In der Inszenierung von „Tausend Sonnen“ in Chemnitz kommen Menschen zu Wort, die auf verschiedene Weise selbst vom Thema Wismut betroffen sind und waren – sie nähern sich dem Thema voller Spiellust und geben ihm viele Facetten.

Theater.

Was war eigentlich die Wismut? In einem einzelnen Satz lässt sich diese Frage kaum beantworten. Es müssten Worte fallen wie Uran, Krebs, Schnaps, Bergleute, Abraumhalden, Landschaftsumgestaltung, Umweltverschmutzung, Familiengeschichte, Tradition, Sowjetunion, Atomwaffen, Ewigkeitskosten. Die Liste ließe sich fortsetzen. Dass das Thema Wismut kollektiv unter den Nägeln zu brennen scheint, belegt die große Zahl an künstlerischen Annäherungen an das Thema. Die Inszenierung von „Tausend Sonnen“, die am Sonntag auf der kleinen Bühne des Chemnitzer Schauspielhauses im Spinnbau Premiere feierte, wirft nun einen weiteren Hut in den Ring. Mit Erfolg.

Experten auf der Bühne

Schon die Spielaufstellung ist erfrischend. In der Inszenierung von Tobias Rausch wird nämlich nicht über die Betroffenen, die Menschen, deren Leben von der Wismut betroffen war und ist, gesprochen – sondern sie dürfen sich selbst äußern. Heinz Richter etwa war tatsächlich für die Beschaffung des „Kumpeltod“ genannten Trinkbranntweins für die Wismutkumpel zuständig, Sven Sczibilanski ist auch im realen Leben ausgebildeter Bergmann und Silvia Weißbach aus Stollberg arbeitete als Facharbeiterin für Geologie in der Perspektivabteilung des Zentralen Geologischen Betriebes (ZGB) der Wismut in Grüna – und erstellte Karten mit Uranvorkommen, die höchster Geheimhaltung unterlagen. Alle sechs Laienspieler sind also vom Fach, spielen sich selbst, schlüpfen aber immer wieder in andere Rollen. Erzählt wird in kleinen Szenen nichts weniger als eine Geschichte der SDAG Wismut, des Bergbauunternehmens, inklusive der Auswirkungen auf das Leben der Mitarbeitenden, der Menschen in den Abbau-Regionen, der Folgen für die Zukunft und wie es überhaupt dazu kam, dass Uran in Mitteldeutschland abgebaut wurde. Spoiler: Die Geschichte beginnt im frühen Mittelalter.

Nahbare Inszenierung

Zustande gekommen ist die knapp zweistündige Inszenierung durch eine Zusammenarbeit des Chemnitzer Schauspielhauses und der Bürger:Bühne Dresden. Das Ensemble ist zwar inhaltlich vom Fach, musste aber ermächtigt werden, von der eigenen Geschichte und der der anderen mit theatralen Mitteln zu erzählen. Dafür zeigte sich Regisseur Tobias Rausch zuständig, zu dessen besonderem Talent es gehört, in seinen Inszenierungen auch Laien Gestaltungsraum für die Bühne zu geben, sie wertschätzend in Szene zu setzen. Das Resultat: Durch die Verquickung von Lebensgeschichten mit Zeitgeschichte, die Einbettung in einen gesellschaftlichen und historischen Kontext, wird das Thema nahbar und vermittelbar. Der Wechsel der Ebenen schafft es auch, sich einer Bewertung zu entziehen. Es werden Facetten aufgezeigt, die es dem Publikum selbst überlassen, Schlüsse daraus zu ziehen – gibt aber eben dafür das nötige inhaltliche und argumentative Rüstzeug in die Hand.

Nicht nur „Geschichten“

„Immer diese Wismutgeschichten“, monieren die Darstellenden im Stück immer wieder. Manche dieser Geschichten erzählen sie selbst. Die Erzählungen reihen sich ein in den Bergmannssagenschatz der Region. Doch die Spielenden winken ab. Wismutgeschichten, die Verklärung, das Erscheinen von Geistern, Heilungen durch Grubenwasser, die Heroisierung der gefährlichen Arbeit, also alles, was zur Mythenbildung dazugehört, kennen sie zuhauf. Sie jedoch wollen kein Bergmannsgarn spinnen, sondern erzählen, wie es war, was es für sie, aber auch die Gesellschaft, die Region bedeutet. Dass Wismut mehr ist als eine Firma, ein Satz, ein Aspekt.

Nächste Vorstellungen von „Tausend Sonnen“ finden am 30. und 31. Januar im Ostflügel des Chemnitzer Schauspielhauses im Spinnbau statt.  » theater-chemnitz.de



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Von Veritatis

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