Die Rede des Bundespräsidenten wurde angekündigt als eine Art Rede an die Nation, und das war auch ihr Charakter. Eine wichtige Rede, in der Frank-Walter Steinmeier nicht nur die Erinnerung an den Auftritt eines früheren Bundespräsidenten aufkommen ließ – die „Ruck-Rede“ des CDU-Politikers Roman Herzog am 26. April 1996 –, sondern auch an die berühmten, schrecklichen Worte Winston Churchills, des britischen Premiers, am 13. Mai 1940: „Ich habe nichts zu bieten außer Blut, Mühsal, Tränen und Schweiß.“

Was Steinmeier sagte, lag in der Mitte dieser Texte. Hatte Herzog gesagt: „Wir müssen Abschied nehmen von liebgewordenen Besitzständen, vor allen Dingen von den geistigen, von den Schubläd

Die Rede des Bundespräsidenten wurde angekündigt als eine Art Rede an die Nation, und das war auch ihr Charakter. Eine wichtige Rede, in der Frank-Walter Steinmeier nicht nur die Erinnerung an den Auftritt eines früheren Bundespräsidenten aufkommen ließ – die „Ruck-Rede“ des CDU-Politikers Roman Herzog am 26. April 1996 –, sondern auch an die berühmten, schrecklichen Worte Winston Churchills, des britischen Premiers, am 13. Mai 1940: „Ich habe nichts zu bieten außer Blut, Mühsal, Tränen und Schweiß.“

Was Steinmeier sagte, lag in der Mitte dieser Texte. Hatte Herzog gesagt: „Wir müssen Abschied nehmen von liebgewordenen Besitzständen, vor allen Dingen von den geistigen, von den Schubläden und Kästchen, in die wir gleich alles legen. Alle sind angesprochen, alle müssen Opfer bringen, alle müssen mitmachen“, so stand ihm doch kein Krieg vor Augen, sondern er bereitete auf den Abbau des Sozialstaats vor. Der wird sich auch heute kaum vermeiden lassen. Aber während Churchill vom Krieg gegen sein Land sprach, versicherte Steinmeier erneut, in den Ukraine-Krieg werde sich unser Land nicht hineinziehen lassen.

Eine wichtige, aber keine ‚große‘ Rede, stattdessen ein arg widersprüchlicher Text, der zeigt, dass unsere politische Klasse keiner klaren Linie mehr folgt. Dass wir angesichts des Ukraine-Kriegs „im Konflikt leben“, wobei uns auch kein „Rückenwind“ mehr stützt, wir vielmehr jahrelang „Einschränkungen hinnehmen“ müssen, ist die Hauptaussage. „Wir müssen konfliktfähig werden“, damit will Steinmeier aber nicht gesagt haben, dass wir eine „Kriegsmentalität“ brauchen. Schon allerdings gehört eine starke Bundeswehr dazu, „zuallererst“ sogar, und dass die Gesellschaft, die den Rückenwind selbst verloren hat, nun ihr „den Rücken stärkt“. Denn wir haben es mit „dem Bösen“ zu tun, und das Böse darf nicht mit einem „vermeintlichen Frieden“ belohnt werden. Was Russland angeht, ist „kein Platz“ mehr „für alte Träume. Unsere Länder stehen heute gegeneinander.“ Und in Zukunft? Ein neues Miteinander? Danach sieht es nicht aus, denn Steinmeier stellt ganz generell fest, „dass wir von alten Hoffnungen Abschied nehmen müssen“. Der „Abbruch von Kontakten“, von dem er auch spricht, ist wohl nicht nur zeitweilig.

Widersprüche in Steinmeier-Rede

Zumal sich, ganz unvermittelt, China in diesen Text über das „Böse“ und unsere „Konfliktfähigkeit“ mischt. Das ist eine verräterische Passage: „Der russische Angriff ist ein Angriff auf alle Lehren, die die Welt aus zwei Weltkriegen gezogen hatte.“ „An die Stelle des Austauschs, der Suche nach Verbindendem tritt mehr und mehr das Ringen um Ideologie und Dominanz. Chinas wirtschaftlicher und politischer Machtanspruch ist darin ein wichtiger Faktor. Dieses Ringen wird die Zukunft der internationalen Beziehungen auf Sicht prägen. Die traurige Wahrheit ist leider: Die Welt ist auf dem Weg in eine Phase der Konfrontation“.

Mit China nicht zuletzt? Und das alles soll keine Kriegsmentalität sein? Hoffen wir, dass es keine ist. Aber sicher kann man sich dessen nicht sein.

Die totale Widersprüchlichkeit des Textes macht da sogar Hoffnung, auch wenn Steinmeier „alte Hoffnungen“ verabschieden will. Denn er fährt fort: „Die Welt ist auf dem Weg in eine Phase der Konfrontation – obwohl sie doch dringender denn je auf Kooperation angewiesen wäre.“ Das ist sie in der Tat, und der Bundespräsident weiß es genau. Aber was er dazu sagt, passt zum Vorigen wie das Auge zur Faust: „Und weil der Klimawandel in der Welt nur gemeinsam abgewendet werden kann, müssen wir auch dafür Sorge tragen, dass es in Zukunft weiterhin Institutionen und Kooperationen geben wird, die über die wachsenden geopolitischen Gräben hinausreichen. Eine neue Blockkonfrontation, eine Zweiteilung der Welt in ‚wir gegen die‘ ist nicht in unserem Interesse.“ Unser Interesse ist vielmehr „der Dialog zwischen Verschiedenen und das Werben um Partner, die anders sind als wir. Das ist keine Stilfrage – es ist eine Überlebensfrage.“

Er hätte auch sagen können: Das ist keine militärisch zu beantwortende Überlebensfrage. Dann ist also nicht „zuallererst“ an die Bundeswehr zu denken, wie er vorher behauptet hat. Er glaubt selbst nicht daran, will es sich aber nicht eingestehen.

Rede von Steinmeier lässt Frieden aus

Und auch ehrlich ist er an dieser Stelle nicht. „Ich mache mir Sorgen, dass diese Menschheitsaufgabe“, der Klimawandel, „zu sehr in den Hintergrund gerät.“ Dorthin gerät sie aber, und es geschieht nicht von selbst, sondern folgt aus den Taten der politischen Klasse. Und dann appelliert er noch an die Jüngeren, die Älteren nicht zu verdammen: Sie haben zwar die Ökologie ruiniert, aber auch sie haben doch für ihre Kinder und ihr Land“ etwas „getan“. „Auf uns Ältere, auf meine Generation“ kommt „jetzt“ eben „die Aufgabe zu, selbst spät im Leben das Gewohnte noch einmal zu überdenken“. Das sagt der Mann, der unter Gerhard Schröder Kanzleramtschef war und schon damals sehr genau wusste, welches Menetekel von Ökologen und Ökologinnen an die Wand gemalt wurde. Und der jetzt vom „Abbruch der Kontakte“ spricht. „Ich mache mir Sorgen“ – als würde die Politik von der politischen Klasse nur beobachtet.

Was diese Rede auslässt, ist das Wichtigste an ihr: Sie lässt den Frieden aus. Friede allein könnte ja den schreienden Widerspruch überwinden, dass wir einerseits unsere „alten Hoffnungen“ auf Zusammenarbeit aufgeben sollen, weil wir nun „gegeneinander“ stehen, und andererseits das „Werben um Partner, die anders sind als wir“, eine „Überlebensfrage“ ist. Aber dazu sagt der Bundespräsident nur, dass „ein ungerechter Friede keine Lösung ist“. Wohl wahr! Aber nicht zu sagen, wie ein gerechter Friede aussähe, und sich für ihn nicht einzusetzen, ist das eine Lösung? Nein, es ist unverantwortlich.

Steinmeier hat seiner Rede den Titel „Alles stärken, was uns verbindet“ gegeben. Wir sollten das nicht abtun. Denn die Zeiten sind wirklich ernst genug, darin hat er recht. Es ist (noch) nicht die Zeit, unserer Staatsführung Heuchelei vorzuwerfen. Wir sagen besser, sie bewegt sich in Widersprüchen. Nur, die Widersprüche müssen aufgelöst werden, und zwar bald. Dafür, aber nur dafür, kann sie mit unser aller Hilfe rechnen.



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Von Veritatis

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