Über die DDR existiert längst ein fotografischer Kanon. Eine Schau in Cottbus zeigt ein anderes Bild: Was hielten heute kaum bekannte Künstlerinnen und Fotografen auf Ost-Besuch in den 1970ern und 80ern fest?

Nichts könnte falscher sein, als die DDR-Fotografie als abgeschlossenes Sammelgebiet zu betrachten, auch wenn mit dem Stichtag des 3. Oktober 1990 das Land aufhörte zu existieren. Seitdem entfaltet das Bilder-Konvolut jedoch erst richtig seine Wirkmacht, ringen die verschiedensten Deutungen um ihre Hoheit, lädt der historische Abstand zu ewig neuer Interpretation ein.

Freilich hat sich über die Jahre ein fotografischer Kanon herausgebildet; dieser unterscheidet häufig zwischen den subversiven Fotografen, die sich distanziert bis ablehnend Land und Gesellschaft gegenüber verhielten und jenen, die als mehr oder weniger „systemkonform“ gesehen und beurteilt werden. Dieser Kanon schließt ein, dass sich Namen wiederholen und die immer gleichen Bilde

chen Bilder abgefragt werden. Das ist ähnlich wie in der Filmgeschichte; geht es um den deutschen Stummfilm, werden immer dieselben zehn Titel abgespult, so dass das Filmerbe nur vom Cabinet des Dr. Caligari bis zu Metropolis zu reichen scheint.„Glück“ und „Rand“ sind die Schlüsselwörter der AusstellungDas Verdienst der beiden Kuratorinnen Annett Jahn und Ulrike Mönnig besteht daher zuallererst darin, diesen Kanon aufgebrochen zu haben und einen anderen Zugang gesucht zu haben. In akribischer Feldforschung suchten sie etliche heute weitgehend unbekannte Fotokünstler zu Hause auf und sichteten das Material, überrascht von dessen Vielfalt und Qualität.Dieser Prozess der Annäherung findet seinen Niederschlag nun in einer fast 40 Fotografinnen und Fotografen umfassenden Überblicksausstellung in Cottbus über die Zeit der späten DDR. Harald Hauswald und/oder Sibylle Bergemann gehören ausnahmsweise mal nicht dazu (nichts gegen die beiden Großen ihres Fachs), dafür sind viele vertreten, die längst nicht mehr als Fotografen arbeiten, die aufgegeben haben oder vergessen sind. Ihnen den Raum für eine Präsentation ihrer Arbeiten zu geben, ist aus ganz praktischen Gründen verdienstvoll: das Zeitfenster der Verfügbarkeit solcher Bestände schließt sich, weil die Künstler alt werden und es nur für wenige die Möglichkeit gibt, ihren Nachlass an öffentliche Sammlungen zu übergeben, wo er fachgerecht aufbereitet wird.Placeholder image-1Den Kuratorinnen ging es um einen differenzierteren und auch neuen Blick auf die Alltagsgeschichte der 1970er und 80er Jahre sowie die beginnende Transformationszeit. An den Rändern taumelt das Glück heißt ihre Ausstellung, wobei der Titel kein poetisches Zitat, sondern tatsächlich selbst erdacht ist. Mit „Glück“ und „Rand“ sind zwei Schlüsselwörter benannt, die diese Ausstellung prägen.Niemand wird heute mehr bestreiten, dass es auch und sogar in der DDR die Möglichkeit von Glück gab, wie Anne Rabe ihren vieldiskutierten Roman, der den Osten als Gewalterfahrung beschrieb, nannte. Aber war dieses Glück überwiegend an den Rändern zu Hause? In der Privatheit der Nischengesellschaft, als welche das Land regelmäßig beschrieben wird? Die Ausstellung verschließt sich dieser Deutung nicht. Offizielle Rituale sind kaum zu finden, „Privat geht vor Katastrophe“, wie ein beliebtes Bonmot lautete.Der Staat scheint weit weg zu sein, das wahre Leben spielt sich im Kleingartenverein, in der dörflichen Gemeinschaft, am Arbeitsplatz oder auch in den subversiven Inszenierungen der unangepassten Künstler wie Gabriele Stötzer oder Mathias Leupold ab. Bis er, also der Staat, dann doch in Erscheinung tritt und in Christiane Eislers Serie über die jungen Frauen im „Jugendwerkhof Crimmitschau“ seine repressive Seite zeigt.Einfluss ostdeutscher Lehrer wie Arno FischerEin völlig anderes Bild des vergehenden Staates zu evozieren, ist nicht Absicht der Ausstellung, sie erweitert es aber durchaus um neue Facetten. Eine von ihnen ist der fremde Blick auf das Land und seine verordnete Enge. Für Fotografen, die aus dem Westen kamen, scheint die DDR fast so etwas wie ein Abenteuerspielplatz gewesen zu sein – den sie im Gegensatz zu dessen Einwohnern freilich jederzeit wieder verlassen konnten.Eine Ausnahme bildete der in Dinslaken geborene Jörn Vanhöfen, der im Oktober 1989 von der Essener Folkwangschule an die Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst wechselte, die wichtigste Ausbildungsstätte für künstlerische Fotografie in der DDR. Er war dort der erste Student aus dem Westen, noch vor Wende und Mauerfall. In dem fotografischen Essay, der gleichzeitig seine Diplomarbeit war, beschrieb er in poetisch verdichteten, elegischen Bildern jene „Zwischenzeit“ zwischen selbstbestimmtem Aufbegehren und der Wiedervereinigung.Placeholder image-2Vanhöfens Bildsprache ist merklich geprägt vom Einfluss seiner ostdeutschen Lehrer an der HGB wie Arno Fischer. Das lässt sich von den meisten anderen der in der Ausstellung vertretenen Fotografen aus dem Westen nicht sagen, deren Bildkompositionen meist die westdeutsch tradierte Formensprache fortschreiben. Ihre Bilder sind häufig von Fragmentierungen, ungewöhnlichen Blickwinkeln oder extremen Formaten bestimmt, in denen sich Reibungen und Spannungen erspüren lassen. Ihr Interesse gilt wie bei Ilse Rupperts Fotografien von DDR-Punks den Subkulturen oder den Absurditäten des Alltags, wie sie sich in Äußerlichkeiten niederschlagen.Wolf Lützens und Hans Pielers Bildserie der „Transitstrecke Hamburg/Berlin“, jener Autobahn, die von der BRD durch DDR-Gebiet nach Westberlin Reisende nicht verlassen durften, ist radikal subjektiv durch das Autofenster oder den Rückspiegel fotografiert. Durch ihre Abstraktion ergeben diese Fotografien ein System von Zeichen, die von einer latenten Bedrohung erzählen. In diesem Fall war die Abstraktion wohl den besonderen Umständen geschuldet, denn die Transitstrecke war flächendeckend überwacht und offenes Fotografieren riskant.Die Westfotografen fotografierten meist in FarbeAußerdem fotografierten die Westfotografen meist in Farbe. In der DDR wurde hingegen ganz überwiegend Schwarzweiß verwendet, zum einen einer ästhetischen Tradition folgend, zum anderen bot das Schwarzweiß die Möglichkeit, Filme und Bilder in der eigenen, mit wenig Aufwand herstellbaren Dunkelkammer zu entwickeln und zu vergrößern und so die Kontrolle über das Material zu behalten. Das hat freilich weniger mit der Angst vor staatlicher Repression als mit der Mangelwirtschaft und dem damit verbundenen Zwang zur Improvisation zu tun.Unbedingt erwähnt werden muss der außergewöhnlich schön gestaltete Begleitband zur Ausstellung. In ihm ist die Fülle des Materials kongenial aufbereitet. All die Querverweise, die assoziative Hängung in der Ausstellung, durch die die Bilder miteinander korrespondieren und einen vielstimmigen Chor ergeben, finden sich im Buch wieder, ergänzt durch zahlreiche Texte. So lässt sich, wer es nicht nach Cottbus schafft, auch im Katalog dieses Lebensgefühl zwischen Stillstand und Aufbegehren nachempfinden. Die Vielfalt der Sujets ergibt in der gelungenen Zusammen- und Gegenüberstellung einen authentischen Eindruck der ostdeutschen Gegenwart der 1980er Jahre. Ferienheime heißen Aufbau, Freiheit und Freundschaft, der Alltag erscheint lebensprall. Die Bilder erzählen Geschichten, sind voller Anspielungen, die Fotografen sind nah dran und häufig Teil des Geschehens.Niemand der Zeitgenossen ahnte, wie kurz die Zeitspanne für das kleine Land noch sein würde. In der Retrospektive sucht man in den Bildern unwillkürlich nach Zeichen des nahenden Untergangs.Der aufmerksame Betrachter wird rasch fündig – all die Symbole des Verfalls, der Stagnation und einer Müdigkeit in den Blicken springen deutlich ins Auge. Die Endzeitstimmung wird konterkariert durch Geschichten einer Selbstermächtigung der Menschen, wie sie in der Transformationszeit 1989/90 zuhauf erzählt werden. Christina Glanz’ Porträtserie 24 Frauen entstand auf Demonstrationen zwischen dem 4. November 1989 und dem Jahr 1991 in Berlin.In den Gesichtern „voller staunender Freude, abschätzender Distanz, Verzweiflung, Skepsis, Neugier, Zuversicht, gar Hoffnung auf Erlösung“ (Inka Schube im Katalog) lässt sich erahnen, was gemeint ist, wenn von der ganz anders gearteten Emanzipation der DDR-Frauen die Rede ist. Der heutige Betrachter weiß allerdings auch, dass diese Frauen zu den ersten gehörten, die im Zuge der ökonomischen „Schocktherapie“ nach der Vereinigung ihre Arbeit verloren.



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Von Veritatis

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