Ein Fünftel Ostdeutsche sollen CDU und SPD bei der Besetzung des Kabinetts nominieren, fordert Dietmar Woidke. Er, Michael Kretschmer oder Manuela Schwesig werden kaum nach Berlin wechseln. Doch an geeignetem Personal herrscht kein Mangel
Kandidatinnen fürs Kabinett? Von links nach rechts: Rasha Nasr, Claudia Pechstein, Till Backhaus, Mario Czaja, Kathrin Michel, Gesine Grande, Carsten Schneider, Claus Weselsky, Petra Köpping und Constanze Buchheim
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Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke hat eine sehr konkrete Vorgabe gemacht: Ein Fünftel der Ministerposten im neuen Bundeskabinett soll mit Ostdeutschen besetzt werden, fordert der SPD-Politiker: „Diese Zahl löst nicht alle Probleme, die wir mit der Unterrepräsentanz von Ostdeutschen in Führungspositionen haben, aber sie ist ein wichtiges Symbol“, so Woidke am Rande der Konferenz der ostdeutschen Ministerpräsidenten in Berlin. „Und darum hoffe ich sehr, dass die Bundesspitzen der Parteien die Weisheit besitzen, entsprechende Menschen zu suchen. Dann werden sie sie auch finden.“
Angesprochen dürfen sich die Bundesspitzen von CDU und SPD in ihren laufenden Koalitionsverhandlungen fühlen. Die CSU will wie immer für
die Bundesspitzen von CDU und SPD in ihren laufenden Koalitionsverhandlungen fühlen. Die CSU will wie immer für eine möglichst hohe Bayern-Quote im Kabinett sorgen. In Bayern leben etwa 16 Prozent der gesamtdeutschen Bevölkerung, das entspricht recht genau dem Anteil Ostdeutschlands. Aufgerundet zu je einem Fünftel würde das bei der aktuellen Größe des Kabinetts drei Posten für Bayern und drei für Ostdeutsche entsprechen. Blieben immer noch neun Posten für die nordrhein-westfälisch dominierte CDU-Anwärterschaft (Friedrich Merz, Carsten Linnemann) und all die Niedersachsen der SPD (Lars Klingbeil, Boris Pistorius, Hubertus Heil).Woidke selbst hat schon abgewunken – er hatte seine SPD im September noch knapp vor der AfD ins Ziel gebracht und will Ministerpräsident bleiben. Die Suche nach ostdeutschen Ministerinnen und Ministern wird eben dadurch erschwert, dass die Spitzenpolitiker von CDU wie SPD in den ostdeutschen Ländern gebraucht werden – als Regierungschefs, die Koalitionen zusammenhalten müssen, welche wie Michael Kretschmers in Sachsen und Mario Voigts in Thüringen nicht einmal über eine eigene Mehrheit im Parlament verfügen. Oder die wie Reiner Haseloff in Sachsen-Anhalt und Manuela Schwesig in Mecklenburg-Vorpommern bei Landtagswahlen 2026 unbedingt noch einmal als Spitzenkandidatinnen die AfD besiegen sollen.Doch Woidke hat Recht – wer sucht, der findet. Hier sind zehn Menschen, die sich als ostdeutsche Kabinettsmitglieder empfehlen würden.Placeholder image-4Petra KöppingGehandelt wird die SPD-Politikerin längst, etwa für das Bundesgesundheits- oder das Sozialministerium. Für beides und für „gesellschaftlichen Zusammenhalt“ ist Petra Köpping derzeit als Ministerin in Sachsen unter Ministerpräsident Michael Kretschmer. Schon dessen Vorgänger Stanislaw Tillich hatte sie 2014 als Integrationsministerin nach Dresden ins Kabinett geholt. Ihr Buch Integriert doch erst mal uns! erschien 2018, fünf Jahre vor Dirk Oschmanns Der Osten: eine westdeutsche Erfindung; darin forderte die in Thüringen geborene und in Sachsen aufgewachsene Diplom-Staatsrechtswissenschaftlerin und ehemalige Bürgermeisterin wie Landrätin: „Wir brauchen eine gesamtdeutsche Aufarbeitung der Verwerfungen und Verletzungen der Nachwendezeit.“Im neuen schwarz-roten Kabinett stieße Köpping auf einen alten Bekannten: Als die SPD 2019 ihren neuen Parteivorsitz per Mitgliederentscheid kürte, trat sie mit dem Niedersachsen Boris Pistorius als einziges Ost-West-Team an. Die beiden hatten sich bei einem Besuch im belgischen Mechelen kennengelernt, als sie sich vom Kurs des dortigen Bürgermeisters Bart Somers inspirieren ließen: Konsequenter Rechts- und solidarischer Sozialstaat – dieser auch von den dänischen Sozialdemokraten vertretene Mix fiel damals bei der Basis durch, Parteichefs wurden die Wessis Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken.Placeholder image-2Claus Weselsky Im Spreewald hat Claus Weselsky ein Haus gebaut, für den Ruhestand nach seinem Abtritt als Chef der Gewerkschaft der Lokomotivführer (GDL). Dorthin hätte es Friedrich Merz von Berlin aus eigentlich nicht weit, um seinen CDU-Parteifreund Weselsky zu einem Eintritt ins Kabinett zu überzeugen. Doch nähme er die Bahn, wüsste er, dass sich auf der Schiene etwas tun muss: Fast zwei Stunden mit dem Regionalexpress bräuchte er für 120 Kilometer!Will Merz am Ende der Legislatur mit einer besser funktionierenden Deutschen Bahn glänzen, sollte er Weselsky zum zuständigen Minister machen. Denn kaum jemand hat mehr Bahn-Erfahrung und Eisenbahner-Stolz als der gelernte Dieselmotorenschlosser, Lokführer und Gewerkschafter aus Sachsen. Nach zahlreichen Streikerfolgen unter GDL-Anführer Weselsky könnte diese Besetzung viele Bahn-Mitarbeiter in Ost wie West zusätzlich motivieren.Placeholder image-1Carsten SchneiderSeinen Abschied als Beauftragter der Bundesregierung für Ostdeutschland hat der Erfurter Carsten Schneider gerade angekündigt, kein Wunder: Der Posten ist im Kanzleramt angesiedelt. Wenn er überhaupt bestehen bleibt, wird Friedrich Merz ihn eher aus eigenen Parteireihen besetzen. Für Schneiders Arbeit gab es bei der Regionalkonferenz der Regierungschefin und der Regierungschefs der ostdeutschen Länder lauter Lob von Manuela Schwesig und Mario Voigt. Auch CDU-Ministerpräsident Voigt verwahrte sich gegen Forderungen aus seiner eigenen Partei, das Amt abzuschaffen.Schneider selbst hat zum Abschied einen Fünf-Punkte-Plan für gleichwertige Lebensverhältnisse in Deutschland vorgelegt, er fordert unter anderem mehr Finanzmittel für strukturschwache Kommunen, die Ansiedlung von Schlüsselindustrien auf den reichlich vorhandenen Flächen in entlegenen Regionen und zielgerichtetere Programme, um Familien vom Umzug in Kleinstädte zu überzeugen. Der 49-jährige Thüringer könnte sich in einem neuen Amt doch gleich selbst darum kümmern, etwa als Bau- oder Infrastruktur-Minister.Placeholder image-10Constanze BuchheimEine erfolgreiche Unternehmerin aus der Digitalwirtschaft mit politischem Verantwortungsgefühl – welcher Regierungschef sollte da nicht interessiert sein? Constanze Buchheim aus Querfurt in Sachsen-Anhalt, heute in Berlin zuhause, ist Gründerin und Geschäftsführerin von i-potentials, einer „Executive-Search-Boutique für Transformation“ im deutschsprachigen Raum. Das heißt, sie sucht Fach- und Führungskräfte für Unternehmen der Digitalwirtschaft und berät diese in Sachen Führungskultur und Organisationsstruktur. Zudem ist Buchheim Mitglied der Monopolkommission und tritt als Beraterin wie Rednerin auf, etwa wenn der Ost-Beauftragte der Bundesregierung zur Zukunftskonferenz lädt.Die bisherigen Koalitionsverhandlungen, sagt Buchheim, erinnerten sie an das, was sie auch in manchem Unternehmen erlebe: Aus Angst, mutig in eine Richtung zu gehen und damit Unmut zu produzieren, nähmen Führungskräfte ihre Verantwortung nicht an, sondern versuchten, alle irgendwie zufriedenzustellen und in Watte zu packen. Daraus resultiere eine Überfürsorglichkeit des Staates, die die Eigenverantwortlichkeit und Selbstwirksamkeit seiner Bürgerinnen und Bürger stranguliere. Für diese Übergriffigkeit seien die Antennen im Osten viel sensibler. Menschen, die sich selbst ohnmächtig fühlten, sehnten sich dann nach Klarheit, Durchsetzungskraft, Grenzziehung. Und fänden dies dort, wo es am lautesten und radikalsten verkörpert werde. Als Ministerin sieht sich Buchheim nicht. Aber der neuen Regierung etwas über moderne und mutige Führungskultur zu erzählen, darauf hätte sie wohl Lust.Placeholder image-6Mario CzajaÜber diesen Schatten wird Friedrich Merz kaum springen, und Mario Czaja selbst würde wohl auch abwinken – doch seine Berufung wäre ein echter Coup. 2023 schasste Merz Czaja nach anderthalb Jahren als CDU-Generalsekretär und ersetzte ihn durch den Westdeutschen Carsten Linnemann. Vor einer flächendeckenden CDU-Niederlage wie der in Ostdeutschland bei der Bundestagswahl 2025 hat der 49-jährige Ostberliner lange gewarnt. Sein 2024 erschienenes Buch Wie der Osten Deutschland rettet. Lösungen für ein neues Miteinander ist voll von Vorschlägen, wie sich die Demokratie revitalisieren und von der AfD zurückerobern ließe.Von seiner Partei fast gänzlich alleingelassen, hat Czaja im Februar sein Direktmandat in Berlin-Marzahn-Hellersdorf um weniger als 500 Stimmen gegen einen aus dem Westen herbei gekarrten AfD-Rechtsaußen verloren. In seinem Wahlkreis trauern viele Menschen dem echten Kümmerer hinterher. Czaja wäre eigentlich die ideale Besetzung für das Amt des Ostbeauftragten. Er säße dann im Kanzleramt, direkt bei Merz. Doch dabei müssten sich die beiden erst versöhnen. Als Mitglied des alten Bundestages hat Czaja jüngst gegen die Grundgesetzänderung zu Schuldenbremse und Sondervermögen gestimmt.Placeholder image-5Claudia PechsteinIhr Auftritt beim CDU-Grundsatzkonvent im Sommer 2023 sorgte für Ärger: Denn Claudia Pechstein sprach in ihrer Polizei-Uniform und musste, weil dies bei politischen Veranstaltungen nicht erlaubt ist, hierfür später 500 Euro Disziplinarstrafe zahlen. Die in Berlin-Marzahn Geborene ist nicht nur Deutschlands bisher erfolgreichste Eisschnellläuferin, sondern auch Polizeihauptmeisterin der Bundespolizei. Bei der Bundestagswahl 2021 trat sie für die CDU in Berlin-Treptow-Köpenick erfolglos gegen Gregor Gysi an.Empörte Reaktionen erntete Pechstein bei jenem Grundsatzkonvent auch für den Inhalt ihrer Rede. Sie kritisierte ausbleibende Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber und brachte dies in Zusammenhang mit einem Unsicherheitsgefühl in öffentlichen Verkehrsmitteln: „Hier für Verbesserung zu sorgen, sollte uns grundsätzlich hundertmal wichtiger sein, als darüber nachzudenken, ob wir ein Gender-Sternchen setzen, oder ob ein Konzert noch deutscher Liederabend heißen darf, oder ob es noch erlaubt ist, ein Zigeunerschnitzel zu bestellen.“ Für einen Posten als Ministerin wird es wohl kaum reichen, aber als Staatssekretärin wäre sie mit solchen Ansichten durchaus kompatibel mit konservativen Anwärtern auf das Bundesinnenministerium wie Alexander Dobrindt (CSU) oder Thorsten Frei (CDU).Placeholder image-3Kathrin MichelDrei Kinder und immer in Vollzeit gearbeitet: Die gelernte Industriekauffrau und studierte Personalmanagerin Kathrin Michel stammt aus der Lausitz. Sie setzt sich für eine gerechte Transformation in der Kohle-Region ein, als Gewerkschafterin der IG BCE, als Betriebsrätin, seit 2021 als sozialdemokratische Abgeordnete des Bundestages aus dem Wahlkreis Bautzen. Gelernt und gearbeitet hat sie im Chemiewerk in Schwarzheide, bevor und nachdem das einstige VEB 1990 durch die BASF von der Treuhand übernommen wurde.Transformationskompetenz sollte in diesen Zeiten des Umbruchs für ein Bundeskabinett ja durchaus gefragt sein. Michel kennt sich zudem mit Geld aus: Die Chefin und Bundeswahl-Spitzenkandidatin der sächsischen SPD war zuletzt ordentliches Mitglied des Haushaltsausschusses und des Bundesfinanzierungsgremiums, welches für die parlamentarische Überwachung des Schuldenwesens des Bundes zuständig ist.Placeholder image-9Gesine GrandeMit der Transformation in der Lausitz kennt sich auch Gesine Grande aus. Sie ist seit 2020 Präsidentin der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg (BTU) und firmiert als erste ostdeutsche Frau, die eine staatliche Universität in Deutschland leitet: Die Psychologin und Gesundheitswissenschaftlerin wäre eine Bundeswissenschaftsministerin aus der Praxis.Schon als Rektorin der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur ihrer Heimatstadt Leipzig reformierte sie erfolgreich Studiengänge und Fakultätsstrukturen. Die BTU stand bei sinkenden Studierendenzahlen vor einer ungewissen Zukunft, nun entwickelt sie Grande zu einem internationalen Spitzenstandort der Wissenschaft, auch weil die Universität „Motor“ des Wandels nach dem Kohleausstieg sein soll und davon profitiert, dass 40 Milliarden Euro aus dem Strukturstärkungsgesetz in die Kohleregionen fließen.Grande, Jahrgang 1964, sagte jüngst in einem rbb-Interview: „Ich glaube wirklich, es ist keine Absicht, dass Ostdeutsche nicht vorkommen, sondern es hat einfach niemand daran gedacht“. Seither sensibilisiert sie in gesamtdeutschen Diskursen für dieses Defizit. Ihr BTU-Vorgänger Jörg Steinbach wurde 2018 Brandenburgs Wirtschaftsminister.Placeholder image-7Rasha NasrAls die FAZ Anfang März die SPD-Bundestagsabgeordneten aufzählte, die sich mit einer Wahl von CDU-Chef Friedrich Merz zum Bundeskanzler schwertun, fiel auch ihr Name: Die Dresdnerin Rasha Nasr, Jahrgang 1992, arbeitete als Asyl- und Integrationsbeauftragte der Stadt Freiberg, bevor sie 2017 der SPD beitrat. Seit 2021 ist sie Mitglied des Bundestages und saß in der vergangenen Legislatur in dessen Ausschuss für Arbeit und Soziales. Ihre Eltern waren 1986 aus Syrien in die DDR eingewandert.Nasr empörte sich zuletzt über die Kleine Anfrage der Unions-Fraktion zur staatlichen Förderung von Nichtregierungsorganisationen und Friedrich Merz‘ Migrations-Abstimmung mit der AfD im Januar. Doch wenn der designierte Bundeskanzler seinen Machiavelli gelesen hat, dann lässt er seine schärfsten Kritikerinnen von Anfang an einbinden. Placeholder image-8Till BackhausDieser Mann ist der am längsten amtierende Minister Deutschlands: Till Backhaus gehört in Mecklenburg-Vorpommern seit 1998 jedem Kabinett an, die Landwirtschaft ist sein Metier. Auf das zugehörige Ministerium erhebt die CSU Anspruch. Doch der Wunschkandidat von deren Chef Markus Söder, Bayerns Bauernpräsident Günther Felßner, hat zurückgezogen, nachdem Tierschützer brachial auf seinem Hof protestierten. Die SPD könnte dieses Vakuum nutzen und Backhaus ins Rennen schicken.In den Koalitionsverhandlungen mit der Union war er Mitglied der AG Ländliche Räume, Landwirtschaft, Ernährung, Umwelt. Backhaus, ein enger Freund der SPD-Ikone Regine Hildebrandt, war Abteilungsleiter einer LPG mit mehr als 6.000 Hektar und bezeichnet die Privatisierung ostdeutscher Agrarflächen nach 1990 als großen Fehler. Immerhin soll, was von diesen Flächen noch übrig ist, laut Entwurf des neuen Koalitionsvertrags nun an die Bundesländern übertragen werden, freute sich Backhaus jüngst beim Bauerntag in Mecklenburg-Vorpommern.