Gerade hat er eine große US-Tour absolviert, und im September 2023 ist er dann endlich mal wieder in Deutschland zu erleben, nämlich am Hockenheimring beim „Glücksgefühle“-Festival: Hier spricht Mega-DJ André „ATB“ Tanneberger über eine Kindheit hinter Freiberg, seinen Neustart im Westen und die Eroberung der Rest-Welt mit seiner gefragten Tanz-Elektronik

Der DJ und Produzent André Tanneberger prägt unter seinem Künstler-Kürzel ATB die internationale Dance-Szene entscheidend: Der gebürtige Erzgebirger hat als Produzent in den 90ern und Nullern nicht nur zahlreiche Genre-Welthits wie „Marrakesh“ oder „9 PM (Till I Come)“ gelandet, er gehört auch nach wie vor weltweit zu den 20 wichtigsten DJs – vor allem, weil er sich Dance-Stereotypen stets verweigert hat. Soeben hat ATB das elfte Album „Contact“ auf den Markt gebracht. Tim Hofmann hat mit dem 40-Jährigen gesprochen.

Freie Presse: Wenn man im Internet surft, kann man viel über Ihre Erfolge, aber nichts über Ihre Kindheit nach der Geburt in Freiberg lesen. Sprechen Sie darüber nicht so gern ?

André Tanneberger: Doch, ich habe damit kein Problem. Es hat nur nie jemand danach gefragt (lacht). Bis ich ungefähr 10 war, habe ich in Brand-Erbisdorf gewohnt. Dann sind meine Eltern per Ausreiseantrag in den Westen.

Freie Presse: Also haben Sie die volle DDR-Kindheit mitgemacht?

André Tanneberger: Ja, Pionier war ich noch. Soll ich ehrlich sein? Für mich war das eine gute Zeit. Ich bin vor allem auf dem Dorf aufgewachsen, meine Oma hat in Obersaida gewohnt. Da habe ich in Ställen und auf Halden gespielt. Für mich bestand der Westen damals nur aus dem Intershop-Geruch. Wo ich gelebt habe, das war für mich die große Welt. Meine Kindheit war bei weitem schöner als dann die Jugendzeit. Es klingt blöd, aber im Ruhrpott war ich als Ostkind so ein bisschen unterernährt, man hat den Unterschied gesehen. Das lag vielleicht am fehlenden Obst. Und durch den Dialekt war ich ein Außenseiter. In der Schule hat man mich zwar nicht völlig zermobbt, aber ich war anders. Letztlich glaube ich, das hat mir geholfen mich durchzubeißen.

Freie Presse: Warum sind Ihre Eltern rüber?

André Tanneberger: Die wollten reisen und sich nicht einsperren lassen. Das war kein Dissidententum, auch wenn wir nach dem Ausreiseantrag nochmal nach Auerbach ins Vogtland umziehen mussten. Man hat sich von der Familie zurückgezogen, damit die keine Probleme bekommen – meine Eltern sind öfter zu Gesprächen von der Stasi abgeholt worden. Trotzdem hab ich Leute nicht verstanden, die nach der Grenzöffnung rüber sind. Da wusste man ja, das wird irgendwann eins, das wird gut.

Freie Presse: Weil Sie wussten wie das ist, wenn man die Heimat verliert?

André Tanneberger: Ja! Es war schon schwer, nicht zurückkommen zu dürfen. Als meine Oma und mein Opa gestorben sind, haben die uns nicht mal zur Beerdigung gelassen. Gut, man war sich dessen bewusst – aber es hat den Schritt ziemlich hart gemacht.

Freie Presse: Hat das Ihren musikalischen Werdegang beeinflusst?

André Tanneberger: Musikalisch war ich schon immer. Als Kind hab ich Eierschneider als Harfe benutzt und später die Zither meiner Oma gequält. Mit 14 gab es Gitarrenunterricht. Dabei habe ich gemerkt, dass ich zwar Lust auf Musik hatte – aber ich wollte ganze Songs machen, komplexe Musik. Mit der Gitarre wäre ich immer nur Bandmitglied gewesen oder hätte Lagerfeuermusik gemacht. Das war mir zu wenig. Mit 16 habe ich mir dann ein Keyboard und eine Bandmaschine geholt und erste Sachen zusammengeschnipselt.

Freie Presse: Damals musste sich der herkömmliche Jugendliche bereits eine E-Gitarre mühsam ersparen. Wie hart war es, an sehr viel teureres Studio- und Keyboard-Equipment zu kommen?

André Tanneberger: Ich hatte das Glück, Thomas Kukula vom Projekt General Base kennenzulernen. Elektronische Klubmusik war noch rar, es gab wenige wie mich. Er hat mich in seinem Studio was aufnehmen lassen und mir dazu einen Plattendeal mit gutem Vorschuss organisiert. Damals habe ich ja noch als Hochbaufacharbeiter eine Lehre gemacht. Das Geld hab ich ins erste kleine Studio investiert.

Freie Presse: Bei ATB hat man sofort den typischen Trance-Sound, aber nicht unbedingt einen prägenden Hit im Ohr. Ist das kein Nachteil?

André Tanneberger: Ich hatte kürzlich auf Facebook nach dem ATB-Lieblingssong gefragt und fand es schön, dass da sofort 1000 Leute ungefähr 800 verschiedene Antworten gegeben haben. (lacht) Das zeigt doch, wie breit die Auswahl bei mir ist. Genau das ist es, was das Projekt über die Jahre interessant hält, dass ich mal da und mal da den Nerv getroffen habe. Angefangen hab ich zwar mit hartem Techno, aber am wichtigsten war mir schon immer die Melodie und der Song. Ich hab mich da gleich zwischen die Stühle gesetzt und war zu hart für den Mainstream aber zu melodisch für den Untergrund. Im Prinzip schreibe ich ganz herkömmliche Lieder, die könnte man auch zu Pop- oder Rocksongs entwickeln. Ich mache daraus eben Dance, weil ich das liebe. Und genau damit habe ich eine Riesen-Hörerschaft weltweit, da brauche ich keinen einmaligen Nummer-1-Hit wie Aviici.

Freie Presse: Wird Ihre Musik unterschätzt?

André Tanneberger: Dance ist die vielleicht einflussreichste Musik der letzten 20 Jahre. Viele der ganzen großen Musiker klingen gerade sehr dancig, egal ob Rihanna oder Lady Gaga. Doch die Medien haben dieses Bild im Kopf, dass ein Typ mit einer Gitarre mehr künstlerischen Respekt verdient als einer, der hinter einem Keyboard sitzt. Da heißt es immer, das sei handgemacht. Hey, meine Musik ist das auch, ich spiele jedes Instrument auf meiner Platte selbst ein. Umgedreht kommen Rockmusiker im Studio doch auch nicht ohne die Möglichkeiten des Computers zurecht. Und wieder auf der anderen Seite spielen wir bei „ATB in Concert“ dann auch fast alles live.

Freie Presse: Nun scheint es oft aber schon so, als verleite der Computer zum schnellen Hit. Können die zahllosen technischen Möglichkeiten also nicht auch ein Problem sein?

André Tanneberger: Für mich nicht. Meine Herangehensweise an Musik ändert sich damit nicht – nur der Klang, und zwar zum Positiven. Es ist doch gut, wenn kreative Menschen die Möglichkeit haben, mit weniger Mitteln immer bessere Ergebnisse zu erzielen. Aber natürlich gibt es das Problem, dass viele Leute, die nichts mit Musik zu tun haben, mit Software schnell mal versuchen, welche zu machen. Es ist halt einfacher, am Computer einen Vier-Viertel-Bumbum zu basteln, als im Bandkeller Gitarre zu üben. Deswegen müllt am Ende zu viel elektronische Musik den Markt zu.

Freie Presse: War es da folgerichtig, dass Eurodance nach dem Riesenerfolg Ende der 90er, Mitte der Nuller in der Versenkung verschwand?

André Tanneberger: Das ist er eigentlich nur in Deutschland. Hier liefen meine Sachen bei Viva rauf und runter, zeitweise hatte ich fünf Platten gleichzeitig in den Charts – und von einem Tag auf den anderen kamen die Leute und fragten mich, ob ich überhaupt noch Musik mache. Damals tat das schon weh, muss ich zugeben. Ich hab dann immer gesagt: „Ooch, ich komme über die Runden“ – obwohl ich international zu dem Zeitpunkt anfing durchzustarten, vor allem in den USA. Dort bin ich heute fast schon eine Art Kultfigur, wir sind da jahrelang teilweise durch Country-Clubs getingelt und haben den Leuten Dance schmackhaft gemacht. Heute trete ich da auf vielen Festivals als Headliner und in Las Vegas vor 100.000 Menschen auf, ich spiele in Australien und Thailand vor 10.000 Zuschauern.

Freie Presse: Ist es nicht ärgerlich, wenn man als Weltstar in der Heimat nicht recht respektiert wird?

André Tanneberger: Ach, ich mag das Wort „Star“ so wenig wie den Begriff „Fan“. Stars sind Leute, die sich über die Dingen heben – und Fans himmeln diese einfach unkritisch an. Dabei hören die allermeisten Menschen nur gern die Musik, ohne sich reinzusteigern. Ich freue mich über jeden, der meine Sachen einfach mag. Das ist mir lieber als Leute, die jeden Ton vergöttern, egal was man tut. Fans sind oft irgendwie militant, da gibt es keinen kritischen Austausch mehr. Ich finde es ehrlicher, wenn mir jemand sagt, dass er einen Track nicht leiden kann. Dann hat es doch viel mehr Wert, wenn er einen anderen umso mehr mag. Außerdem: Die Musiker, die am meisten durchdrehen, sind auch am schnellsten wieder weg. Irgendwer hat mal gesagt: „Sobald Du glaubst, dass das Publikum Dich als Person meint, wenn es dir zujubelt, hast Du schon verloren.“ So ist es, ich bin da sehr realistisch.

Freie Presse: Mit der Einstellung ist man im Erzgebirge richtig. Wie oft sind Sie privat in der Gegend?

André Tanneberger: Nicht so oft wie ich möchte. Aber ich bin gern da und laufe dann ein paar Wege ab, die mich an die Kindheit erinnern. Mittlerweile bin ich auch sehr fest im Ruhrgebiet verwurzelt, weil ich da letztlich die meiste Zeit meines Lebens gelebt habe und mit meiner Familie hier wohne. Aber es zieht mich doch immer wieder nach Sachsen, auch weil ich es interessant finde, wie sich Freiberg und Brand-Erbisdorf entwickelt haben.

Das Interview erschien 2014 in der „Freien Presse“


Von Eurodance und Trance

Der Siegeszug des Techno brachte es spätestens Mitte der 90er-Jahre mit sich, dass sich die bis dato untergründige Elektronik-Musik mit den markanten Bum-Bum-Beats in eine Unmenge von Stilrichtungen aufsplittete, die selbst für Experten schwer auseinanderzuhalten sind: Es gab an den Extrem-Enden verzwickt künstlerische Ansätze wie Abstract Ambient, dumpfes Party-Gewummse wie Happy Hardcore oder brutalen Gabber.

Dazwischen fanden sich aber vor allen in den Hitparaden Techno-Ableger mit hohem Pop-Appeal wieder, die man als „Eurodance“ zusammenfasst. Gruppen wie Culture Beat, DJ Bobo, Eiffel 65, Snap!, Dune oder Dr. Alban mixten die typischen Techno-Beats mit Soul- und Popelementen zu einer sehr cremig-energiereichen Tanzmusik, die reißenden Absatz fand.

Trance dagegen kann man dank Vertretern wie Robert Miles, Kai Tracid oder Paul Van Dyk als eine Art „verträumten“ Bruder des Eurodance bezeichnen – hier wird der Technobeat mit weichen Gesängen, schwebenden Piano-Melodien und epischen Flächen in eine oft fast esoterisch wirkende Richtung erweitert.

ATB hat seine Wurzeln in diesem Trance – in einer ruhigeren und langsameren Variante. Tanneberger arbeitet aber weniger mit typischen Stil-Elementen und verwendet viel
eigenwillige „Abweichungen“. (tim)



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Von Veritatis

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