Stadtplanung Grüne und Linke stellen sich gegen Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt und die SPD. Es geht um die Frage, in welchem Stil in Berlin künftig gebaut wird – und vor allem: Für wen?
So malte Hans Baluschek 1929 den Molkenmarkt. Ist hübsch anzusehen, aber sind diese Fassaden – und was dahinter steckt – zeitgemäß?
Abbildung: Märkisches Museum, Berlin/AKG-Images
Irgendwo muss man anfangen – warum nicht bei Octavio Paz? Der hat in einem Gedicht notiert: „Stadt / ein Haufen kaputter Worte.“ Seine Aufzählung von Eindrücken ist ein abgesonderter Blick des Surrealismus: Wind blättert in staubigen Ecken durch alte Zeitungen, die Stadt mischt Erinnerungen, Stimmen, Handwerkerpfeifen zu einem Blätterwald aus Tönen. Octavio Paz hat nicht über Stadtentwicklung in Berlin gedichtet, obschon – diese Pointe kommt zugegeben flach daher – Surrealismus da manchmal richtig wäre. Und kaputt gemacht wird gerade auch einiges.
Katalin Gennburg ist Abgeordnete der Linkspartei im Berliner Abgeordnetenhaus und Sprecherin für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen. Ihre Partei koaliert mit Grünen und SPD
en und SPD, sie regieren Berlin. Gennburg hat sich an einem kalten Tag Zeit für ein Gespräch genommen und hat danach noch einen interessanten Termin: Als Vertreterin der Linken trifft sie sich mit der Senatsbaudirektorin, die den Koalitionssprecher*innen sechs Wochen nach einer weitreichenden Entscheidung ein einstündiges Treffen eingeräumt hat. Nicht früher und nicht mehr.Eine Stadt, ihre Möblierung, die Mischung ihrer Bewohner*innen, Verkehrsplanung, Nachhaltigkeit, schüttelt man selten vom Wunschbaum. Aber so eine politische Konstellation wie in Berlin könnte bei grundlegenden Fragen zur Richtung Begriffe wie „sozial“ und „ökologisch“ als Muster verwenden. Irrtum, korrigieren einen etliche berufene Menschen. Das habe viel mit den Sozialdemokraten zu tun, sagt Katalin Gennburg. Sagt einen Tag später auch ihr Sprecherkollege von den Grünen, Julian Schwarze.All das kann man sich in Berlin-Mitte anschauen, hier lebten 1993 noch sehr viele Menschen mit den niedrigsten Einkommen der Stadt und wurden sehr schnell von denen mit den höchsten verdrängt. Seit einer Weile wird im Bezirk vor allem im Luxus-Segment gebaut, ganze Straßenzüge sind Wohlstandswüsten. In einem etwas schäbigen Teil von Mitte liegt der Molkenmarkt, historisches Stadtzentrum, größtes innerstädtisches Baugebiet. DDR-Planer hatten hier eine Asphaltschneise gegraben, Zeichen der Dominanz des Automobils über Lebensqualität, ein Laufsteg für Individualverkehr. Darüber, wie die Stadt damit umgehen will, überhaupt, wie eine Innenstadt aussehen, wer hier leben soll, ist ein heftiger Streit ausgebrochen. In dem geht es um vieles, was unter der Oberfläche der Stadt gärt. Um ihn zu verstehen, müssen wir uns ein paar Dingen auf dem Millimeterpapier zuwenden.Erstes Problem: Der Molkenmarkt muss widerstrebende politische Forderungen vereinen. Der Bebauungsplan, noch von einer Großen Koalition abgesegnet, wollte eine kleinteilige Parzellierung nach historischem Vorbild. Also auch Häuser, die keine vier Meter breit sind. Das bedeutet erhebliche Probleme, zum Beispiel: viele Treppenhäuser und Aufzüge, sehr teures Bauen. Als die Linken mit der SPD den Senat übernahmen, bekam der Molkenmarkt Leitlinien – jetzt wurde festgeschrieben, dass landeseigene Wohnungsbaugesellschaften öffentliches Land entwickeln sollten, es ging um Klima, Vielfalt, um erschwingliche Mieten. Die Präambel spricht vom „Gedanken eines kooperativen Stadtquartiers“, stellt das gegen die „Ästhetisierung des Raumes“.Sie änderte die SpielregelnNächstes Problem: die neue Senatsbaudirektorin der SPD. Petra Kahlfeldt, geboren in Kaiserslautern, Architektin und Professorin mit Schwerpunkt Denkmalpflege und Baukonstruktion im Bestand. Sie ist gut vernetzt in einem Kreis um ihren Vorvorgänger Hans Stimmann, hat lange mit Tobias Nöfer zusammengearbeitet, der für die SPD Städtebauthemen in der Koalition verhandelte. Als Architekt bevorzugt er eine massive Formensprache mit Natursteinfassaden.Kahlfeldts Ernennung wurde in Berlin von offenen Briefen und Kritik begleitet, genaue Beobachter stellten fest, dass sie viele teure Wohnhäuser entworfen hat, sich für die Privatisierung öffentlicher Grundstücke einsetzte. „Sieg der Berliner Traditionalisten“, trommelte die Berliner Zeitung. So wirkt auch ihr Engagement im Molkenmarkt-Wettbewerb. Zwei Entwürfe sollten in einem Werkstattverfahren weiterentwickelt werden. Einer – eingereicht vom Büro Albers/Malcovati – entsprach nicht den Leitlinien, aber dem Bebauungsplan, wollte den Blockrand schließen, füllte die teure Kleinteiligkeit aus, bot mehr Raum für kommerzielle Nutzung.Ein zweiter Entwurf von OS Arkitekter/Czyborra Klingbeil wollte lockerer bauen, erwog Sickermöglichkeiten für Regenwasser, mehr Grünflächen, öffentliche Innenhöfe, nachhaltigere Bebauung, ohne SUV erreichbar. Die Grundstücke sollten weiter der Stadt gehören. Der Entwurf nahm die Leitlinien ernst, entsprach dem Bebauungsplan weniger. Kahlfeldt, noch Professorin, hatte vehement für den ersten Beitrag argumentiert. Sie und Bernd Albers sind sich spätestens seit den 1990ern ständig über den Weg gelaufen. In Werkstätten wurden Bürger angehört, die Modelle überarbeitet. Die Jury sollte einen Sieger küren.Teilnehmer*innen der Sitzungen erzählen, dass Petra Kahlfeldt, jetzt Senatsbaudirektorin, gegen die Leitlinien opponierte. Gegen Bäume, Fassadenbegrünung oder Flächen für Stadtgrün und Versickerung. Ihr missfielen wohl landeseigene Wohnungsbaugesellschaften und partizipative Verfahren. Sie wollte, sagt zum Beispiel Matthias Grünzig, der als Bürger*innenvertreter dabei war, dass Altstadt wieder aussieht wie Altstadt: „Sie hat autoarme Straßen, Versickerungsmulden, Stauden und Bäume abgelehnt.“ Zum Schluss fand sie beide Überarbeitungen schrecklich. Grünzig hatte den Eindruck, dass Kahlfeldt zum Albers-Original zurückwollte. Zur historisierenden Kleinteiligkeit.Vielleicht weil sie sich damit nicht durchsetzen konnte, änderte sie die Spielregeln im laufenden Verfahren: Die Jury sollte in der abschließenden Sitzung plötzlich keinen Entwurf prämieren. Sondern, tja, nun, irgendwie beide. Oder keinen. Mit der Jury-Vorsitzenden verhinderte sie eine Abstimmung. Am Tag zuvor hatte jemand den Text auf der Webseite zum Verfahren umgeschrieben. Jetzt sollte nicht mehr ein Siegerentwurf bestimmt werden, „der anschließend als Grundlage für weitere Planungen“ dienen würde. Es sollte nur noch eine „schriftliche Empfehlung für die weitere Bearbeitung“ geben. Die Jury wusste von nichts, die Sitzung endete chaotisch.Seitdem erklärt Kahlfeldt, es gehe um „Beratungen“, sie habe „viel gelernt“. Sechs Wochen sind vergangen, als sie an diesem Montag nun im Abgeordnetenhaus plötzlich von „zwei Siegern“ spricht. Von einem Gestaltungshandbuch und einem Beirat für die nächste Planungsphase.„Eine Form von Trumpismus“Also, Katalin Gennburg, was für ein Stück wird da mit Unterstützung Ihres Koalitionspartners gegeben? Gennburg atmet scharf aus. Sie vermutet Chaos als Mittel, um missliche Entscheidungen abwenden, Sachzwänge durch die Senatsverwaltung produzieren zu können. „Das ist schon eine Form von Trumpismus. Hochgradig ideologiegetrieben, gegen demokratische Prozesse, ohne Verabredungen und im Alleingang.“Julian Schwarze sagt, dass es nicht nur um Baustil gehe. Sondern darum, für wen die Stadt baue. Ihm ist aufgefallen, dass in der SPD ein komischer Blick auf Menschen mit geringen Einkommen herrsche. Zu viele auf einem Haufen seien immer das Problem. „Aber viele Millionäre in Wannsee und Zehlendorf sind keines. Da spricht niemand davon, dort Sozialbauten hinzustellen, damit die Nutzung von Stadtteilen durchmischt wird.“Tatsächlich gibt es bei Berlin auch ein Vorbild für Politik mit historisierenden Fassaden – in Potsdam wird Baugeschichte nicht als Prozess begriffen, sondern ein Ausschnitt von ihr wiedererrichtet. So wachsen Schauwerte für Touristen, eine Art preußisches Disneyland. Modernistische Gebäude der DDR mussten weichen, der Mietspiegel liegt oft über dem Berlins.Am Tag nach Kahlfeldts Vortrag im Abgeordnetenhaus beschließen die Fraktionen von Grünen und Linken eine Art offenen Misstrauensantrag gegen sie und die SPD, die Jury soll neu tagen, alle Prozesse müssten offengelegt, die Planungen vom Parlament abgesegnet werden. Seit Dienstag ist der Konflikt damit offiziell.Und Molkenmarkt, Innenstadt, ist das eine Potsdamisierung Berlins? Katalin Gennburg sieht ihn als großen ideologischen Komplex. Für Julian Schwarze ist er ein Beispiel dafür, wie Planungsprozesse kaputtgemacht würden. Matthias Grünzig sieht ihn als Türöffner. Dafür, wie Altstadt offensichtlich aussehen soll.Petra Kahlfeldt ist Mitglied im Gestaltungsrat von Potsdam.