Wenn ein Kriminalroman mit dem Titel Solothurn blickt in den Abgrund daherkommt, macht das natürlich neugierig. Wie soll dieses ganz in sich ruhende, in den Grundfesten beschauliche, im Kernland der Schweiz liegende Städtchen mehr Fallhöhe als den Blick von der Kreuzackerbrücke in die Aare kennen? Wo sollten denn hier Abgründe gähnen?

Oder gerade hier? Hinter den sauberen Fassaden? Vielleicht gedeihen ja hinter gutschweizerischer Aufgeräumtheit und Diskretion Chaos, kaltblütige Gewalt, Willkür und aus Gier geborene Boshaftigkeit besonders prächtig?

Genau hier setzt Christof Gassers Kriminalroman an. Und das mit ziemlich vielen Protagonisten, die teils auf spektakuläre Art vom Leben zum Tod verbracht werden. Die Luft in Solothurn ist durchaus bleihaltig, und das hat, wir ahnen es, mit der grundsätzlichen Verderbtheit der restlichen Welt zu tun.

Wir treten damit ein in einen Kosmos von international mehr oder weniger elegant agierenden Profikillern, windigen Lokalpolitikern und einem schwer bewachten Pharmazie-Zulieferer mitten im Wasseramt, einer der schönsten Landschaften im Kanton. Christof Gasser, dessen Romane stets Solothurn als Schauplatz in Szene setzen und regelmäßig auf Schweizer Bestsellerlisten auftauchen, kennt sich spürbar gut aus in der Gegend und mit der Mentalität der Alteingesessenen. Gerade deshalb ist es umso überzeugender, wenn sich im Laufe der zügig, fast schon in „hard boiled“-Manier vorangetriebenen Handlung mehr und mehr der Gedanke verfestigt, dass es mit der solothurnischen Beschaulichkeit und Aufgeräumtheit vielleicht doch nicht so weit her ist und dass hier die Mühlräder einer ganz und gar unerfreulichen, jedoch sehr machtvollen und weltweit agierenden Dynamik am Mahlen sind. Denn Gassers sehr gut konstruierte Story führt direkt ins finstere Herz totalitärer Systeme, welche, seien sie auch noch so weit von der schönen Schweiz entfernt, eben doch, mittels unerschöpflicher finanzieller Ressourcen und moralischer Schmerzfreiheit, direkten Einfluss auf die Politik des Landes nehmen können. Das erinnert dann frappant an die Verhaltensmuster so mancher Staaten in jüngster Vergangenheit. Es sind eben nicht die Schurken, die sich durch Handel wandeln, es sind wir, die wir durch den Handel mit ihnen zu Schurken werden. Fische stinken immer vom Kopf her. Wladimir Putin hat es vorgemacht. Es war nicht ein wie immer geartetes System, das ihn angesichts der Verantwortung zu einem Staatsmann geformt hat. Er hat sich das System einverleibt und einen ganzen Staat zu einer gut funktionierenden Verbrecherorganisation umgebaut. Handelspartner werden von diesen Strukturen aufgesogen und verschwinden in ihnen. Dass nun selbst nach den jüngsten Erfahrungen per Kanzlermachtwort und Kabinettskompromiss eine Beteiligung des chinesischen Staatsbetriebs COSCO an einer Terminalbetriebsgesellschaft im Hamburger Hafen ermöglicht wird, macht sprachlos.

Keine falsche Swissness

Mitten in den Solothurner Verwerfungen findet sich ein gestandener Polizist mit einem coolen Team, der, je weiter die Untersuchung eines Brandanschlages auf eine in Solothurn ansässige Frauenrechtsorganisation voranschreitet, vom berühmten „Ganz-oben“ gegängelt und gestoppt wird. Gasser lässt sich dabei gerne von realen Begebenheiten inspirieren. Von dem Kashoggi-Mord bis hin zu der Flucht einer Prinzessin aus Dubai fließen reale Begebenheiten geschickt montiert in die Story ein. Das ist erfrischend zupackend erzählt und verzichtet vollständig auf falsche Swissness, wie sie etwa bei Martin Suter immer wieder so unangenehm anbiedernd aufscheint.

In Gassers Welt sind die neurechten Politikakteure genauso verkommen, haftet ihnen genauso die Aura von Gebrauchtwagenhändlern an wie im ganzen Rest von Europa. Auch manifestiert sich ihre Dummheit in derselben selbstherrlichen Siegesgewissheit wie in den Melonis, Salvinis, Höckes, Straches und Trumps der echten Welt. Gasser baut dabei ein regelrechtes Triumvirat der Niedertracht auf und lässt es … halt! Mehr darf nicht verraten werden.

Das Erschreckende an Solothurn blickt in den Abgrund ist dieser beinharte Realismus. Alles ist nachvollziehbar und plausibel, obwohl wir es mit wirklich sinistren Gestalten zu tun haben, obwohl so oft von der Schusswaffe Gebrauch gemacht wird, obwohl hier so gut wie alle Insignien eines James-Bond-Films auftauchen. Sobald offenbar die Interessen von totalitären Herrschern ins Spiel kommen, verlängern sich deren Blutspuren bis weit außerhalb der Gefängnisse, in denen ihre politischen Gefangenen darben.

Dabei legt Gasser ziemlich gekonnt falsche Fährten und kann dabei mit mehr als einer unerwarteten Wendung auftrumpfen. Dazwischen ist auch Platz für familiären und persönlichen Knatsch des Polizeihauptmanns Dornach, was die Betroffenheit über die unausweichliche Zuspitzung des immer weitere Kreise ziehenden Falls nur noch verstärkt.

Grundsolide Erzählkunst

Der Roman schafft tatsächlich ein Bewusstsein dafür, dass es keine Insel der Seligen gibt, für die die Schweiz oft gehalten wird und was sie in ihrer Selbstdarstellung immer wieder beschwört. Wer alles dafür tut, um Geld anzuziehen, muss damit rechnen, selbst wenn er es noch so konsequent verdrängt, dass dieses Geld vor Blut nur so trieft. Von den realen Briefkastenfirmen in Zug, einem anderen so beschaulichen Städtchen in der Schweiz, über das mehr oder weniger der gesamte Rohstoffhandel mit Russland, mit wem auch immer, abgewickelt wird, bis zum Umgang mit Raubkunst in Museums-Flaggschiffen, wie dem Kunsthaus Zürich, sieht sich die Schweiz eigentlich dauernd mit Abgründen konfrontiert, blendet das aber in einem kollektiven Kraftakt so gut es geht aus. Doch irgendwann bricht die Wahrheit immer heraus, wenn auch mitunter in Form von schwerst misshandelten Leichen in Waldstücken.

Christof Gassers Krimi stößt eine gut verrammelte Tür auf und dank grundsolider Erzählkunst können wir nun mit Neugier und wohligem Schauer in den Abgrund blicken, in den so viele andere gezwungen werden hineinzuschauen, wenn sie nicht sogar hineingeworfen werden.

Solothurn blickt in den Abgrund Christof Gasser Emons Verlag 2022, 352 S., 16 €



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Von Veritatis

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