Auf den ersten Blick ist, das, was am heutigen Freitag als Premiere auf dem Spielplan der Chemnitzer Oper steht, ein Tiermärchen. „Das schlaue Füchslein“ von Leoš Janácek (1854 – 1928). Aber, so ist Regisseur Joan Anton Rechi überzeugt, hinter dem Stoff aus der Feder von Rudolf Tesnohlídek steckt mehr. Die fabel-hafte Geschichte von der jungen Füchsin, die, von einem Förster gefangen, mit anderen Haustieren gemeinsam aufwächst, sich schließlich befreit, im Wald ein eigenständiges Leben führt, Kinder gebiert und trotz ihres Todes durch einen Wilderer ein glückliches Ende findet, weil sie ihre Lebenskraft längst an die nächste Generation weitergegeben hat, holt der Mann aus Andorra ganz in die Menschenwelt.
Von der handelt die Fabel seiner Ansicht nach ebenso wie nach allgemeiner Auffassung George Orwells Erzählung „Farm der Tiere“ ein durch und durch „menschliches“ Sujet ist. Einen aktuellen Zugang zum Stoff der 1924 in Brno uraufgeführten Oper fand Rechi über Medienberichte, laut denen die Zahl der depressiven Erkrankungen junger Mädchen an der Schwelle zum Erwachsensein drastisch zugenommen hat – als Reaktion auf die kritischen Entwicklungen der vergangenen Jahre, Pandemie, Klimakrise, Ukraine-Krieg mit Wirtschaftskrise im Gefolge.
In seiner Deutung ist das Füchslein solch ein depressives Mädchen, das „sich vor eben diesem Schritt in die Adoleszenz fürchtet, am liebsten zu Hause die Bettdecke über den Kopf ziehen würde, weil sich die Welt da draußen anfühlt wie ein bedrohlicher Ort“, sagt er. Mit all den dort anstehenden Entscheidungen zu den Fragen, welchen Platz man in der Gesellschaft einnehmen will, was Beruf angeht, Partnerwahl, Sexualität, Religion. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.
In aller Konsequenz verlegen Rechi und sein Ausstatter Sebastian Ellrich die Handlung der Oper in eine psychiatrische Klinik. Der Ausbruch des Füchsleins in die weite Welt, für die bei Janácek der Wald als Metapher steht, wird vor diesem Hintergrund zu einer Traumsequenz. Schauplatz: Ein Ort, an dem alles passieren kann, ähnlich wie die Funktion, die der Wald in Shakespeares „Sommernachtstraum“ einnimmt. Das Ende der Oper ist sehr dazu geeignet, in einer schweren Zeit wie dieser Hoffnung zu geben.
Janácek und seine Bühnenwerke sind relativ selten auf Spielplänen deutscher Theater zu finden. Eine Rarität sind sie gleichwohl nicht. Die letzte Janáček-Oper in Chemnitz, ebenfalls das „Schlaue Füchslein“ in der sehr naturalistisch gehaltenen Inszenierung von Sabine Sterken mit Jana Büchner in Titelpartie und Fuchskostüm, liegt mittlerweile 21 Jahre zurück. Das war im Jahr 20 der Intendanz von Rolf Stiska.
Rechi verehrt nach eigener Aussage das Werk Janáceks. Speziell das „Schlaue Füchslein“, das übrigens in der laufenden Saison auch noch in Frankfurt (Main), Gelsenkirchen, München und Schwerin auf dem Spielplan steht, hat er schon in mehreren Fassungen gesehen. Gleichwohl ist es das erste Mal, dass der ursprünglich vom Schauspiel kommende, heute im Wesentlichen an Opernhäusern in aller Welt wirkende Regisseur die Partitur eines Bühnenwerks des mährischen Tonsetzers auf dem Pult hat. Geht es nach ihm, soll es nicht das letzte Mal sein: „Ich würde gerne mal ,Die Sache Makropoulos‘ inszenieren“, sagt er.
Zunächst aber wird, neben der hoffentlich erfolgreichen Premiere am Freitag im Chemnitzer Opernhaus, ein anderer Herzenswunsch Rechis wahr. Ab 4. Februar 2023 kehrt seine Inszenierung von Wagners „Lohengrin“ mit insgesamt fünf Aufführungen in das Haus am Theaterplatz zurück. Sein Chemnitzer Regiedebüt, ebenfalls in Kooperation mit Ausstatter Sebastian Ellrich, hatte am 25. Januar 2020 Premiere gefeiert und erlebte dann im Februar noch zwei Aufführungen, bevor das Coronavirus das öffentliche Leben auf Dauer herunterfuhr. Höchste Zeit, dass noch ein paar Leute das Werk zu sehen bekommen.
Die Oper „Das schlaue Füchslein“ feiert am heutigen Freitag, 19 Uhr, Premiere in der Oper Chemnitz. Weitere Vorstellungen am 25. November, 22. Dezember 2022, 14. Januar, 10. und 31. März sowie 7. Mai 2023. » theater-chemnitz.de