmensführung sei an der Situation schuld. Auch politisch habe man vieles verschlafen. Ende 2023 hatte die Bundesregierung überraschend entschieden, ihr Subventionsprogramm für E-Autos zu stoppen. Die Verkaufszahlen brachen dramatisch ein: Im Juli dieses Jahres wurden in Deutschland 37 Prozent weniger E-Autos zugelassen als noch im Vorjahresmonat.Dass sich unter einer CDU-geführten Regierung, die Ende Februar gewählt werden könnte, etwas ändern wird, glaubt Klein nicht. „Die arbeitgeberfreundliche Politik der Union wird die Situation für die Arbeiter:innen bei Ford nicht entschärfen“, sagt sie. Zudem kämen politische Maßnahmen im Februar möglicherweise schon zu spät. „Potenzielle Kunden warten auf eine erneute Förderung und die müsste jetzt schon kommen“, so Klein.Auch das geplante Verbrenner-Aus auf EU-Ebene, das eigentlich ab 2035 gelten sollte, scheint inzwischen zu bröckeln. Ein klares politisches Bekenntnis zur Elektromobilität fehlt. Mehrere Autohersteller, unter anderem Ford und VW, reagierten auf die politische Unsicherheit und kündigten an, wieder vermehrt in die Produktion von Verbrennern zu investieren. Hinzu kommt, dass massive staatliche Subventionen chinesischer E-Autohersteller die Marktbedingungen erschweren: Chinesische Modelle sind im Vergleich zu den Ford-Wägen deutlich günstiger und schon für rund 20.000 Euro erhältlich.Bülent blickt auf die vielen Autos, die ungenutzt auf dem Parkplatz stehen und schüttelt den Kopf. „Das ist eine Misere mit Ansage.“ Weil das alles kaum überraschend komme, habe er im vergangenen Jahr eine Weiterbildung als Energieeffizienzberater angefangen und dafür einen Kredit bei der Bank aufgenommen, erzählt der 52-Jährige. „Ich hoffe so, noch eine Chance auf dem Arbeitsmarkt zu haben.“Trotzdem ist Bülent sichtlich angefasst.Er fürchtet, dass seine Zeit bei Ford bald zu Ende gehen könnte. Diese Angst ist seit gestern realer denn je. Die Arbeit bei dem Autohersteller, das merkt man Bülent an, war für ihn nie nur ein Job: Er spricht von Ford, wie von einem alten Freund, der ihn hintergangen hat. „Das ist der Anfang vom Ende“, meint der Werkzeugmechaniker, bevor er dem Ford-Werk den Rücken kehrt.



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Von Veritatis

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