Die Sonderschau in den Kunstsammlungen Jena zeigt zwar fast ausschließlich Schallplattenhüllen – doch das Ganze ist wesentlich hintersinniger und erhellender geraten als man vermutet.

Ausstellung. Dass Schallplatten besser sind, weil sie so schöne geräumige Hüllen haben, ist ja ein häufig herumbehauptetes Vinyl-Mantra. Dabei weiß jeder, der schon einmal einen Plattenstapel durchwühlt hat: Viel Platz ist ganz oft eben auch viel Platz für Mist, und auch, wenn es zweifellos sehr kunstvolle Plattencover gibt, so ist deren Aufgabe doch nicht, Werbefläche für Kunst zu sein. Und schon sind wir, gleich neben dem (nebenbei gesagt wirklich tollen!) Weihnachtsmarkt in Jena mittendrin in der Sonderausstellung der örtlichen Kunstsammlung: „Vinyl-Ikonen – 60 Jahre Plattencover“, der Titel klingt ja erst einmal wie eine Kopfgeburt vom Marketing-Konferenztisch des Rathauses: Immer her mit dem hippen Thema fürs leider unterbesuchte Stadtmuseum – rockt!

Nur: Was soll man da erwarten außer Wände voller Plattencover, von denen ja zwangsläufig immer nur ein Bruchteil ansprechen kann, sei es über die Optik oder durch musikalische Assoziationen. Und die Ikonen? Kennt man ja hinlänglich: Nirvana-Baby, Led-Zeppelin-Zeppelin, Velvet-Underground-Banane, Pink Floyds Prisma von „Dark Side Of The Moon“ oder die x-fach analysierte „Sgt. Pepper“-Promimontage der Beatles. Nicht umsonst werden die Galerien der kultigsten, kontroversesten, lustigsten oder provokantesten Cover der Rockgeschichte seit vielen Jahren zum Clickbait im Internet benutzt.

Von der ersten Idee

All diesen Gegebenheiten versucht die Schau gar nicht erst aus dem Weg zu gehen – und vielleicht gelingt es ihr gerade deshalb, mehrere Mythen hinter dem Phänomen Plattencover subtil herauszuschälen. Zum Beispiel den Aufhänger des beworbenen 60-Jahre-Jubiläums: Die Idee, die ursprünglich schlicht blanken Hüllen von (vorerst zehnzölligen) Schellack-Platten zu bedrucken, hatte der Grafiker Alex Steinweiss schließlich bereits 1940: Sein Bild eines ikonischen Theatereingangs für die Platte „Smash Hits“ von Rodgers & Heart gilt als das erste Plattencover der Musikgeschichte. Zwanzig Jahre später begann man allerdings, die Hülle nicht nur zu schmücken, sondern als Werbemittel für die Musik zu nutzen: Der potenzielle Hörer, der im Laden durch einen Stapel neuer Schallplatten blättert, soll von der Hülle so in seinen Bann gezogen werden, dass er in die Scheibe reinhört. Das klingt logisch – doch wie knifflig und komplex das ist, zeigt die Schau allein durch die geschickte Anordnung im Mix aus sehr bekannten und völlig unbekannten Cover-Artworks auf verblüffende Weise. Anders als eine reine Anpreisungswerbung muss das Cover nämlich gleichermaßen überraschend wie vertraut sein. Es muss für Fans die Musik abbilden und gleichzeitig neue Hörer ansprechen. Es muss sehr direkt funktionieren und gleichzeitig möglichst subtil und verästelt.

Spagat zwischen Kunstwillen und Notwendigkeiten

Die Schau macht dabei auf cool subtile Weise deutlich, wie die Plattencoverkunst sich dabei über die Jahrzehnte durch Klischees und deren steten Bruch schlängelte, wie sie den jeweiligen Zeitgeist einerseits bediente, andererseits aber auch stetig erneuerte. Wichtigster Trick der Kuratoren ist dabei, die Cover nach ähnlichen optischen Merkmalen zu hängen, sodass diverse „Marker“ ebenso sichtbar werden wie große Trendlinien der Popkultur – und wie um und mit diesen gerungen wurde. So finden sich auch zahlreiche Varianten und Brechungen eines Themas, etwa ironische Umdeutungen ikonischer Cover, Rosstäuscherei oder: Publikumsverarsche. Spannend auch der an vielen Stellen angerissene Spagat zwischen Kunstwillen und funktionalen Notwendigkeiten – inklusiver vieler origineller Versuche des Ausbruchs aus dieser Zwickmühle. Oder Sparzwänge: Nicht selten werden Cover eben auch grotesk „irgendwie“ gestaltet; passen unter- oder auch überambitioniert auf (dämliche oder knuffige) Weise so gar nicht zum Tonträger.

Die Lust am Spannungsfeld

Sich in diesem Spannungsfeld zu bewegen, macht verdammt viel Spaß, zumal man dank der stilistischen Durchmischung immer wieder auf liebe Bekannte stößt und damit einen ähnlichen Spannungseffekt wie beim Durchstöbern einer fremden Sammlung hat: Grandioses und Grusel liegen, immer im Auge des Betrachters, beieinander, Kult und Schrott wechseln sich ab und sind doch nötiger Teil des Spiels, bei dem es natürlich funktionieren kann, die nächste coole Musik über die Hüllenoptik zu entdecken. Eine Platte nach dem Cover zu bewerten kann nämlich zu Volltreffern abseits der eingeübten musikalischen Vorlieben führen. Jedenfalls macht die Jena-Ausstellung viel Lust, mal wieder einen Tonträger einfach „nach Gefühl“ zu kaufen, nur weil er einen per Ansicht triggert.

Und: Wie nebenbei erledigt die Schau die unter Vinyl-Apologeten gern vertretene Auffassung, die Gestaltung von Schallplattencovern sei etwas besonderes und der CD überlegen: Die gezeigten Prinzipien funktionieren bei der Hüllengestaltung von Silberscheiben nämlich ganz genauso. Angedeutet wird das durch viele Spezialitäten, die mit einem hohen Gimmick-Faktor arbeiten. Es muss nur Klick machen im Kopf, und das hat mit Größe oder Fläche nichts zu tun. Was halt nicht funktioniert, und da gründet vielleicht der Irrtum, ist die Übertragung von extra für Schallplatten gestalteten Covern aufs kleinere CD-Format – und umgekehrt.

Die Ausstellung „Vinyl-Ikonen“ ist noch bis 12. März in den Kunstsammlungen Jena zu sehen. » kunstsammlungen-jena.de



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Von Veritatis

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