Freie Presse: Wie zum Beispiel?

Kaulitz: Heute wäre es nicht mehr ganz so angesagt, 15-jährige Jungs mit Flaschen zu bewerfen, wenn einem deren Musik nicht gefällt. Das würde heute wohl nicht mehr durchgehen. Damals haben wir extreme Situationen erlebt. Als der Erfolg einsetzte, waren wir im Prinzip nur noch mit Security unterwegs. Viele, viele Jahre kannten wir nichts anderes und waren unglaublich abgeschottet. Das hat natürlich etwas mit einem gemacht und Erinnerungen hinterlassen, die nicht immer positiv sind. Grundsätzlich war es aber auch eine unglaubliche Zeit. Wir sind vier Jungs, die aus Magdeburg kommen und sich nie haben erträumen lassen, einmal mit einem Song so richtig durchzustarten. Wir haben bis heute das Privileg, international zu touren. Wir freuen und jetzt schon auf unsere Europatour, die nächstes Jahr im April startet.

Freie Presse: Kam es bei Ihren frühen Konzerten auch mal zu Verletzungen?

Kaulitz: Gott sei Dank nie zu ernsthaften Verletzungen, aber es gab wahnsinnig viele gefährliche Situationen. Darüber könnte ich wahrscheinlich eine ganze Stunde sprechen. Wir haben damals ein sehr isoliertes Leben in unserer eigenen Blase geführt, aber wir sind da heil rausgekommen, weil wir zu viert waren und wie Brüder aufgewachsen sind. Da unsere Realität anders war als bei den meisten Kindern und Jugendlichen, war es wichtig, dass wir uns gegenseitig hatten.

Freie Presse: „Happy people make me said“, heißt es in dem ironischen „Happy People“, einem „Feel-Good-Song für alle Außenseiter“. Sind gespielt fröhliche Menschen typisch für die Musikwelt, in der Sie sich bewegen?

Kaulitz: Ja. Das gilt aber nicht nur für die Musikwelt. Wir beobachten allgemein eine Welt, die nicht immer echt und authentisch ist. Gerade wenn man ein bisschen down ist, kann das einen noch mehr runterziehen. Ich glaube, das, was Bill in dem Text beschreibt, können viele Leute nachvollziehen.

Freie Presse: Warum ist Ihre Musik eigentlich so melancholisch?

Kaulitz: Das kommt daher, dass Bill und Gustav eher melancholisch und Georg und ich halt die positiven Typen in der Band sind.

Freie Presse: Und diese Pole befruchten sich gegenseitig?

Kaulitz: Eigentlich sind wir alle positive Typen, aber Bill, der bei uns hauptsächlich die Texte schreibt, hat auch eine andere Seite. Er war schon immer extrem nachdenklich. Als er etwas zwölf Jahre alt war, schrieb er den Song „Leb‘ die Sekunde“. Aus heutiger Sicht ist das ein wahnsinnig tiefgründiger, melancholischer Text. Ich weiß gar nicht, wie unsere Musik klänge, wenn Bill immer glücklich wäre. Am liebsten gehe ich mit ihm ins Studio, wenn er nicht so gut drauf ist, weil er dann die besten Songs schreibt.

Freie Presse: Machen Sie heute bewusst Musik für Erwachsene?

Kaulitz: Wir machen Musik für alle, die einen guten Geschmack haben. Wir hatten nie vor, für eine bestimmte Zielgruppe zu schreiben.

Listing: Wir haben das große Privileg, dass wir in erster Linie Musik machen, die wir selbst lieben und fühlen und auch gern hören, wenn wir mal traurig sind. Und dann hoffen wir, dass sie auch noch ein paar anderen Menschen da draußen gefällt.

 

Freie Presse: Sie haben zu dem Song „Happy People“ einen Tanz einstudiert. Ist Ihnen das Tanzen in die Wiege gelegt?

Kaulitz: Mir persönlich ja, Georg weniger. Ich habe selbst den schwierigsten Tanz innerhalb von einer Minute erlernt.

Listing: Toms großer Traum ist, einmal im Leben von „Let’s Dance!“ angefragt zu werden und eine Staffel mitzumachen. (lacht)

Kaulitz: Die Wahrheit ist, dass ich oft als Coach angefragt werde. Dass ich denen hinter den Kulissen allen mal beibringe, wie das richtig geht.

Freie Presse: Auf Instagram kann man sehen, dass Heidi Klum auch zu „Happy People“ tanzt. Ist sie selbst ein großer Tokio-Hotel-Fan?

Kaulitz: Ich meine, anders geht es ja wohl gar nicht. Meine Frau muss natürlich die Musik lieben, die ich mache. Das versteht sich von selbst. Dieser Tanz war ein ganz spontanes Ding. Wir waren bei Daði Freyr in L.A. zum Konzert eingeladen, der ja Featuring-Artist ist auf dem Song „Happy People“. Eigentlich wollten wir die Nummer spontan auf der Bühne performen, aber leider haben wir uns dann nur Backstage getroffen und ich habe kurz mal gezeigt, wie dieser Tanz geht.

Freie Presse: Welche Einstellung braucht man, um es als Fremder in Los Angeles zu schaffen?

Kaulitz: L.A. ist überschwemmt mit Leuten, die große Träume haben und dann auf die harte Realität treffen. Es ist eine unglaublich teure und harte Stadt. Viele talentierte Künstler haben teilweise zwei, drei Jobs, um sich hier über Wasser zu halten, weil sie es nicht schaffen, auf kreative Weise zu überleben.

Listing: Man trifft dort fast niemanden, der in L.A. geboren und aufgewachsen ist.

Kaulitz: Das ist auch das Schöne an L.A. Man trifft Leute aus aller Welt, die hier hinkommen, weil sie Ziele und Träume haben. Nur ein ganz kleiner Prozentsatz von denen schafft es auch wirklich.

Freie Presse: Herr Listing, wie schauen Sie aus der Ferne auf Los Angeles?

Listing: Ich besuche die Jungs immer gerne in L.A., aber meine absolute Wahlheimat ist Berlin. Mir ist L.A. einfach zu groß und zu laut.

Kaulitz: Zu schönes Wetter, zu coole Restaurants! Georg mag es einfach im regnerischen Berlin!

Listing: Nee, mir sind in L.A. einfach zu viele happy People unterwegs, um es mit unserem Song auszudrücken.

Freie Presse: Viele Menschen in Deutschland und Europa machen sich derzeit Sorgen um das Fortbestehen der US-amerikanischen Demokratie. Wie fühlt es sich an, in diesen Zeiten in Amerika zu leben?

Kaulitz: Ehrlich gesagt genauso wie im Rest der Welt. Die Midterm-Wahlen liefen ja für die Demokraten besser als vorausgesagt. Ich kann nicht sagen, dass unser Leben von Angst bestimmt ist, das war es noch nie und wird es hoffentlich auch nie sein. Wir sind grundsätzlich Optimisten und wollen weiterhin positiv in die Zukunft schauen. Letztendlich vertraue ich immer auf die Vernunft der Menschen.

Freie Presse: Haben Sie nach über 20 Jahren Tokio Hotel noch Träume?

Kaulitz: Auf jeden Fall. Wir haben Träume, die hoffentlich in näherer Zukunft auch erfüllt werden. Das sind Großprojekte, von denen wir noch nichts verraten dürfen. Wir würden auch gern mal wieder in Asien unterwegs sein.

Freie Presse: Herr Kaulitz, in Ihrem Podcast „Kaulitz Hills“ haben Sie über die Idee gesprochen, das ehemalige Gefängnis Salinenmoor in Celle bei Hannover zu kaufen, um da da einen Nachtklub, ein Restaurant oder ein Hotel draus zu machen. Besteht dieser Plan noch?

Kaulitz: Das sind eher private Pläne, da haben wir unglaublich viel vor. Ich will zum Beispiel eine Bäckerei, einen Club und einen Weihnachtsmarkt aufmachen. Das mit der JVA in Celle war zuerst ein Witz, aber Bill und ich wollten schon immer mal einen Nachtclub haben. Wer regelmäßig „Kaulitz Hills“ hört, weiß, dass wir gerne mal feiern. Wir können uns auch vorstellen, ein eigenes Tokio Hotel aufzumachen. Das beste Hotel der Welt gepaart mit der besten Musik der Welt. Sie merken schon, es gibt viele Pläne.


Im Konzert Tokio Hotel kommt unter anderem am 17. Mai 2023 ins Haus Auensee nach Leipzig. Karten gibt es in allen „Freie Presse“-Shops in Ihrer Nähe.



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Von Veritatis

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